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New Yorker Musikerin Joan As Policewoman
Harte Schale, weicher Kern

Joan Wasser trägt schwarzes Leder, Sonnenbrille und fährt ein altes Polizeiauto. Mit sechs lernte sie Klavier, mit acht Violine und entpuppte sich als regelrechtes Wunderkind. Als Joan As Police Woman macht die 1970 geborene New Yorkerin sphärischen Pop Noir in düsterer, tiefer Mischung, die genauso fasziniert wie die Musikerin selbst.

Von Marcel Anders | 15.04.2018
    Eine Frau sitz am Steuer eine alten amerikanischen Polizeiautos. Die Autotür ist geöffnet. Ein Bein stellt sie auf dem auf dem Boden.
    Joan Wasser alias Joan As Police Woman (Allison Michael Orenstein)
    Musik "Tell Me"
    "Tell Me", die erste Single aus dem siebten Studio-Album von Joan As Police Woman. Das ist Anfang Februar erschienen - und das bislang zugänglichste und kommerziellste der kleinen New Yorkerin. Die Künstlerin heißt eigentlich Joan Wasser und hat in den letzten 27 Jahren eine erstaunliche Karriere hingelegt: Von Fachpresse und Feuilletons zur ganz großen Musikerin der Gegenwart hochgejubelt – aber von der breiten Masse, vom Mainstream-Publikum, weitgehend ignoriert. Einfach, weil Joan keine Hits in den internationalen Charts hat, kaum im Radio gespielt wird und primär durch Clubs tingelt.
    Undurchdringliche Mimik
    So auch mit "Damned Devotion", das von der Kritik hochgelobt wird. Ende Dezember 2017: Joan Wasser empfängt in Berlin zum Interview. Eine Frau mit harter Schale, aber weichem Kern, verschanzt hinter Sonnenbrille, schwarzem Leder und undurchdringlicher Mimik. Die 47-Jährige hat viel erlebt und mitgemacht. Dementsprechend verschlossen wirkt sie im Gespräch, will zunächst nicht zu viel über sich und ihre Gefühlswelt verraten, muss erst auftauen und regelrecht geknackt werden. Dann ist sie äußerst charmant und erzählt eine Geschichte, die für mehrere Leben reicht.
    "Ich habe schon so viel erlebt, dass es sich manchmal ein bisschen alarmierend anfühlt. Aber ich bin froh, dass ich immer noch hier bin. Davon bin ich selbst überrascht, weil ich mehrfach vom Schicksal übertölpelt wurde. Weil ich vor aller Augen zusammengebrochen bin. Und immer wieder aufstehen und von vorne anfangen musste. Weil ich nie wusste, wie ich das überleben soll."
    Musik "Burn This Bridge"
    Joan Wasser wächst in Norwalk, Connecticut, auf - 90 Autominuten nordöstlich von New York. Eine 90.000 Seelenstadt. Gutbürgerlich. Sauber. Kinderfreundlich. Mit sechs lernt Joan Klavier, mit acht Violine. Sie entpuppt sich als regelrechtes Wunderkind, bekommt ein Stipendium an der Universität Boston, studiert bei Yuri Mazurkevich und wird Teil des Sinfonie Orchesters. Damit tourt sie um die Welt, fühlt sich in der Welt der Klassik aber nicht wirklich wohl - und beginnt zu rebellieren.
    "Ich hatte schon früh ein Problem mit Autorität. Mir war bereits mit elf Jahren klar, dass die Welt aus dem Ruder läuft. Und das habe ich immer noch in mir - selbst, wenn ich mittlerweile nicht mehr ganz so wütend bin. Ich hege zum Beispiel keinen Groll mehr gegen Polizisten. Und ich versuche auch nicht mehr, so schnell zu fahren. Ich schätze, ich werde langsam besser." (lacht)
    Naiv und tiefromantisch - perfekt für die Generation X
    Joan hört Punkrock, spielt ihre Violine gerne laut und schräg und steigt Anfang der 90er bei den Dambuilders ein. Eine Band aus Boston, die Indie-Rock spielt, aber bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag steht und 1994 tatsächlich einen Mini-Hit landet. Die Single "Shrine" läuft bei MTV und im College-Radio und ist politisch hyper-korrekt. Sie beschreibt eine Liebesgeschichte zwischen einem weißen Jungen und einer indianischen Ureinwohnerin - und wie die beiden durch Verständnis und Weltoffenheit sowohl kulturelle, gesellschaftliche wie auch religiöse Barrieren überwinden. Naiv und tiefromantisch - perfekt für die Generation X.
