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Neuwahl wäre "ein Endspiel für Griechenland um den Euro"

Der FDP-Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis glaubt, dass die Sparauflagen mit einer künftigen griechischen Regierung neu verhandelt werden. Die bisherige Politik der Troika habe das Land in die gegenwärtige Situation gebracht. "Den Griechen muss aber auch klar sein, dass natürlich eine Politik des "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" nicht geht", sagt er.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Christine Heuer | 11.05.2012
    Christine Heuer: Auf der Suche nach einer regierungsfähigen Koalition machen die Griechen nun doch überraschende Fortschritte. Nach Gesprächen mit dem sozialistischen Verhandlungsführer Evangelos Venizelos haben sich heute die griechischen Konservativen grundsätzlich bereit erklärt, an einer Koalitionsregierung teilzunehmen. Fehlt mindestens noch ein Bündnispartner für eine Mehrheit im Athener Parlament, und das könnte die Demokratische Linke sein.

    Und doch: Es sieht etwas besser aus in Griechenland, eine Koalition scheint immerhin wieder möglich zu sein – offenbar allerdings nur um den Preis, dass der den Griechen verordnete Sparkurs zumindest gelockert, wenn nicht ganz aufgegeben wird.

    - Am Telefon begrüße ich den liberalen Europaabgeordneten Jorgo Chatzimarkakis. Guten Tag nach Brüssel!

    Jorgo Chatzimarkakis: Guten Tag, Frau Heuer.

    Heuer: Herr Chatzimarkakis, Griechenland bleibt im Euro, gibt aber das Sparen auf. Das ist ja ein interessantes Szenario. Könnten die Europäer das akzeptieren?

    Chatzimarkakis: In der Tat ist die große Mehrheit der Griechen, fast 80 Prozent, für den Verbleib im Euro. Aber fast eine annähernd große Zahl ist auch dafür, dass die Sparauflagen gelockert oder ganz beendet werden. Das ist natürlich die Quadratur des Kreises, es geht nicht. Aber was geht, ist - und was die Europäer machen müssen: Sie müssen sich die Wirtschaftsrahmendaten anschauen. Gestern sind neue Daten veröffentlicht worden: Die Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland liegt bei 50 Prozent, die Arbeitslosenquote allgemein liegt bei 21 Prozent, 500.000 Griechen, eine halbe Million Menschen, ist ohne jegliches Einkommen. Ein Fünftel der Gesellschaft ist an der Armutsgrenze, lebt an der Armutsgrenze. Das erinnert sehr stark an Weimar. In der Weimarer Zeit hat in Deutschland der sogenannte Young-Plan ja damals in die Rezession hinein Sparauflagen nötig gemacht. Wir wissen alle, wohin das führte. Auch in Griechenland erleben wir eine Radikalisierung des politischen Systems und deswegen sollten die Europäer Weimar in Griechenland vermeiden und sich die Wirtschaftsdaten genau anschauen und entsprechende Anpassungen der Sparauflagen vornehmen.

    Heuer: Moment, Herr Chatzimarkakis! Entschuldigung! Verstehe ich Sie richtig? Sie sagen, mit dem Sparprogramm muss Ende sein. Oder aber wenigstens muss es aufgeweicht werden, weil die Lage in Griechenland das weitere Sparen nicht mehr hergibt?

    Chatzimarkakis: Es kann kein Ende mit dem Sparprogramm sein, übrigens auch in Deutschland nicht, auch in Frankreich nicht, auch in Belgien nicht. Der Fiskalpakt ist in der Tat beschlossen. Ratifiziert haben ihn im Übrigen nur zwei Länder, nämlich Griechenland und Portugal. Deutschland hat ihn noch gar nicht ratifiziert, diesen Fiskalpakt. Wir hatten ja die Diskussion heute im Bundestag. Also, die Sparpolitik wird auch weitergehen, weil wir alle über unsere Verhältnisse gelebt haben. Die Frage ist nur: Wollen wir einige Länder totsparen. Und deswegen bin ich sicher, dass die Europäische Union sich angesichts der neuen Wirtschaftsdaten durchaus mit griechischen Politikern zusammensetzen wird, wenn sie es denn schaffen, eine neue Regierung zu bilden. Und die Voraussetzung wird sein, dass diese neue Regierung eine europafreundliche Regierung ist, die alles daran setzt, Griechenland im Euro zu belassen, aber gleichzeitig auch alles daran setzt, Griechenland nicht zum Europafeind zu machen, indem die Menschen verarmen, denn das muss man ja sehen: 500.000 Menschen ohne jegliches Einkommen, das ist eine Zahl, die ist ohne gleichen in der Europäischen Union.

