Donnerstag, 18. April 2024

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Neues Museum in neuem Glanz

Das Neue Museum ist in Berlin an die Hausherren, die Preußische Stiftung Kulturbesitzt übergeben worden. Der Entwurf entstammt dem Architekten David Chipperfield. Bis Mitte Oktober werden das Museum für Vor- und Frühgeschichte und die Ägyptische Sammlung mit ihrer Nofretete einziehen.

Heinrich Wefing im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 05.03.2009
    Doris Schäfer-Noske: Geschichtsfälschung oder der einzig richtige Umgang mit einer Ruine – am Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin scheiden sich die Gesiter. Der britische Architekt David Chipperfield hat nämlich keine Rekonstruktion mit nachgemachten Bauteilen geschaffen. das Museum, erbaut von Friedrich August Stüler, erstrahlt also nicht wieder in alter Pracht, sondern der Architekt lässt erkennen, wo das Gebäude nicht mehr erhalten war. Sogar Einschusslöcher aus dem Krieg sind noch zu sehen. David Chipperfield:

    David Chipperfield: Als wir das Neue Museum das erste Mal betraten, da war es eine Ruine, aber eine Ruine mit einer unglaublichen Präsenz und Ausstrahlung. So etwas habe ich selten erlebt. Ansonsten ist unsere Welt ja voll von nichtssagender, künstlicher Architektur, die uns unberührt lässt. Umso mehr wollten wir uns die tiefgehende Wirkung dieses Gebäudes zunutze machen. Also ich glaube, dass dieses Museum, so wie wir es jetzt wieder hergestellt haben, mehr Geschichte in sich birgt und mehr Gefühle transportiert, als jede noch so perfekte Kopie es könnte.

    Schäfer-Noske: Heute ist das Neue Museum nun mit einem Festakt den Hausherren übergeben worden, also der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Drei Tage lang kann man das neue Haus besichtigen, und bis Mitte Oktober werden dann das Museum für Vor- und Frühgeschichte und die Ägyptische Sammlung mit ihrer Nofretete einziehen. Frage an meinen Kollegen Heinrich Wefing: Herr Wefing, von Architekturkritikern hört man ja jetzt einhellige Begeisterung. Stimmen Sie da mit ein in den Jubelchor?

    Wefing: Ja, ich bin auch ganz begeistert. Ich habe mich lange mit der Rekonstruktion und mit der Sanierung des Neuen Museums beschäftigt über die vergangenen zehn, zwölf Jahre. Und es gab Phasen, wo ich sehr skeptisch war, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass das Konzept von Chipperfield, Neues und Altes nebeneinanderzustellen, je nach dem Erhaltungszustand der Ruine, dass das aufgehen würde und dass am Ende ein einheitliches, homogenes Bild dieses Museums entstehen würde. Und jetzt bin ich mehrfach durch den fertigen Bau gegangen, und ich muss sagen, die Skepsis ist berechtigt, es entsteht kein einheitliches Bild. Neues und Altes steht nebeneinander, und man geht wie auf einer Abenteuerreise von Raum zu Raum und jeder Raum hat einen ganz anderen Charakter. Aber zu meiner großen Überraschung muss ich feststellen, es stört überhaupt nicht, dass es kein einheitliches Bild gibt, sondern die Räume an sich sind jeder in seiner speziellen Art so stark, dass dieses Haus sehr, sehr gelungen ist.

    Schäfer-Noske: Wie viel Stüler ist denn noch in diesem Gebäude, und erahnt man da noch etwas von dieser früheren Pracht, die dieses Gebäude hatte?

    Wefing: Absolut. Es gibt Räume, die sind, wenn man sie sozusagen mit flüchtigen Augen betrachten würde, genauso wie Stüler sie sich vorgestellt hat, bis in die Decken- und Wandbemalungen hinein, bis in den Schmuck der Friese und Kapitelle. Es gibt aber auch Räume, in denen nichts mehr von Stüler vorhanden ist, weil diese Bauteile komplett zerstört waren im Krieg. Und dann gibt es zwischen diesen beiden Erhaltungszuständen, sehr viel alt und ganz neu, eigentlich jede denkbare Zwischenstufe.