    Musik "Shrine"
    Die Dambuilders nehmen sechs Alben auf. Drei davon mit Joan als Violinistin, Keyboarderin und Background-Sängerin, die durch schrille Klamotten und gefärbte Haare auffällt. 1995 tritt die Band beim Lollapolooza-Festival auf. Zu ihren Fans zählen REM und Radiohead - wegen Joans aggressivem Spiel, das ihr zahlreiche Anfragen beschert. Als sich die Dambuilders 1997 auflösen, zieht sie nach New York und arbeitet als Session-Musikerin - sehr erfolgreich.
    Musik "For Today I´m A Boy"
    Antony & The Johnsons, aus ihrem Debüt "I'm A Bird Now", das mit dem Mercury-Preis ausgezeichnet wird. Joan tritt der Band 1999 bei. Und arbeitet nebenher für so unterschiedliche Auftraggeber wie Elton John, Lou Reed, Rufus Wainwright, John Cale, Sheryl Crow, die Scissor Sisters, Sparklehorse, Dave Gahan, Fishbone, Laurie Anderson und viele andere. Joan begleitet im Studio oder auf der Bühne. Mit den meisten Kollegen freundet sie sich auch privat an. Selbst mit Lou Reed, der als regelrechter Menschenfeind gilt.
    "Ich kannte ihn schon eine Weile, bis ich irgendwann mit ihm getourt bin und mit ihm auf der Bühne gesungen habe. Das war einer DER Höhepunkte meines Lebens, denn die Art, wie seine Band die Songs zum Leben erweckt hat, war geradezu transzendental. Ich habe mich komplett in dem Sound verloren. Was das Größte ist, was du mit Musik erreichen kannst. Eine Menge Leute verwenden Drogen, um dahin zu kommen. Aber wenn die Musik gut genug ist - wie bei ihm - braucht man die gar nicht. Und Lou war so liebevoll und nett zu mir. Er hat mich permanent angestachelt, noch besser zu werden. Aber nicht auf eine böse Art und Weise. Für mich war er wie ein Mentor."
    Koryphäe der Avantgarde- und Underground-Szene
    Die Freundschaft hat einen Schneeballeffekt: Joan wird in der New Yorker Avantgarde- und Underground-Szene als Koryphäe hofiert und kann sich vor Angeboten kaum retten. Obwohl das für gewaltigen Stress und Termin-Druck sorgt, lässt sie sich nur zu gerne darauf ein - und ist bis heute offen in viele Richtungen.
    "Ich fände es toll, wenn mich Madlip anrufen würde - oder wenn RZA oder Andre 3000 mit mir aufnehmen wollten. Es gibt eine Menge Leute, die ich interessant finde. Wobei mein Problem darin besteht, dass ich nicht nein sagen kann. Das ist vielleicht nicht gut für meine Gesundheit, aber egal."
    Zuletzt nimmt sie ein bislang unveröffentlichtes Album mit David Sylvian auf und bestreitet ein MTV Unplugged-Konzert mit Placebo.
    Musik "Protect Me From What I Want"
    Musik "Holy City"
    Seit Mitte der 2000er konzentriert sich Joan auf ihre Solo-Karriere. Der Künstlername Joan As Police Woman basiert auf ihrer Lieblings-Serie: "Police Woman", läuft von 1974 bis 1978 im US-Fernsehen und dreht sich um eine ebenso adrette wie schlagfertige Undercover-Polizistin. Zudem hat Joan eine Schwäche für alte Polizei-Autos.
    "Ich fahre selbst eins - weil ich schon immer eins wollte. Also schon lange bevor ich diesen Künstlernamen angenommen habe. Die New Yorker Stadtverwaltung sortiert diese Wagen nach 75.000 Meilen aus und versteigert sie dann. Weshalb ich mit einem Polizeiauto herumfahre. Das ist zwar irgendwie albern, aber auch ein großer Spaß."