    Heuer: Sie sind also für Neuverhandlungen der Europäischen Union mit Griechenland über das Sparprogramm?

    Chatzimarkakis: Die wird es ohnehin geben.

    Heuer: Entschuldigung! Das sieht Ihr Parteifreund Guido Westerwelle – wir haben das ja gerade gehört – ganz anders. Leisten Sie da noch persönliche Überzeugungsarbeit?

    Chatzimarkakis: Da muss man auch persönliche Überzeugungsarbeit leisten, aber ich glaube, die Zahlen sprechen ja für sich. Kein Europäer kann die Augen davor verschließen, dass die Politik der Troika, die von Anfang an auf nicht richtigen Daten beruhte, taktisch falsch war, dass die Politik der Troika, muss man schon sagen, das Verhandeln der Troika letztendlich in diese Situation geführt hat. Den Griechen muss aber auch klar sein, dass natürlich eine Politik des "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass" nicht geht. Viele Griechen wissen nicht, ihnen ist nicht bewusst, dass sie im Grunde vor der Alternative Europa - ich überspitze jetzt - oder Afrika stehen. Also zu Europa zu gehören mit afrikanischen Bedingungen, das wird nicht gehen. Und deswegen müssen die Griechen eben auch verstehen: Sie haben bis Sonntag Zeit, eine Regierung zu bilden, dann läuft auch die Frist ab, bis zu der der Staatspräsident einen letzten Versuch machen kann, eine ökumenische, eine All-Parteien-Regierung zu bilden. Wenn dies nicht der Fall ist, dann wird es Neuwahlen geben, nach der Verfassung nach sechs Wochen, wahrscheinlich am 17. Juni. Und das ist dann ein Endspiel. Das ist ein Endspiel für Griechenland um den Euro, das wird den Griechen dann auch klar gemacht werden. Sie werden dann sich für oder gegen den Verbleib in der Euro-Zone entscheiden. Da wird es dann nicht mehr um einzelne Parteien gehen, sondern es wird tatsächlich um große Parteienbündnisse gehen, die sich für oder gegen Europa stellen.

    Heuer: Dann lassen Sie uns mal ins Detail gehen. Das Sparprogramm wird noch einmal verhandelt, betrifft das möglicherweise auch die Schulden, was schlagen Sie vor, Herr Chatzimarkakis?

    Chatzimarkakis: Ich schlage vor, dass man die guten Vorarbeiten, die von Herrn Westerwelle auch im Auswärtigen Amt gemacht wurden, zum Thema Wachstumspakt – das hat er wohlweißlich gemacht, der gute Guido Westerwelle, weil er wusste, dass wenn Francois Hollande gewinnt, dieses Thema eine Rolle spielen wird -, dieser Wachstumspakt in Europa ist ein nettes Wort, aber er muss mit Zahlen unterfüttert werden. Was ausgeschlossen ist, ist Wachstum auf Pump. Was also nicht infrage kommt, ist, dass man die Sparauflagen einfach lockert, indem man gutes Geld schlechtem nachwirft. Nein, man muss jetzt erst mal alles dafür tun, dass in Griechenland die staatlichen Institutionen, die eine Wachstumsinitiative, also Schaffung neuer Jobs, Deregulierung geschlossener Berufe, Privatisierungen, die seit Jahren anstehen, aber eben doch nicht gemacht werden, dass die durch die staatlichen Institutionen Griechenlands auch gemacht werden. Der Staat ist paralysiert in Griechenland. Hier braucht es eine enorme Anstrengung, um diesen Staat wieder in Gang zu kriegen. Laut einer OECD-Studie sind 95 Prozent aller Beamten in Griechenland quasi überflüssig, das ist auch eine Rekordzahl. Und ein Wachstumspakt kann nur dann greifen, wenn tatsächlich der Staat auch das Geld in die Wirtschaft bringen kann. Aber da sind gute Vorarbeiten geleistet worden vom Auswärtigen Amt und wir werden jetzt am 23. Mai einen informellen Gipfel erleben der Staats- und Regierungschefs, zum ersten Mal mit Francois Hollande, wo über solche Themen sich konkret Gedanken gemacht wird. Das ist noch lange vor der zweiten Wahlrunde in Griechenland.

