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Neuwahlen in Großbritannien
"Eine einmalige Gelegenheit, Labour zu schlagen"

Premierministerin Theresa May kann mit vorgezogenen Neuwahlen ihre Gegner ausschalten und die eigene Partei hinter sich bringen: "Sie muss nicht nur die 52 Prozent, die letzten Juni für den Brexit gewählt haben, mobilisieren, sondern auch die 28 Prozent in ihrer eigenen Partei", sagte der Politologe Anthony Glees im DLF. Doch der Schachzug berge auch Risiken.

Anthony Glees im Gespräch mit Susanne Schrammar | 18.04.2017
    Die britische Premierministerin Theresa May hat bei einer überraschenden Ansprache Neuwahlen angekündigt.
    Die schlechten Umfragewerte der Labour-Partei sprächen für die von Premierministerin Theresa May ausgerufenen vorgezogenen Neuwahlen, so Politologe Anthony Glees. (imago)
    Susanne Schrammar: Was sind die Hintergründe für die vorgezogenen Neuwahlen in Großbritannien? Darüber spreche ich nun mit Anthony Glees, Politologe an der Buckingham University. Die Entscheidung von Premierministerin Theresa May kam ja ziemlich überraschend, auch für Sie, Herr Glees?
    May als Gegenentwurf zu den harten Brexitern
    Anthony Glees: Es war eine Überraschung, aber man soll sich nicht zu überrascht fühlen, denn es gab auch vernünftige Gründe, die hinauszuklügeln wären. Und die Gründe waren erstens, dass in den Meinungsumfragen die Torys bei 44, 45 Prozent lagen, Labour dagegen, die Opposition, bei 23, 22 Prozent. Das war eine einmalige Gelegenheit, Labour zu schlagen. Und ich glaube, zwei Sachen wären passiert, wenn Frau May nicht zu den Wahlurnen aufgerufen hätte.
    Erstens, in ihrer eigenen Partei würden die Abgeordneten oder auch die Mitglieder der Partei es nicht verstehen können – sie hat jetzt eine Mehrheit von vielleicht 17 Sitzen. Bei diesen Meinungsumfrageresultaten bekäme sie eine Mehrheit von hundert. Das war das Erste.
    Und das Zweite war, dass Frau May eigentlich, wenn sie gewinnt und wenn sie mit einer großen Mehrheit gewinnt, dann gewinnt sie eine große Mehrheit für ihren Brexit, das heißt, nicht den Brexit von Nigel Farage und von den harten Männern und Frauen in ihrer eigenen Partei.
    Denn wenn ihre Mehrheit im Parlament größer ist, so ist das Gewicht von den harten Brexitern weniger. Und wenn man genau hinguckt und genau sieht, das, was Frau May vom Brexit will, ist eigentlich nicht dasselbe, was Nigel Farage und in ihrer eigenen Partei die Brexiter, die harten Brexiter haben werden.
    Schrammar: Also ein geschickter Schachzug der Premierministerin?
    Glees: Ein geschickter Schachzug von einer eiskalten Pokerspielerin. Aber, wie immer im Leben: Es kann vielleicht auch schief gehen für sie, denn sie muss nicht nur die 52 Prozent, die letzten Juni für den Brexit gewählt haben, mobilisieren, sondern auch die 28 Prozent in ihrer eigenen Partei, die dagegen gewählt haben. Das wird schwierig für sie sein, denn viele, die für den Brexit gewählt haben, waren keine Torys. Das ist das Problem für sie.
    Mehrheit für den Brexit ist gewachsen
    Schrammar: Theresa May hat ja gesagt, sie wünscht sich durch die Neuwahlen Rückhalt, Stärke, Ruhe im Hinblick auf die Brexit-Verhandlungen. Ist aber nicht auch zu befürchten, dass die Neuwahlen möglicherweise die Spaltung in Großbritannien vertiefen, wenn denn die Brexit-Anhänger gestärkt würden?
    Glees: Es ist gut möglich, denn die Mehrheit für den Brexit und die Mehrheit ist einigermaßen gewachsen in den letzten Wochen und Monaten. Das ist eine Mehrheit eigentlich in England, nicht in Großbritannien, nicht in Nordirland zum Beispiel, nicht in Schottland.
