Dienstag, 16. April 2024

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Neues Schiller-Album
"Den Moment in Klänge gießen"

Christopher von Deylen aus Berlin ist mit seinem Musikprojekt Schiller bekannt geworden. Er versteht sich als Literat, der mit wechselnden Musikern an unterschiedlichen Orten zusammenarbeitet. In seinem neuen Album "Future" geht es um Entschleunigung, Romantik und die Suche nach "etwas".

Der Musiker Christopher von Deylen im Corso-Gespräch mit Benedikt Wischer | 11.03.2016
    Der deutsche Musiker Christopher von Deylen spielt am 08.07.2014 in Berlin beim Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt in Berlin.
    Der deutsche Musiker Christopher von Deylen spielt in Berlin beim Classic Open Air auf dem Gendarmenmarkt in Berlin. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Benedikt Wischer: Christopher von Deylen, als Sie zum letzten Mal 2010 beim Deutschlandfunk waren, da haben Sie über Ihr Lied Polarstern gesprochen, das Sie auf einem Forschungsschiff in der Artkis aufgenommen haben. Jetzt ist 2016 und für die Aufnahme Ihres aktuellen Albums "Future" haben Sie am Rand der Mojave-Wüste in Kalifornien gelebt. Wie spiegeln sich diese verschiedenen, extremen Orte im Klang Ihrer elektronischen Musik?
    Christopher von Deylen:!! Ja, ich versuche eigentlich mit jedem neuen Album eine neue Reise zu beginnen, wobei es da nicht unbedingt nur um die wirkliche physische Reise geht, irgendwohin zu fahren oder eine andere Landschaft zu erforschen oder einer anderen Landschaft zu begegnen. Sondern ich versuche auch das eigene Wesen und den eigenen Geist auf eine neue Reise zu schicken. Bei Polarstern war es so und bei dem Album "Atemlos" von dem dieser Titel Polarstern stammt, da habe ich mich in die Welt des ewigen Eises begeben. Auf eine gewisse Art und Weise ist das jetzt eine Wiederholung und eine Weiterführung dessen, denn die Eiswüste ähnelt in ihrer landschaftlichen Anmutung tatsächlich auch sehr der Mojave-Wüste. Es gibt einen ganz langen Horizont, endlosen Himmel und dazwischen Nichts.
    "Die eigene Neugier rekultivieren"
    Wischer: Das englische Wort "desert" für Wüste, das kommt ja vom lateinischen Wort "desertus" - heißt verlassen. Die Verlassenheit habe ich im neuen Album jetzt nicht gehört.
    Von Deylen: Es geht mir dabei auch weniger darum die Landschaft, die mich umgibt zu vertonen oder ihr einen Klang zu verleihen, bei dem man dann genau diese Landschaft wieder vor seinen eigenen Augen sehen kann, wenn man die Musik anhört, sondern die Umgebung kann eigentlich immer nur der Katalysator sein, um das, was irgendwo tief verborgen ist, aber sich aufgrund vielleicht der Ablenkung des Alltages nicht wirklich bahnbrechen kann, einen Weg nach außen, einen Weg in die Lautsprecher zu verschaffen. Und bei "Future" ist es so gewesen, dass ich durch dieses sehr minimalistische Passepartout scheinbar erst in die Lage geriet mit meinen musikalischen Gästen vielleicht unbefangener als sonst umzugehen und auch vielleicht die eigene Neugier etwas zu rekultivieren.
    Wischer: Warum heißt es denn "Future", das Album?
