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Neues Tierschutzgesetz ist "kein großer Wurf"

Gesetzliche Verbote und Änderungen für den Tierschutz wurden zum Teil durch Lobbyarbeit verhindert, meint Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund. So wurde etwa das ursprünglich angedachte Verbot von Brandzeichen bei Pferden wieder aus dem Gesetz gestrichen.

Marius Tünte im Gespräch mit Benjamin Hammer | 13.12.2012
    Benjamin Hammer: Wenn wir an Tiere denken, an Pferde, Kühe oder Hühner, dann kommen uns meistens Bilder von romantischen Bauernhöfen in den Sinn. Die Realität sieht aber häufig anders aus. Da werden Schnäbel kopiert, Brandzeichen gemacht und Spritzen gesetzt. Die Bundesregierung will reagieren auf die Kritik an manchen dieser Methoden und hat ein Gesetz in den Bundestag gebracht, das heute verabschiedet werden soll. Und über dieses Gesetz, das neue Tierschutzgesetz, spreche ich nun mit Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund. Guten Morgen, Herr Tünte!

    Marius Tünte: Hallo, ich grüße Sie.

    Hammer: Bei Kastrationen oder Brandzeichen, um mal ein Beispiel zu nennen, soll es ab 2019 schärfere Regeln geben. Die Bundesregierung spricht davon, dass man international ein Vorreiter im Tierschutz sei. Sehen Sie das auch so?

    Tünte: Leider nicht. Man muss eher feststellen, dass wir auf die rote Laterne zugehen, wenn es um EU-Tierschutzranglisten geht, wenn man schon bei diesem Bild bleiben möchte. Weil die Verbote, die die Bundesregierung vielleicht angedacht hat, die werden entweder viel zu spät umgesetzt oder wurden doch durch entsprechende Lobbyarbeit umgestürzt und da kann man auf keinen Fall von einem großen Wurf sprechen. Da wäre viel mehr möglich gewesen als das, was jetzt tatsächlich rauskommt.

    Hammer: Können Sie da ein Beispiel nennen, zum Beispiel auch, wo Lobbyarbeit Ihrer Meinung nach zu Veränderungen geführt hat?

    Tünte: Man sieht das ganz klar beim Schenkelbrand, beim Brandzeichen von Pferden. Das hat Ministerin Aigner vorgeschlagen und das wurde jetzt innerhalb eines Jahres immer weiter rausgenommen. Und da sieht man zum Beispiel: Der Tierschutzsprecher der Unions-Fraktion, Dieter Stier, der ist selber Veranstalter von Pferdetournieren, der ist Pferdezüchter, und der hat ganz massiv dafür gesorgt, dass dieses Verbot, was ja eigentlich jetzt schon kommen sollte, gekippt wurde, dass es rausgezögert wurde und so wie es aussieht auch ganz verschwinden könnte, und das ist einfach ein deutlicher Einfluss und das hat dann auch nichts mehr mit irgendwelchen guten Tierschutzranglisten zu tun.

    Hammer: Bauern sprechen von Tradition und sagen, im Grunde genommen sei das ein ganz harmloser Pieks für das Pferd.

    Tünte: Es ist schon erstaunlich, dass hier von so einem Kulturgut gesprochen wird als Argument für ein Wirtschaftssymbol, was es letztlich ist. Es ist ein Brandzeichen, was den Tieren Verbrennungen dritten Grades zufügt. Es ist darüber hinaus völlig überflüssig, weil wir haben die Chip-Pflicht für Pferde, und es wäre ein Zeichen gewesen, es zu verbieten, ist aber nicht passiert, und das ist auch mit anderen Aspekten wie der betäubungslosen Ferkelkastration so. Auch da hat sich die Regierung nicht durchgesetzt, sondern hat sich da beeinflussen lassen, und das ist sehr schade.

    Hammer: Was muss denn in einem Tierschutzgesetz stehen, das Ihrer Meinung nach den Namen verdient?

    Tünte: Wir haben ja in Deutschland das Staatsziel Tierschutz auch schon seit zehn Jahren und da ist auch einfach diese EU-Tierversuchsrichtlinie, was der Anlass ja war, am Tierschutzgesetz was zu ändern, also eine EU-Vorgabe, die umgesetzt werden sollte. Also auch da hat die Regierung nicht selber die Initiative genommen, sondern wurde da von Europa angeleitet. Da hätte man zum Beispiel im Bereich Tierschutz und bei Tierversuchen mehr machen können. Man hätte zum Beispiel Versuche an Menschenaffen komplett verbieten können; stattdessen lässt man da jede Menge Lücken, und das ist einfach kein Signal, sondern zeigt uns, dass da noch viel zu tun ist.

    Hammer: Jetzt reden wir viel über den Gesetzgeber, über Tierbetriebe. Liegt die Verantwortung nicht in erster Linie und in Wahrheit beim Konsumenten? Wenn der ein Hühnchen für 2,50 Euro kauft, dann fördert das nicht gerade den Tierschutz, oder?

    Tünte: Auf jeden Fall. Der Wahrheit müssen wir uns alle stellen. Wir sind alle da mitverantwortlich, sowohl Verbraucher, aber auch Handel, aber auch die Bauernverbände und natürlich die Politik. Wir müssen uns klar machen, dass Qualität Geld kostet und natürlich auch Tierschutz Geld kostet. Und gleichzeitig brauchen wir natürlich gesunde bäuerliche Strukturen. Da dürfen auf keinen Fall die Bauern und ihre Familien alleine gelassen werden. Und deswegen müssen wir auch dahin kommen, dass wir auf Fleisch verzichten, und wenn wir dann weniger essen, dann aber auch bereit sein, für artgerechte Haltung der Tiere einfach mehr zu zahlen. Dann wären wir auf einem guten Weg.

    Hammer: Wenn wir uns aber im Supermarkt umschauen, dann scheint das Gegenteil der Fall. Im internationalen Vergleich, im europäischen Vergleich sind deutsche Supermärkte auch bei Fleischprodukten absolute Discountprofis und Discountvorreiter.

    Tünte: Ja das merkt man auch in der Werbung. Wie Sie es selbst schon gesagt haben: Man sieht schöne Bildchen von Wiesen, von irgendwelchen Aufklebern, wo draufsteht "Gutes vom Bauernhof". Da steckt aber nicht viel dahinter. Die meisten Tiere haben diese Wiesen oder den guten Bauernhof gar nicht gesehen und das muss transparent gemacht werden. Deswegen haben wir auch ein Tierschutz-Label initiiert, damit der Verbraucher die Chance hat, im Supermarkt zu erkennen, wo ist Tierschutz drin und wo nicht. Und dann müssen wir eben auch bereit sein, dafür mehr Geld zu zahlen.

    Hammer: Im Bundestag soll heute ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet werden. Dazu habe ich gesprochen mit Marius Tünte vom Deutschen Tierschutzbund. Besten Dank.

    Tünte: Danke Ihnen auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.