    Unter dem Kopfhörer
    Ein Tick, der ihr Markenzeichen wird. Genau wie die minimalistische Trio-Besetzung, die sie live an Drums und Bass unterstützt. Alles andere erledigt Joan im Alleingang. Und nach ihren Erfahrungen mit den Dambuilders, die letztlich an der Musikindustrie scheitern, verzichtet sie auf einen konventionellen Plattenvertrag und veröffentlicht ihre Musik in Eigenregie. Ihr Loft im New Yorker Stadtteil Brooklyn birgt ein komplettes Heimstudio. Darin arbeitet sie am liebsten per Kopfhörer und mit Instrumenten, die sie direkt ins Mischpult einspielt. So auch bei ihrem neuen Werk "Damned Devotion" - verdammte Hingabe.
    "Das Album entstand durch meine Experimente mit programmierten Drums. Ich wollte sehen, ob es mir gelingt, Beats anzufertigen, die zu meiner Musik passen. Zum Glück hat es geklappt. Dreiviertel des Albums habe ich bei mir zu Hause aufgenommen. Normalerweise zwischen Mitternacht und sechs Uhr morgens - weil ich dann besonders kreativ bin."
    Anschließend setzt sie die Songideen mit ihrer Band um - in den Studios von Musikerkollegen, die ihr diese im Austausch für Gastauftritte oder Session-Arbeit zur Verfügung stellen. Dieses Geschäftsmodel - Studiozeit gegen Gastauftritt - praktiziert sie seit 14 Jahren. Mit überschaubarem Erfolg: Ihre Tonträger erreichen regelmäßig die Top 70 der amerikanischen Billboard-Charts, die Top 50 in Großbritannien und die Top 80 in Deutschland. Keine Millionenverkäufe, aber Zahlen, mit denen man leben und vor allem weitermachen kann.
    Musik "Steed (For Jean Genet)"
    Vorbilder? Der Sound von Motown und das Werk von Al Green
    Der Titel "Steed" ist eine Hommage an den französischen Dichter Jean Genet - und einer von zwölf Songs auf "Damned Devotion". Die sind mal ruhig und verhalten. Dann wieder brachial und laut. Mal minimalistisch-spartanisch, mal opulent orchestriert. Mit einem düsteren, morbiden Pop-Noir, der starke Soul-Anleihen aufweist, aber auch in Funk, Jazz und lupenreine Avantgarde vorstößt. Alles gewürzt mit einem intensiven Gesang, mit scharfen Ecken und Kanten, aber auch geloopten Beats, die an die seligen Beastie Boys erinnern. Eine anspruchsvolle, komplexe Mischung. Dabei sind ihre Vorbilder der Sound von Motown und das Werk von Al Green.
    "Ich bin nicht so sehr daran interessiert, ein modernes Al Green-Album zu machen, als vielmehr ein Al Green-Album per se. Seine Platten weisen unglaublich viel Raum für den Gesang auf. Und sie strahlen Ruhe und Behaglichkeit aus. Sie sind geradezu tiefenentspannt. Danach strebe auch ich."
    Diese Affinität ist nicht immer offensichtlich. Aber Joan geht es schon darum, optimistische, positive Musik zu machen. Musik, die ein Gegengewicht zu ihren Texten liefert. Denn in denen zeigt sie ihre dunkle Seite, samt emotionaler Abgründe, Sorgen und Probleme: Da geht es um verstorbene Freunde und Familienmitglieder, um gescheiterte Beziehungen, Existenzängste und das Alter. Mit derlei Dingen befasst sie sich auf kathartische Weise befasst - und lässt sie heraus, anstatt sie in sich hineinzufressen. Dadurch therapiert sie sich selbst. Musik als Zuflucht und Heilmittel.
    "Sie ist sogar sehr heilend für mich. Gerade "Wonderful", der erste Song vom neuen Album, sagt ja: "Ich investiere da all meine Liebe und Energie - und weiß immer noch nicht, wie ich es so hinkriege, dass es sich wunderbar anfühlt." Denn das wünsche ich mir - aber das tut es nicht. Und ich verstehe nicht, warum. Ich gebe so viel, aber es funktioniert nicht. Damit fängt das neue Album an - mit dieser Frage. Eben: Warum klappt es nicht?" Im Grunde drehen sich alle meine Alben um das, was in meinen Beziehungen falsch läuft. Es geht um Kommunikation und darum, eine Balance zwischen Hingabe, Klarheit und Ehrlichkeit hinzukriegen. Eine schwierige Sache."