    Von Deylen: "Future" als englisches Wort für Zukunft empfinde ich als ein sehr interessantes Lebensgefühl. Ich empfinde es so, dass wir zur Zeit in einer gewissen Hypergegenwartsschleife schon fast gefangen sind. Wir sind umgeben vom gesamten Echtzeitgedächtnis des Planeten, wir können alles das, was auf der Welt geschieht zu jedem Zeitpunkt von jedem Ort der Welt abrufen, streamen, teilen, kommentieren. Das ist glaube ich etwas, was uns zunehmend ein ganz bisschen von dem was man vielleicht als Modewort mal Chillout nannte oder Downtime oder Entschleunigung abbringt. Denn ich glaube fest daran, dass es ein urmenschliches Bedürfnis ist, in unserer DNA verankert, dass wir uns immer mal wieder Zeit für uns nehmen, in der wir nichts anderes machen, aber eine Verbindung zu uns, zu unseren Gefühlen, zu unserem Geist aufbauen - um auf den Begriff der Zukunft jetzt wieder zu kommen - um auch vielleicht sich Gedanken zu machen und hineinzufühlen in das, was wir mit unserem eigenen Morgen anfangen wollen. Dazu möchte ich gerne einen Soundtrack anbieten.
    "Eine Verbindung mit der eigenen Gefühlswelt"
    Wischer: Ihr selbstgewählter Namenspatron Friedrich Schiller, der hat die Kunst als Möglichkeit zu Moralität, zu moralischer Bildung verstanden. Für sie bedeutet Kunst - und ich zitiere aus dem Promomaterial des neuen Albums - "das Aufbäumen gegen den Lauf der Zeit". Das ist vielleicht ein bisschen das, was Sie jetzt auch betont haben. Wogegen bäumt man sich da auf, wenn man sich gegen die Zeit aufbäumt?
    Von Deylen: Also ich denke schon, dass wir durch all das, was uns ermöglicht wird, durch den Fortschritt und durch das, was technisch möglich wird und jeden Tag möglicher wird - dass es trotzdem an uns ist auszuwählen, was halten wir für sinnvoll, was halten wir nicht für sinnvoll. Das versucht man uns vielleicht hier und da abzunehmen. Aber am Ende des Tages glaube ich, dass eine gewisse Verbindung mit der eigenen Gefühlswelt uns da etwas stabiler werden lässt.
    Wischer: Wenn ich mal ein paar Kernbegriffe aus den Texten Ihres neuen Albums zitieren darf: Zukunft, Liebe, Sterne, Herz. Bei den Begriffen bekomme ich das Gefühl, dass es sich eher um Romantik als um Weimarer Klassik handelt.
    Von Deylen: Ja, ich bin ein großer Romantiker, das darf ich wohl sagen. Ich kann es vielleicht, wenn ich so über das eigene Werk rede vielleicht nicht so gut ausdrücken, aber Romantik und Träumen und eine Phantasiewelt erzeugen, eine Phantasiewelt erbauen oder eine Phantasiewelt zumindest anzubieten als Ergänzung zur realen Welt. Das ist glaube ich etwas, wovon man nie genug haben kann und was uns auch keiner abnimmt. Wir sind ja das einzige Lebewesen auf der Erde, was proaktiv sich für morgen etwas anderes vornehmen kann als heute geschehen ist. Wir können ja unsere Zukunft aktiv gestalten, wir können uns etwas vornehmen, wir können uns etwas wünschen und versuchen diesem Wunsch näherzukommen.
    "Begegnung mit Sharon Stone ein Mysterium"
    Wischer: Der Text zum letzten Song des Albums, der den Titel "For You" trägt, der wurde von Hollywoodschauspielerin Sharon Stone verfasst. Sie haben aber nie persönlich sich getroffen. Wie ist die Arbeit dann abgelaufen?
