Dienstag, 16. April 2024

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Neuverschuldung wegen Coronakrise
Brinkhaus (CDU): Schwarze Null ist für Union kein Dogma

Die jüngste Steuerschätzung sieht weniger Einnahmen für den Staat vor als im Vorjahr. Der Bund werde auch 2021 neue Schulden aufnehmen müssen, sagte Unions-Fraktionschef Ralf Brinkhaus im Dlf. Danach müsse man aber dem "süßen Gift der Verschuldung" widerstehen und ab 2022 ausgeglichen haushalten.

Ralph Brinkhaus im Gespräch mit Christoph Heinemann | 11.09.2020
Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestaga
Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestaga (imago-images / Thomas Imo)
Wie bereits befürchtet, reißt die Coronakrise ein großes Loch in den öffentlichen Haushalt. Laut einer Steuerschätzung des Bundesfinanzministeriums wird der Bund im laufenden Jahr gut 50 Milliarden Euro weniger einnehmen als noch 2019. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) kündigte deswegen bereits an, dass der Bund auch 2021 in erheblichem Maße neue Schulden aufnehmen müsse. Grund sind neben den niedrigen Steuereinnahmen aber auch die hohen Ausgaben für die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise. Die Rückkehr zu einem ausgeglichenen Haushalt bleibt daher im kommenden Jahr ausgeschlossen. Ab 2022 sollten aber keine neuen Schulden aufgenommen werden, sagte Ralph Brinkhaus (CDU), Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, im Deutschlandfunk. Am Steuerssystem wolle er nichts ändern, da dieses schon solidarisch und auf Umverteilung ausgelegt sei. Besonders Vermögende würden in Deutschland stark zur Kasse gebeten.
Christoph Heinemann: Herr Brinkhaus, wie wollen Sie das Loch im Haushalt stopfen?
Ralph Brinkhaus: Wir müssen da rauswachsen. Das heißt, 2021 werden wir das Loch nicht stopfen. Da werden wir in eine Verschuldung reingehen müssen und die Schuldenbremse tatsächlich aussetzen müssen. Dafür gibt uns die Verfassung die Möglichkeit. Das ist nicht schön, das ist für die Union schmerzhaft, das wird 2021 nicht anders gehen, aber wir wollen 2022 wieder zu Normalhaushalten zurück.
Heinemann: Was heißt rauswachsen?
Brinkhaus: Rauswachsen heißt, dass wir jetzt nicht den Haushalt kaputtsparen werden, dass wir jetzt nicht versuchen werden, durch hohe Steuererhöhungen irgendwas hinzubekommen, sondern wir müssen zusehen, dass die Wirtschaft wieder ans Wachsen kommt und dass insbesondere viele Menschen gut bezahlte Arbeit haben, denn das hat sich auch nach der Krise 2009 gezeigt. Viele Menschen in gut bezahlter Arbeit bedeutet ausgeglichene Haushalte.
Eine leere Fußgängerzone in der Stadt Öhringen.
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Heinemann: Warum nicht sparen? Das muss ja nicht kaputtsparen heißen.
Brinkhaus: Na ja. Kaputtsparen würde bedeuten, dass wir jetzt den Aufschwung, den wir ja wieder kriegen werden nach der Pandemie, abwürgen würden, dass wir aufhören würden mit Investitionen, und das sind Dinge, die wir nicht machen werden.
Heinemann: Wenn Sie die Grundrente vertagen würden, hat das keinerlei Auswirkungen auf den Aufschwung.
Brinkhaus: Ich glaube mal, dass man auch im sozialen Bereich verlässlich sein muss. Wir sind nicht die großen Freunde der Grundrente in dieser Form gewesen, aber wir haben sie jetzt zugesagt und die Union ist verlässlich und wird auch daran festhalten.
Heinemann: Können wir uns das leisten?
Brinkhaus: Das werden wir uns leisten können, wenn wir die Wirtschaft wieder auf einen guten Weg kriegen, und deswegen geht es jetzt auch darum – und da verhandeln wir auch mit der SPD drüber; das ist nicht immer einfach -, dass wir Bürokratieentlastung kriegen, dass wir schneller werden im Planungsverfahren und dass wir besser werden, so dass die Wirtschaft gute Rahmenbedingungen hat, damit sie schnell wieder wachsen kann.