    Musik "Wonderful
    Musik "Mojo Pin"
    1997 stirbt ihr Freund Jeff Buckley
    Mit Schmerz, Verlust und Tod kennt sich Joan Wasser aus. Im Mai 1997 starb ihr Freund, mit dem sie drei Jahren liiert war: Ihr Musikerkollege Jeff Buckley. Die beiden galten als Traumpaar der New Yorker Indie-Szene und haben oft zusammen gearbeitet. Entsprechend zu knabbern hat sie an der Art, wie Jeff sein zweites Album angeht - den Nachfolger zu "Grace": Er zieht sich aus der Öffentlichkeit und ihrer Beziehung zurück, um in Memphis, Tennessee, an neuen Songs zu basteln. Über Monate hinweg, in völliger Isolation. Aus gutem Grund:
    "All das Geld, das sein Label in "Grace" gesteckt hat, hat ihm große Sorgen bereitet. Denn er wollte mit dem zweiten Album etwas ganz anderes machen- während sie eher "Grace 2" erwarteten. Er hat an Musik gearbeitet, die nicht weniger umwerfend war – aber nicht ganz so kommerziell. Insofern hat er sich nicht getraut, dem Label zu sagen, was er vorhatte. Er dachte: Sie haben mich so unterstützt, dass ich wirklich weit gekommen bin." Und das hat ihn zerrissen. Es war wirklich hart für ihn."
    Die beiden verabreden sich für Juni 1997 - für den Moment, da die Songs geschrieben sind und Buckley sie nur noch mit der Band aufnehmen muss. Doch am 29. Mai ertrinkt er beim nächtlichen Bad im Mississippi. Er wird 30 Jahre alt. Joan erfährt erst Tage später davon - und ist am Boden zerstört. Sie braucht Jahre, um sich von dem Schock zu erholen. Ihre Retter sind Antony Hagerty von Antony & The Johnsons und Rufus Wainwright.
    "Mit ihnen zu arbeiten, war fantastisch. Gerade Antony hat mein Leben komplett verändert. In seiner Band zu spielen war eine völlig neue Erfahrung, weil ich nie zuvor so leise Musik gemacht habe. Also seit ich mit der Klassik aufgehört habe. Ich war jahrelang davon besessen, so viel Krach wie möglich zu produzieren. Und dann hat er von mir verlangt, das komplett zurückzuschrauben. Was mir zu der Zeit ungemein geholfen – und mich geradezu geheilt hat. Das gilt auch für Rufus. Sie sind beide unglaubliche menschliche Wesen. Jeder auf seine Art und unabhängig von der Musik."
    Erstklassige Musikerin
    Gleichzeitig entwickelt sie eine chronische Beziehungsunfähigkeit, schlingert von einer Romanze in die nächste und sucht immer nur den einen: Den neuen Jeff, den sie aber nicht findet. Damit hat sie sich inzwischen abgefunden - sagt sie. Aber gleichzeitig ist es auch das, was sie antreibt. Was sie zum Schreiben motiviert, was sie in ihren Texten verarbeitet und ihre musikalische Identität ausmacht: Eine Aura von Schmerz, Verlust und Verlangen. Genau das unterscheidet Joan Wasser von vielen Musikern der Gegenwart: Ihre Gefühle sind intensiv und echt. Sie gibt nicht vor zu sein, was sie nicht ist. Sie ist einfach sie selbst: Eine erstklassige Musikerin mit einer starken Persönlichkeit und einem weichen Kern, der nur gelegentlich aufblitzt.
    "Das ist doch nicht wirklich überraschend, oder? Für mich gehört es zum Stark sein dazu. Dieses Verlangen, auch mal an die Hand genommen zu werden. Ich sage oft zu Leuten: "Sagt mir, was ich tun soll! Gebt mir Anweisungen! Kommandiert mich! Denn es ist sehr ermüdend, alles alleine zu machen - und auf meine Art. Es ist toll, auch mal gesagt zu bekommen: "Mach dies oder das." Man braucht beides."
    Musik "Damned Devotion"