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Neues Sexualstrafrecht
"Aus dem Satz „nein heißt nein“ spricht auch das Patriarchat"

Nein zu sagen zu einer sexuellen Annäherung, sei natürlich immer Ausdruck einer selbstbestimmten Sexualität, sagte die Philosophin Svenja Flaßpöhler im DLF. Das sei aber nicht die ganze Wahrheit. Der Slogan "nein heißt nein" sei nicht nur Ausdruck von weiblicher Autonomie, sondern auch ein Ausdruck einer patriarchalen Kulturgeschichte.

Svenja Flaßpöhler im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 07.07.2016
    Die Philosophin Svenja Flaßpöhler.
    Die Philosophin Svenja Flaßpöhler. (imago )
    Stefan Koldehoff: Wer Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt, macht sich schon jetzt strafbar. Demnächst gilt das auch für den Fall, dass sich jemand – und das heißt in aller Regel: ein Mann – über den "erkennbaren Willen" eines anderen Jemand – und das heißt in aller Regel: einer Frau – hinwegsetzt. "Nein heißt nein" lautet der Grundsatz, den der Deutsche Bundestag - sie haben es in den Nachrichten gehört - heute einstimmig beschlossen hat. Grüne und Linke haben sich enthalten, weil künftig auch mit bis zu fünf Jahren bestraft werden können soll, wer sich in einer Gruppe befunden hat, aus der heraus sexuelle Angriffe stattgefunden haben.
    Über dieses "Nein ist nein" will ich sprechen mit der Philosophin, Publizistin und stellvertretenden Chefredakteurin des "Philosophie Magazin", Svenja Flaßpöhler. "Nein heißt nein" - das klingt so selbstverständlich, ist es aber wohl nach wie vor nicht. Grundsätzlich gut also, dass dieser Grundsatz jetzt in Paragraf 177 StGB festgeschrieben ist?
    Köln genutzt, "um jetzt diese Gesetzesverschärfung durchzudrücken"
    Svenja Flaßpöhler: Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass der gegenwärtig bestehende Paragraph 177 eine Schutzlücke aufweist, das heißt Frauen, in aller Regel sind es ja Frauen, nicht zuverlässig durch das Gesetz geschützt sind, dann würde ich natürlich eine solche Regel befürworten. Es ist aber faktisch so, dass wir das im Moment noch gar nicht so richtig klar wissen, weil die Meinungen diesbezüglich sehr stark auseinandergehen. Und deshalb hätte ich es für unbedingt notwendig erachtet, dass man die Ergebnisse der genau hierfür eingesetzten Kommission, die nämlich herausfinden soll, ob es diese Schutzlücke wirklich gibt, dass man die abwartet. Die Ergebnisse hätten im Herbst vorgelegen; das wollte man aber nicht machen, weil man die Emotionalität, die das Ereignis Köln hervorgerufen hat, nutzen wollte, um jetzt im Eiltempo dieses Gesetz, diese Gesetzesverschärfung durchzudrücken. Und da muss ich sagen: Wenn es so sein sollte, dass das bestehende Gesetz ausgereicht hätte, dann haben wir uns jetzt mit dieser Verschärfung Gefahren und Abgründe eingekauft, die man hätte vermeiden können.
    Koldehoff: Dann sprechen wir mal erst über das, Frau Flaßpöhler, was Sie im Konjunktiv formuliert hätten, wenn es denn so wäre, wenn wir denn hätten. Wo sehen Sie denn die Probleme beziehungsweise wo eventuell eine nicht Notwendigkeit einer neuen Regulierung?