Heinemann: Und wenn die Wirtschaft nicht mitspielt?
Brinkhaus: Wir gehen davon aus, dass die Wirtschaft mitspielt, weil wir eine gute Substanz in Deutschland haben, weil wir viele Unternehmen haben, die jetzt schon wieder auf einem guten Weg sind, und ich denke mal, dass die Kraft, die wir in Deutschland haben, insbesondere auch im Vergleich zu vielen, vielen anderen Ländern, weil das muss man ja auch sagen – bei allem, was schlecht gelaufen ist: wir sind viel, viel besser durch die Krise gekommen als andere Länder. Ich denke, da haben wir die Substanz und da können wir was draus machen.
"Wir haben keine Dogmen als Union"
Heinemann: Wieso wird dann über Hilfen für die Automobilindustrie nachgedacht?
Brinkhaus: Wir haben über die Automobilindustrie schon vor der Coronakrise gesprochen, weil dort ein erheblicher Strukturwandel ansteht. Das hat was mit Elektromobilität zu tun. Das hat aber auch was damit zu tun, dass sich das Verbraucherverhalten ändert. Da wird drüber geredet und das ist auch richtig so, wie man diesen Strukturwandel so gestalten kann, dass am Ende des Tages die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht die Dummen sind.
Heinemann: Wie schwer fällt der Abschied von der schwarzen Null?
Brinkhaus: Wir haben keine Dogmen als Union, sondern wir haben eine Haltung. Dogma würde sein: schwarze Null, koste es was es wolle. Haltung bedeutet, mit dem Geld so umgehen, dass man immer fiskal solide ist und dass man in den Situationen, wo es eben geht, keine neuen Schulden macht. Aber das bedeutet jetzt nicht, dass man da, wo es notwendig ist, jetzt auch Schulden macht, um nämlich Arbeitsplätze zu sichern, um die Gesundheit in diesem Land zu sichern. Dafür geben wir viel Geld aus und das ist auch gut angelegt.
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Heinemann: Und die Haltung gilt vor allem im Wahljahr?
Brinkhaus: Nein! Die Haltung hat immer schon gegolten, dass wir gesagt haben, wenn es irgendwie möglich ist, dann widerstehen wir all diesen Anwürfen, die wir ja auch in den letzten Jahren bekommen haben, wo gesagt worden ist, das Geld ist jetzt billig, jetzt macht mal Schulden, da könnt ihr das und das von bezahlen. Da haben wir gesagt: Nein, das machen wir nicht. Deswegen ist unser Ziel, 2022 müssen wir wieder auf den Pfad der Tugend zurück.
"Das süße Gift der Verschuldung"
Heinemann: Herr Brinkhaus, Norbert Röttgen möchte vorübergehend vom Ziel eines ausgeglichenen Haushalts abgehen, um nötige Investitionen zu ermöglichen. Sie auch?
Brinkhaus: Ich glaube mal, wir werden jetzt genau das auch im Jahr 2021 tun. Das heißt, es geht ja nicht um einen ausgeglichenen Haushalt. Haushalte sind immer ausgeglichen – wenn, dann durch Schulden. Aber, dass wir 2021 auch Schulden aufnehmen, um insbesondere – und das ist ganz wichtig – auch Kommunen Investitionen zu ermöglichen. Wir nehmen viel Geld in die Hand, damit Kommunen weiter investieren können, und ich denke, das ist auch richtig.
Wir müssen dann nur irgendwann auch wieder zurück auf den Normalhaushalt, und wenn ich jetzt sage, mit dem süßen Gift der Verschuldung, ich mach das jetzt, um Investitionen zu finanzieren auch 2023/23/24 – ich glaube, unsere Generation ist in der Verpflichtung, die Investitionen aus eigenen Mitteln zu finanzieren, das nicht auf die nächsten Generationen überzuwälzen. Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit und das ist für uns als Union sehr wichtig.