    Heuer: Könnten neue Verhandlungen mit Griechenland auch die Schulden betreffen, die Schuldenzurückzahlung? Könnte es einen Schuldenerlass geben oder einen teilweisen Schuldenerlass?

    Chatzimarkakis: Einen weiteren Schuldenerlass vermag ich im Moment nicht zu erkennen. Ich glaube, es war ein Riesenkraftakt, den großen Haircut, den großen Schuldenerlass, von 100 Milliarden Euro für Griechenland hinzubekommen. Das hat Erfolge gezeitigt. Griechenland ist von einer Ratingagentur aufgewertet worden. Ich glaube nicht, dass es noch mal reicht für einen zweiten so großen Kraftakt. Was aber sicherlich passieren wird ist die Streckung, dass man bestimmte Mittel streckt. Auch Deutschland hat die Rückzahlung seiner Schulden, die aus den Weltkriegen stammen, erst vor wenigen Jahren abgeschlossen. Also, dass man solche Rückzahlungen auf weite Zeiträume streckt, das ist nicht unüblich und das könnte in Griechenland tatsächlich neu verhandelt werden.

    Heuer: Nun hat der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble gerade eben erst gesagt, die Euro-Zone würde das Ausscheiden Griechenlands notfalls schon verkraften. Herr Chatzimarkakis, ist das nur Wortgeklingel. Oder wäre das nicht die klarste und einfachste Lösung für alle Beteiligten?

    Chatzimarkakis: Es ist mittlerweile kein Wortgeklingel mehr, weil wir kurz davor sind, den ESM, also den großen Rettungsfonds, den echten Rettungsfonds, in Europa zu bekommen. Er ist noch nicht ratifiziert, aber es ist im Juni/Juli damit zu rechnen, dass dieser ESM eine tatsächliche Brandmauer ist, die uns schützt vor einem Ausscheiden eines kleineren Landes aus der Euro-Zone, wie es eben Griechenland ist. Vor der Schaffung des ESM wäre es schwieriger gewesen, mittlerweile hat sich aber die Gesamtmarktlage beruhigt. Man muss ehrlich auch es den Griechen sagen, dass vieles schon eingepreist ist. Ein mögliches Ausscheiden Griechenlands ist in der Tat schon eingepreist. Ein Dominoeffekt könnte passieren, die Ansteckungsgefahr auf andere Länder könnte passieren, ist aber weniger wahrscheinlich als früher. Insofern, glaube ich, ist es kein Wortgeklingel, wenn Wolfgang Schäuble das sagt, sondern es ist der berechtigte Hinweis darauf, dass die Geduld auch der Gläubiger, auch der Geldgeber am Ende ist. Auf der anderen Seite haben die Gläubiger sich nicht genau genug angeschaut, was das politisch in Griechenland verursacht und bedeutet, und darum wird es jetzt gehen, dass man ganz offen miteinander spricht, dass man ganz klar sagt, wir drohen euch Griechen nicht, das Ausscheiden aus der Euro-Zone ist ein konkretes Szenario, aber entscheiden darüber tut ihr. Wenn ihr am 17. Juni noch mal wählt, entscheidet ihr allein über euer Ausscheiden oder über euer Verbleiben in der Euro-Zone.

    Heuer: Aber die Euro-Zone würde auch ein Ausscheiden Griechenlands verkraften. – Das war der liberale Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch.

    Chatzimarkakis: Danke nach Köln.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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