    Aber die Wahlen, die jetzt am 8. Juni stattfinden werden, die sind Wahlen für Schottland, Nordirland und England und Wales. Es kann vielleicht nicht so genau ausgehen, wie sie hofft. Aber dass es eine Gelegenheit für sie ist, das allerdings. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass diese Gelegenheit sich nicht anbieten würde, wenn die Labour-Partei einen anderen Führer oder eine andere Führerin hätte.
    Wahlen noch vor den spürbaren Folgen des Brexit
    Schrammar: Sie, Mister Glees, haben sich als Politologe immer für eine schnelle und harte Scheidung zwischen Großbritannien und Europa ausgesprochen. Werden jetzt die Neuwahlen die Brexit-Verhandlungen verzögern?
    Glees: Ich glaube nicht, dass sie die Verhandlungen verzögern. Von Frau Mays Seite ist es günstig, jetzt zu den Wahlurnen zu gehen, weil Großbritannien immer noch in der Europäischen Union ist und eigentlich nur wenige Nachteile jetzt spürt, was das bedeuten soll, aus dem Binnenmarkt zu fliegen oder aus der Zollunion zu fliegen.
    Wenn die Wahlen aber in zwei Jahren stattfinden würde, wie das eigentlich gesetzmäßig stattfinden sollte, dann gäbe es bestimmt noch viele Nachteile, die nicht nur zu spüren wären, sondern die eigentlich schon politische Realitäten wären.
    "Labour kann sehr schnell einen neuen Führer haben"
    Schrammar: Wenn wir bei der deutschen Perspektive bleiben: Der deutsche Bundesaußenminister Sigmar Gabriel erhofft sich von möglichen Neuwahlen mehr Berechenbarkeit jetzt in den Verhandlungen der Europäischen Union mit Großbritannien. Teilen Sie diese Hoffnung?
    Glees: Immer. Immer. Wie bei einer Ehe zwischen zwei Menschen: Wenn die Ehe zerplatzt, ist es immer Grund, sehr traurig zu werden. Aber man soll die Trauer nicht in eine Tragödie verwandeln. Es nutzt keinem. Frau May ist die beste Hoffnung, dass der Brexit, der bestimmt kommen wird jetzt, nicht so schlimm ausfallen wird, wie wenn ein anderer ihre Stelle hätte.
    Und ich glaube, sie hat auch den Harten in ihrer eigenen Partei gezeigt, dass wer die Initiative ergreift, kann auch die Geschichte dann gestalten. Das wird ihre Hoffnung sein. Aber wissen Sie, die Politik, das ist eine ganz komische Sache. Es kann alles sich sehr schnell ändern, Labour kann sehr schnell einen neuen Führer haben.
    Und der britische Wähler ist vielleicht nicht so glücklich, nach dem 23. Juni im letzten Jahr nochmals an die Urnen zu gehen. Es können schon viele Überraschungen noch kommen.
    "May kann auch eine Überraschung erleben"
    Schrammar: Sie haben eingangs gesagt, die Labour-Partei steckt in einem historischen Tief. Jetzt unterstützt sie den Vorstoß der Ministerin. Wie werden die Labour-Anhänger denn den Wahlkampf jetzt Ihrer Meinung nach zu nutzen versuchen, um aus diesem Stimmentief zu klettern?
    Glees: Mit großer Schwierigkeit. Die Führer, das heißt, Jeremy Corbyn und John McDonnell waren immer Brexiter eigentlich, aus tiefem sozialistischem Grundgedanken. Aber wir wissen genau, die Mehrheit der Labour-Wähler waren für einen Verbleib in der Europäischen Union. Sie waren ein wichtiger Teil der 48 Prozent, die für einen Verbleib in der Europäischen Union gestimmt haben.
    Die einzige Hoffnung für Labour ist, dass Jeremy Corbyn jetzt in den nächsten Wochen abdankt. Es ist möglich, nicht wahrscheinlich, weil er sagte – es war ja auch ein Grund, weswegen Frau May jetzt zu Wahlen aufruft –, dass er 2020 nicht mehr an der Spitze der Labour-Partei kandidieren wollte. Also auch aus diesem Grund eine Gelegenheit für Frau May. Wenn Labour jetzt klug das politische Spiel spielt, dann kann Frau May auch eine Überraschung erleben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.