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Heinemann: Wie vorübergehend ist vorübergehend?
Brinkhaus: Vorübergehend bedeutet, dass wir 2021 den Haushalt, der jetzt von Olaf Scholz vorgelegt werden wird, nicht ohne eine neue Netto-Neuverschuldung über der Schuldenbremse hinbekommen werden. Das haben wir jetzt akzeptiert. Und 2022 muss es wieder in die richtige Richtung gehen und da werden wir auch mit Olaf Scholz drüber sprechen, und das wird übrigens auch eine spannende Auseinandersetzung im Wahljahr werden.
"Hohes Vermögen bedeutet auch immer Betriebsvermögen"
Heinemann: Warum werden nicht die besonders Vermögenden zur Kasse gebeten?
Brinkhaus: Die besonders Vermögenden werden in Deutschland schon zur Kasse gebeten. Wir haben sehr hohe Einkommenssteuersätze für die Menschen, die viel Geld verdienen. Aber hohes Vermögen bedeutet in Deutschland auch immer Betriebsvermögen, und wenn wir den Mittelständlern, die jetzt die Arbeitsplätze schaffen wollen, dann auch noch Geld wegnehmen, ich glaube mal, das ist nicht besonders clever.
Heinemann: Das heißt aber nicht immer auch Betriebsvermögen.
Brinkhaus: Ja! Aber wir haben in Deutschland die Situation, dass da sehr, sehr viel Betriebsvermögen drin ist, und dementsprechend glaube ich, dass diese Diskussionen, die jetzt geführt werden – und damit sind wir ja am Anfang unserer Diskussion -, wie kriegen wir das Haushaltsloch gestopft, und dann zu sagen, jetzt nehme ich es den "Reichen" mal weg, das ganze Geld, und dann wird alles gut, das wird nicht dazu führen, weil in Deutschland sehr viel Vermögen bei Handwerksbetrieben, bei Selbständigen, bei Mittelständlern in diesem Betriebsvermögen drin ist.
Heinemann: Herr Brinkhaus, Kassiererinnen und Pfleger haben in der Corona-Zeit auch reiche Leute versorgt. Was haben diese reichen Leute für die Kassiererinnen und die Pfleger geleistet?
Brinkhaus: Die haben auch höhere Steuern gezahlt und insofern haben wir bereits jetzt – und das ist eine gute Frage, die Sie stellen – ein sehr solidarisches Steuersystem, wo die starken Schultern wesentlich mehr tragen als die schwachen Schultern.
Heinemann: Das Ergebnis Ihrer Steuerpolitik ist, die Reichen werden reicher und die Armen abgehängt. Warum endet für Sie beim Geld das C Ihres Parteinamens?
Brinkhaus: Wie kommen Sie darauf, dass wir eine Steuerpolitik machen, wo wir die Armen abhängen? Wir haben einen Staat in Deutschland, wo wir sehr, sehr viel umverteilen. Das sagen uns auch alle Statistiken, die wir international haben, wo es gerade so ist, dass wir dafür sorgen mit vielen, vielen Sozialleistungen. Wir haben gerade über die Grundrente gesprochen, die Sie eben kritisiert haben. Die können wir uns nicht leisten, die wir aber als Union mitgemacht haben, um gerade die Leute zu fördern, die gearbeitet haben und hinterher nicht so viel haben. Wir werden jetzt die Hartz-Sätze erhöhen. Wir werden das Kindergeld erhöhen. Das heißt, wir haben ganz, ganz viele Maßnahmen, wo wir auch insbesondere den Leuten, denen es nicht so gut geht, versuchen, das Leben besser zu gestalten. Und ich glaube mal, das ist sehr viel C, was wir haben, und insofern bedanke ich mich auch noch mal für die etwas provozierende Frage.
"Deutschland entwickelt sich nicht in Richtung Südeuropa"
Heinemann: Weil die Schere weiter auseinandergeht?