    Von Deylen: Ja, die Begegnung mit Sharon Stone gehört zu den unvorhersehbaren Mysterien, die auf meiner Reise immer wieder geschehen. Zum Glück kann ich nur sagen. Ich bin dafür sehr dankbar. Denn das sind Ereignisse und Begebenheiten, die kann man sich nicht ausdenken, die kann man auch nicht aktiv verfolgen. In diesem Fall hat mich der Agent von Sharon Stone angeschrieben und mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte einen von Sharon Stones Texten zu vertonen. Nun stecken da gleich zwei Überraschungen auf einmal drin: Die erste Überraschung war für mich, dass Sharon Stone Songtexte schreibt. Denn normalerweise würde man ja denken, dass eine Schauspielerin, die sich zur Musik hingezogen fühlt vielleicht lieber singen möchte. Aber in diesem Fall fand ich es bemerkenswert, dass sie sich dazu entschlossen hat, sich entsprechend durch Verse ausdrücken zu wollen. Und auf der anderen Seite war ich natürlich genauso erstaunt, dass Sharon Stone Schiller offensichtlich kannte und mich entsprechend dann hat fragen lassen, ob ich nicht einen Ihrer Texte vertonen wollte. Ich habe mir dann diesen Text durchgelesen und fand ihn in seiner schnörkellosen Direktheit ausgesprochen beeindruckend und habe sofort Ja gesagt. Ich musste das machen, denn es gehört zu den unausdenkbaren Momenten, die die Reise von Schiller glaube ich erst zu dem machen, was sie ist.
    "Ich suche scheinbar nach irgendetwas"
    Wischer: Ja, es geht bei dem Song ja wirklich um die Reise, um die Suche nach einer geliebten Person, ich finde von der Metaphorik passt das eben auch ganz hervorragend - wir haben eben schon darüber gesprochen - zu Schiller und zu diesem Projekt, das ja immer auch aus Reisen bestanden hat. Um Rastlosigkeit geht es immer, um die Suche nach etwas. Wonach suchen Sie?
    Von Deylen: Ja, das ist die gute Frage. Ich suche scheinbar nach irgendetwas von dem ich vermutlich hoffe, es nie zu finden. Denn diese Rastlosigkeit - das ist eine ganz gute Bezeichnung eigentlich - das ist etwas, das ist ein Zustand, in dem ich mich schon sehr lange befinde. Der stellt auch mal Bedingungen hier und da. Es ist ein schmaler Grat zwischen Rastlosigkeit und Nervosität und Aufgeregtheit. Aber ich versuche das im positivsten Sinne wirklich als Suchender, als Forscher, als Klangforscher, als Menschenforscher vielleicht auch. Und dazu gehört eben diese Rastlosigkeit, denn ein Forscher, der etwas entdeckt hat und hat eine gewisse Formel entdeckt, die eine gewisse Allgemeingültigkeit hat, der mag vielleicht eine gewisse Position dadurch erlangen. Aber dann ist die Suche ja beendet. Dann ist ja alles gesagt, alles gemacht, alles verfasst.
    Wischer: Jetzt haben Sie gesagt, Sie suchen nach etwas. Aber wenn man nach etwas sucht, muss man ja schon eine bestimmte Vorstellung davon haben, was man da sucht. Was für eine Art von Ding das sein müsste.
    Von Deylen: Ich versuche den jeweiligen Moment und die jeweilige Periode in der ich komponiere, in der ich Musik mache irgendwie zu kanalisieren und als Medium vielleicht in Klänge zu gießen. Das ist natürlich immer eine Bestandsaufnahme von dem, was gerade passiert. Ob das dann in zwei, drei Jahren noch den Test der Zeit besteht, das weiß man nicht. Aber das ist glaube ich das, was ich meine machen zu müssen. Abgesehen davon kann ich nichts anderes.
    Wischer: Und das versuchen Sie auch nach diesem Album noch. In Zukunft?
    Von Deylen: Das versuche ich auf jeden Fall auch in Zukunft, denn natürlich muss jedes Album, was man vollendet, natürlich das jeweils beste sein, was man jemals zustande bekommen hat. Ich muss mich ja an mir selbst messen. Das ist natürlich auch ein - wie soll man sagen - etwas, was den Komponisten, was den Künstler in mir stetig fordert. Denn es gibt ja keinen Grund, dem existierenden Kapitel ein Neues hinzuzufügen, wenn man nicht sagen würde: Es ist wahlweise besser oder es ist anders genug, um es entsprechend dem Publikum anzubieten.