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Neues von den ersten Europäern

Paläontologie. - Als 2001 in der georgischen Ruinenstadt Dmanisi ein 1,8 Millionen Jahre alter menschlicher Schädel entdeckt wurde, warf dieser Fund viele Fragen auf. Jetzt haben dieselben Forscher am gleichen Ort erstmals auch Skelett-Knochen entdeckt, die Antworten und neue Fragen liefern.

Von Michael Stang | 20.09.2007
    Die Schädelfunde von Dmanisi haben David Lordkipanidze vom Georgischen Nationalmuseum in Tbilisi weltberühmt gemacht. Die einzigartigen menschlichen Zeugnisse der ältesten Vertreter unserer Gattung Homo außerhalb Afrikas erstaunen heute noch immer viele Experten. Wie konnten es diese frühen Menschen mit so kleinen Gehirnen vor 1,8 Millionen Jahren bis ins heutige Georgien schaffen? Vermutlich sind sie Tierherden gefolgt, denn eine konkrete Planung für solche langen Wanderungen traut ihnen kein Forscher zu. Antworten können jetzt neue Fossilien aus einer der fundreichsten Ausgrabungsstätten für Frühmenschenknochen in Europa geben.

    "Jetzt hatten wir die einmalige Gelegenheit, nicht nur einzelne Schädel zu finden, sondern auch Skelettreste. Die neuen Funde stammen von mehreren erwachsenen Individuen und einem Jugendlichen und zwar Knochen von Armen, Beinen, zudem einige Wirbel. Wir haben also zum ersten Mal die Skelettreste einer ganzen Gruppe entdeckt."

    Trotz der spektakulären und scheinbar nicht versiegenden Fossilien in Dmanisi gibt sich David Lordkipanidze gelassen. Seine Funde komplettieren allmählich das Bild der ersten Europäer, das durch die neuen Skelettfunde abermals korrigiert werden muss.

    "Die vorherrschende Meinung war, dass die Menschen, die Afrika bereits verlassen hatten, allesamt große Gehirne gehabt haben mussten. Unsere Funde in Dmanisi zeigen jedoch das Gegenteil. Beim Skelett dachten auch alle Experten, dass diese frühen Menschen eine moderne Anatomie zeigen mussten und groß waren, auch das stimmt nicht. Nur die Beine waren schon den späteren Menschen sehr ähnlich, ihre Arme hingegen waren noch bestens an das Leben auf Bäumen angepasst."

    Dies widerspricht allen bislang gängigen Lehrmeinungen. Die ersten Menschen, die den afrikanischen Kontinent verlassen hatten, hatten scheinbar nichts von der Kühnheit und der körperlichen Größe, wie sich das einige Experten jahrzehntelang vorgestellt hatten. Die ersten Europäer waren klein – die Schätzungen belaufen sich auf eine Größe zwischen 147 und 166 Zentimetern Körperhöhe bei einem Gewicht von knapp 50 Kilogramm – und hatten ein Gehirnvolumen, das nur etwas mehr als das heutiger Schimpansen ausmachte.

    "Sie waren noch in der Lage, auf Bäumen zu leben, wahrscheinlich haben sie sogar noch auf Bäumen geschlafen, obwohl sie schon gute Läufer waren."

    Die neuen Funde veranlassten David Lordkipanidze sogar, seine bislang bevorzugte Bezeichnung der Dmanisi-Fossilien als Homo georgicus vorerst ad acta zu legen.

    "Ob diese ganzen Merkmale ausreichen, diese Individuen als eigene Art zu bezeichnen, weiß ich nicht. Fakt ist, es sind die bislang primitivsten Funde von Homo erectus, deswegen weigere ich mich nicht, sie auch als Homo erectus zu bezeichnen."

    Damit zollt er wie mittlerweile ein Grossteil seiner Kollegen der großen Variabilität der Form Homo erectus Tribut. Die Vertreter dieser Menschenart waren vielfältiger als bislang angenommen, je nachdem, wo und wann sie unter welchen Umständen gelebt haben. Ein Ende, was die Fossilienfunde in Dmanisi angeht, ist noch lange nicht in Sicht.

    "Da mache ich mir keine Sorgen. Im kommenden Jahr werden wir die Ausgrabungen ausdehnen und sicher noch mehr finden. Wir haben jetzt ein viel besseres Bild vom ersten Vertreter der Gattung Homo in Europa, zumal er wesentlich primitivere Merkmale zeigt als dies alle Experten vermutet hatten. Aber er hat es bis nach Georgien geschafft und das zeigt wieder die Einzigartigkeit der Menschen. Schon vor 1,8 Millionen Jahren besaßen diese frühen Menschen die Fähigkeit und die Neugier eine neue Welt zu erobern."

    Für David Lordkipanidze sei es nur eine Frage der Zeit, bis vollständige Skelette der ersten Menschen in Europa in Georgien gefunden werden. Dann kann er mit seinen Kollegen vielleicht eindeutig klären, wie die ersten Menschen aussahen, die Afrika verlassen haben und nach Europa zogen.