Brinkhaus: Nein, die Schere geht nicht weiter auseinander. Wir haben da eigentlich in den letzten Jahren sehr, sehr gut gearbeitet und haben sehr, sehr gut daran gearbeitet, dass wir auch dafür gesorgt haben, dass den Menschen, denen es nicht so gut geht, dann auch entsprechend Hilfen zugewiesen werden. Wir werden das jetzt zum Beispiel im Bereich der Digitalisierung der Schulen machen. Da werden wir sagen: Nein, wir müssen auch die Kinder in den Familien, wo nicht so viel Geld ist, entsprechend ausstatten. Und ich glaube, das ist auch richtig so.
Heinemann: Herr Brinkhaus, was kann sich ein Millionär nicht mehr leisten, wenn er oder sie 100.000 Euro abgeben muss?
Brinkhaus: Das weiß ich nicht, was sich ein Millionär nicht mehr leisten kann, wenn er 100.000 Euro abgeben muss. Aber wir haben die Situation, dass es so ist, dass Millionäre ja auch schon die entsprechenden Steuern dann zahlen. Ich glaube mal, wir haben ein sehr ausgewogenes Steuersystem. Wir haben hier einen sehr, sehr guten Zusammenhalt. Wir haben eine Situation, dass starke Leute mehr zahlen als schwache Leute, und das ist auch gut und richtig so und das ist auch die Politik meiner Fraktion.
Heinemann: Herr Brinkhaus, die französische Tageszeitung "Le Monde" feierte in dieser Woche schon Angela Merkels wirtschaftspolitische Grundsatzwende hin zum keynesianistischen Staatsinterventionismus. Entwickelt sich Deutschland in Richtung Südeuropa?
Brinkhaus: Nein. Deutschland entwickelt sich nicht in Richtung Südeuropa. Im Gegenteil! Dadurch, dass wir jetzt sehr, sehr gut gewirtschaftet haben in den letzten Jahren, haben wir auch jetzt die Möglichkeiten, dann die entsprechenden Schulden aufzunehmen, und insofern stehen wir ordnungspolitisch als Union immer noch da, wo Ludwig Erhard gestanden hat.
Heinemann: Olaf Scholz ist da schon weiter. Er hat ganz klar gesagt, die gemeinsame Schuldenaufnahme der EU werde bleiben. Wann macht sich die Union in dieser Frage ehrlich?
Brinkhaus: Was heißt ehrlich machen? Wir haben gesagt, das wird nicht so bleiben, sondern wir werden aus diesem Sonderprogramm, was Corona-bedingt ist, was auch notwendig ist, weil es gibt übrigens nicht nur eine Solidarität innerhalb eines Landes, sondern es gibt auch eine Solidarität innerhalb der Europäischen Union. Das werden wir weiterführen. Aber danach werden die entsprechenden Länder auch wieder selber klarkommen müssen.
CDU-Kanzlerkandidaten und die Haushaltspolitik
Heinemann: Welcher der drei bis vier CDU-Kanzlerkandidaten steht für eine Haushaltspolitik in Ihrem Sinne?
Brinkhaus: Wer ist denn jetzt der drei bis vier? Das müssen Sie mir erklären. Drei sind mir klar. Wer ist der drei bis vier?
Heinemann: Merz plus Laschet plus Röttgen plus vielleicht Jens Spahn gleich vier.
Brinkhaus: Na ja. Der hat ja gesagt, dass er Herrn Laschet den Vortritt lässt.
Heinemann: Warten wir’s ab!
Brinkhaus: Warten wir’s ab, ja!
Heinemann: Dann schauen wir auf die drei.
Brinkhaus: Dann schauen wir auf die drei. – Ich denke mal, es ist die DNA von der Union und übrigens auch – wir können jetzt auch noch nach Bayern schauen – die DNA von Markus Söder, dass wir vernünftig mit dem Geld umgehen, und ich glaube mal, die Entscheidung …
Heinemann: Der hat gesagt, er würde in Bayern bleiben.
Brinkhaus: Genau! Der hat gesagt, er wird in Bayern bleiben. Aber wir halten ja gut mit der CSU zusammen und stimmen da auch alles entsprechend ab, und ich glaube mal, es ist unsere Grund-DNA, dass wir vernünftig mit Geld umgehen. Das wissen die Menschen auch und da können sie sich auch drauf verlassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.