    Schäfer-Noske: Nennen Sie doch einmal ein besonders gelungenes Beispiel!

    Wefing: Viel geschrieben und viel gesprochen worden ist ja schon über die Treppenhalle. Das war das Zentrum des Baus, es ist auch heute noch das Zentrum des Baus. Und bei Stüler war das so eine Allegorie der Menschheitsgeschichte, sowohl in der Architektur als auch in den Bildprogrammen, das der Maler Kaulbach hinzugefügt hat. Also, ganz grob gesagt, man stieg von unten aus der Urzeit die gewaltigen Treppenanlagen in diesem Raum immer höher und kam dann der Neuzeit immer näher. Und das war durchaus in so einem geschichtsphilosophisch positiven Bild als Fortschritt der Menschheit angelegt. Es war sehr, sehr üppig ausgestattet, ein Festsaal der Menschheitsgeschichte, der deutschen Geschichte und der preußischen Geschichte. Dieser Raum ist komplett zerstört gewesen, von der Ausstattung ist nichts vorhanden. Und Chipperfield hat dann die nackten Ziegelwände stehen lassen und hat sie nicht verputzt, sodass man auch darauf, auf diesen Ziegelwänden, alle Geschichtsspuren lesen kann – die Geschichte der Zerstörung und des Wiederaufbaus –, und hat da hinein eine Treppenskulptur aus weißem Beton mit Marmorbeimischungen gestellt, die sehr kraftvoll ist, sehr minimalistisch. Und darüber ist so ein offener Dachstuhl, der ein wenig an eine oberitalienische Kirche erinnert, sodass man hier einen völlig veränderten Raum hat. Die Lichtführung ist dieselbe wie bei Stüler, die Bewegung durch den Raum ist dieselbe wie bei Stüler, aber der Charakter ist völlig anders. Und ich glaube, wenn darin sich die Menschen bewegen, wird das ein ganz fantastischer, sehr eindrucksvoller Raum werden.

    Schäfer-Noske: Wie geeignet ist denn der Bau als Museum, denn da sollen ja eigentlich die Kunstwerke im Mittelpunkt stehen und nicht der Bau?

    Wefing: Das ist richtig. Das ist sicherlich auch der falsche Eindruck, den man jetzt in diesem Zustand leicht von dem Bau bekommen kann. Jetzt schauen wir nur auf die Architektur in diesem Zustand, als sei sie das Hauptexponat. Das wird sich dann ändern, wenn die Kunst in die Räume gestellt worden ist, wenn die Vitrinen dort drin stehen. Und es gibt ein, zwei Räume, in denen jetzt schon Kunst steht, einfach aus logistischen Gründen mussten da gewaltige Skulpturen hineingestellt werden, ehe die Decken darüber geschlossen wurden. Und in diesen Räumen kann man schon ganz deutlich sehen: Sobald Kunst in diesen Räumen steht, sehen wir anders auf die Architektur – weniger aufmerksam. Und dann wird sich zeigen, glaube ich, dass diese Räume sehr gut geeignet sind, auch die jetzt noch sehr kräftigen, fast kahlen, fast grabkammerhaften Räume, die Chipperfield ganz nach seinen eigenen Vorstellungen ohne historische Spuren gestaltet hat. Die sind zum Beispiel für ägyptische Großarchitekturen gedacht, die dort ausgestellt werden sollen. Und ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das Minimalistische, Nüchterne von Chipperfields Architektur sehr gut mit diesen Architekturfragmenten aus Ägypten zusammengehen wird.

    Schäfer-Noske: Heinrich Wefing war das über das Neue Museum Berlin, das heute mit einem Festakt an die Hausherren übergeben wurde.