    "Der Nahbereich ist auch der Hort von Rache und Missgunst"
    Flaßpöhler: Na ja. Jetzt ist es ja so, dass eine Frau, wir sprechen jetzt mal immer von Frauen, einen Mann vor Gericht bringen kann, selbst wenn sie sich nicht gewehrt hat, wenn keine Gewaltandrohung vorgelegen hat, sondern es muss lediglich der erkennbare Unwille der Frau vorgelegen haben. Das ist natürlich eine sehr, sehr weitreichende Regelung, die tief in das Intimleben von Menschen hineinreicht, natürlich auch das von Paaren hineinreicht. Das sagen ja die Befürworterinnen des "nein heißt nein" selber, dass diese Gesetzesverschärfung vor allem im sogenannten Nahbereich Anwendung finden wird. Es ist aber nun so, dass dieser Nahbereich auch letztlich der Hort von Rache, von Missgunst, von allen möglichen ambivalenten Gefühlen ist, und deshalb ist natürlich die Gefahr der Falschanklage oder Fehlanklage eklatant, und da reicht es jetzt auch nicht, dass dann Feministinnen und Feministen immer einwenden, na ja, aber eine Anklage ist ja noch keine Verurteilung. Wie wir wissen, ist schon eine Anklage tatsächlich extrem rufschädigend. Dazu kommt natürlich, dass dieses "nein heißt nein" eine Eindeutigkeit suggeriert, die in erotischen Situationen tatsächlich oft so gar nicht gegeben ist.
    Koldehoff: Es könnte mit zum Werben oder mit zur erotischen Situation gehören, dieses Nein?
    Flaßpöhler: Na ja. Es ist ja zumindest so, dass sich die erotische Situation, gerade wenn es um eine erste Annäherung geht, wenn man jemanden wirklich gerade neu kennenlernt, dann ist natürlich jede erste Berührung des anderen immer schon eine Art von Transgression, von Überschreitung. Man weiß nie mit Sicherheit, ob der andere das auch wirklich will, und tatsächlich ist die Verführungssituation per se natürlich immer eine, die mit der Grenze auch spielt. Das macht ja die Erotik auch zum großen Teil aus. Müssen wir ihr das nicht zutrauen?
    Koldehoff: Sie haben Ihre Bedenken aber auch noch weiter und sogar historisch begründet, indem Sie gesagt haben, dass auch diese neue Regelung wieder eine Koppelung von weiblicher Sexualität und Negativität bedeutet. Die Frau muss Nein sagen. Dass eine Frau Ja sagt, dass eine Frau eine ganz andere Sexualität als nur das Reagieren auf männliche Bedürfnisse, Wünsche, Situationen möglicherweise auch im Sinn hat, ist nach wie vor undenkbar?
    "Eine bejahende weibliche Sexualität würde die Grundfesten der Gesellschaft sprengen"
    Flaßpöhler: Na ja. Da muss man wiederum sehr vorsichtig natürlich sein in der Argumentation. Nein zu sagen zu einer sexuellen Annäherung, ist natürlich immer auch Ausdruck einer selbstbestimmten Sexualität. Zu sagen, I wood prefer not to, ich möchte jetzt nicht, natürlich ist das selbstbestimmt. Insofern wohnt diesem Satz "nein heißt nein" natürlich auch eine weibliche Autonomie inne. Aber das ist eben nicht die ganze Wahrheit, sondern wenn man sich das genauer anguckt, dann spricht aus diesem Satz "nein heißt nein" auch das Patriarchat. Anders formuliert: Das "nein heißt nein" schreibt ein kulturell ganz tief verankertes Frauenbild fest. Das kann man sehr schön nachlesen in Rousseaus "Émile", wo er nämlich ausführt, dass sich die weibliche bürgerliche Sexualität durch das Nein herauskristallisiert. Die Frau ist die, die immer die männlichen Avancen zurückweisen muss, die sich wehren muss, die lieber nicht will, weil, so Rousseau, eine überbordende bejahende Weiblichkeit, eine bejahende weibliche Sexualität die Grundfesten der Gesellschaft und die Bande der Natur sprengen würde. Und insofern ist die Frage, inwiefern dieser Slogan nicht nur Ausdruck von weiblicher Autonomie ist, sondern auch ein Ausdruck einer patriarchalen Kulturgeschichte.
    Koldehoff: Die Philosophin Svenja Flaßpöhler über die Neufassung des deutschen Sexualstrafrechts und über deren Probleme.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.