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Neunaugen als Genfähren

Genetik. - Die biologische Vererbung von Generation zu Generation ist die Basis für Entwicklung des Lebens. Aber es geht auch anders. Auch Gene von außen können in unseren Körper gelangen, in unser Erbgut eindringen und sich dort niederlassen. Im Laufe von Jahrmillionen passen sie sich an und werden zu einem Teil von uns. Ein Beispiel für diesen horizontalen Gentransfer haben Konstanzer Zoologen bei Fisch-Parasiten entdeckt.

Von Michael Lange | 08.02.2013
    Nicht weit entfernt vom Bodensee erforscht der Zoologe Axel Meyer die Evolution von Fischen. Seine Versuchstiere leben in den zahlreichen Becken eines Aquariums, in einem verwinkelten Betongebäude der Universität Konstanz. Eine genetische Besonderheit entdeckte Axel Meyer kürzlich bei so genannten Neunaugen. Sie sehen aus wie Aale, sind aber keine Fische, sondern urzeitliche Wirbeltiere.

    "Sie haben ein rundes Maul, mit dem sie sich an ihren Opfern, das sind nämlich Fische, festsaugen können, und sie haben eine hornbesetzte, spitze Zunge, mit der sie Löcher in die Haut von Fischen raspeln können. Sie saugen Blut und Körpersäfte und haben diesen parasitären Lebensstil."

    Einige Meeresneunaugen werden über einen Meter groß, die meisten Flussneunaugen sind hingegen gerade mal so groß wie ein Bleistift. Sie alle leben parasitisch. In einem internationalen Konsortium untersuchte Axel Meyer das Erbgut der Neunaugen. Dabei fiel ihnen ein bestimmtes Element im Genom der Parasiten auf, das sich ständig wiederholte. Insgesamt 6 600 Mal fanden die Forscher das kleine genetische Element Tc 1. Seine Kopien machen etwa ein Prozent des gesamten Neunaugen-Genoms aus. Immer wieder die gleiche, scheinbar sinnlose Wiederholung. Außer in Neunaugen fanden die Forscher Tc 1 in atlantischen Lachsen, in Katzenwelsen und vielen nicht näher miteinander verwandten Fischarten. Meyer:

    "Es gibt diese besondere Untergruppe dieser Tc-1-Elemente in einigen, aber nicht in allen Fischgenomen. Und zwar haben wir dann bemerkt, dass sie vorhanden sind in den Genomen von Fischen, die von diesen Neunaugen parasitiert werden. Aber in Fischen, die zum Beispiel in den Tropen leben, wo diese Neunaugen nicht vorkommen, oder im Süßwasser, wo die Meeresneunaugen nicht hinkommen, nicht vorhanden sind. Und dann haben wir angefangen systematisch zu suchen."

    Weder Kugelfische, Stichlinge noch Zebrafische besaßen die genetischen Elemente aus dem Neunauge. Und auch nicht Säugetiere oder Frösche.

    "Da hat sich eben ein sehr klares Muster herausgebildet, dass die Arten, die von Neunaugen befallen werden, diese Tc-1-Elemente in ihrem Genom haben, und die, die nicht befallen werden, es nicht haben."

    Die verschiedenen Arten können das genetische Element nicht von den Neunaugen geerbt haben. Das Erbmaterial muss einen anderen Weg genommen haben. Es wurde wie eine Infektion von Fisch zu Neunauge und von Neunauge zu Fisch übertragen – also von Art zu Art. Biologen nennen das: einen horizontalen Gentransfer. Horizontaler Gentransfer ist üblich bei Bakterien, nicht jedoch bei höheren Organismen wie Fischen. Wie er hier vonstatten ging, darüber können die Evolutionsbiologen nur spekulieren.

    "Sicherlich könnte man sich vorstellen, dass Neunaugenzellen in den Organismus wandern, während dieses Akts des Parasitismus. Denn da werden ja Körperflüssigkeiten ausgetauscht. Da wird Blut ausgetauscht, aber natürlich auch Speichel dieser Neunaugen. Das wäre aber nur der erste Schritt. Dann müssten Gene aus den Zellen dieses Neunauges eingebaut werden in Zellen des Wirtsfisches. Und nicht nur in Zellen, die vielleicht Haut werden oder Blut werden, sondern auch in die Keimzellen. Das ist ja das Wichtige."

    Nur, wenn genetisches Material, also DNA, in das Erbgut von Eizellen oder Spermien eingebaut wird, kann es anschließend weiter vererbt werden. Irgendwie muss das während der langen gemeinsamen Geschichte von Neunaugen und Fischen geschehen sein.

    Hinweis: Zum Genaustausch in der Natur sendet der Deutschlandfunk am Sonntag, 10. Februar, 16:30 Uhr, in der Sendung "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Gene unterwegs.