Donnerstag, 25. April 2024

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Newcomerin Becky And The Birds
Musik als Therapie

Thea Gustafsson alias Becky And The Birds verarbeitet in ihren zerbrechlichen, komplexen R'n'B-Songs persönliche Traumata. "Wenn es mir schlecht geht, dann ist für mich die beste Therapie, einen Song zu schreiben", sagte die Schwedin im Dlf.

Thea Gustafsson im Gespräch mit Bernd Lechler | 01.08.2020
Die Musikerin Thea Gustafsson alias Becky And The Birds steht über steht vor einem blauen Himmel und schaut nach unten in die Kamera.
Laut Selbstbeschreibung "90 Prozent Einstellung, 5 Prozent Aura, 5 Prozent Talent": Thea Gustafsson alias Becky And The Birds (Sandra Thorsson)
Die Schwedin Thea Gustafsson alias Becky And The Birds ist eine der Newcomerinnen des Jahres. Die Songs auf ihrer neuen EP "Trasslig", irgendwo zwischen Old-School-R'n'B, frickeligem Electro und atmosphärischen Pop, klingen luftig und zerbrechlich - und haben ihr schon Vergleiche mit Künstlern wie Frank Ocean eingebracht. Was aber wohl auch mit der Gesangstechnik von Gustafsson liegt, die ihre Stimme gerne pitcht.
"Ich hatte meine eigene Stimme einfach satt. Ich wollte etwas Neues ausprobieren, also habe ich angefangen, sie zu verfremden. So klingt sie ein bisschen wie ein sehr junges Mädchen. Und das finde ich viel interessanter."
Die Schwedin ist musikalisch gleichermaßen beeinflusst von den Jazz-Schallplatten ihres Vaters wie von den Musikerinnen und Musikern, die ihre ältere Schwester gerne gehört hat: Wu-Tang Clan, Tupac, Destiny's Child oder Mariah Carey. Diese Sozialisation hört man ihren Songs an - auch wenn sich Gustafsson schwer damit tut, schnelle Songs zu schreiben.
"Ich mag es, die Aufmerksamkeit der Leute auf andere Art zu beommen. Ich liebe zum Beispiel Kunst mit vielen kleinen Details, bei der man sehr genau hinsehen oder hinhören muss, um nichts zu verpassen."
Thematisch beschäftigt sich Gustafsson in ihren Songs oft mit Traumata - mit dem Tod von Familienmitgliedern oder mit eigenen Ängsten. Sie schreibe häuftig Songs, wenn sie emotional aufgewühlt sei, so Gustafsson: "Wenn es mir schlecht geht, dann ist für mich die beste Therapie, einen Song zu schreiben."

Das Interview in voller Länge
Thea Gustafsson: "Trasslig" heißt sowas wie "verworren" oder "vertrackt" auf deutsch. Es ist der Titel eines Gedichts, das ich geschrieben habe, aus der Ich-Perspektive. Aber ich habe meine Stimme auf dem Song ziemlich verfremdet. Ich wollte wie eine alte schwedische Frau klingen.
Bernd Lechler: Und so klingen sie auch, genau das habe ich gedacht!
Gustafsson: Ja, ich hab es zuerst mit verschiedenen Sprecherinnen ausprobiert, aber irgendwie haben die die Stimmung nicht ganz getroffen. Also dachte ich, ich probiere es einfach mal selbst. Ich spreche darin über meine Erfahrungen als Frau. Es geht darum, wie schwer es für Frauen ist, gleichzeitig stark zu sein, verletzlich und auch Angst zuzulassen. Als starke Frau wird einem nicht viel Raum gelassen, chaotisch zu sein. Sobald man ein bisschen chaotisch ist, heißt es sofort: Oh, sie ist kompliziert, mit der hat man nur Stress.
Lechler: Sie haben letztes Jahr viele ihrer Songs verloren, als ihnen eine Festplatte kaputt gegangen ist. Haben sie für diese EP versucht, diese Songs zu rekonstruieren oder haben sie komplett neue geschrieben?
Songwriting "für mich die beste Therapie"
Gustafsson: Ich habe neue geschrieben. Ich war so frustriert, als mir die Festplatte runtergefallen ist. Ich dachte einfach nur: Scheiße. Aber vielleicht war es auch einfach Schicksal - vielleicht rede ich mir das aber auch nur ein, damit ich mich besser fühle. Den einzigen Song, den ich von damals noch retten konnte, war "Paris", er ist auch auf dieser EP. Das habe ich aber nur geschafft, weil ich irgendwann mal eine MP3 des Songs per Textnachricht an einen Freund geschickt hatte.
Lechler: Es ist ein sehr schöner Song, in dem es um Ängste geht, oder? Sie singen davon, dass sie nach Paris gegangen sind, um Spaß zu haben, aber dann hätten sie den Verstand verloren. Was ist passiert?
Gustafsson: Ich war dort, um zu arbeiten, bei einem Songwriting-Camp, was eigentlich sehr viel Spaß macht. Ich habe also Songs geschrieben, als ich plötzlich Krämpfe im Brustbereich hatte. Ich bin ein bisschen hypochondrisch, deshalb hatte ich sofort Panik: Oh Gott, bitte nicht, ich bin noch nicht bereit, zu sterben! Irgendwann war ich komplett davon überzeugt, dass ich gleich sterben werde. Ich habe dann meinen Freund angerufen, der versucht hat, mich zu beruhigen. Und ich habe mich danach wie eine Idiotin gefühlt, klein, unbedeutend und unfassbar verletzlich. Und um diese Emotionen zu verarbeiten, habe ich in meinem Hotelzimmer diesen Song geschrieben.
Lechler: Es gibt auf ihrer EP auch den Song "Wondering", da verarbeiten sie den Tod ihrer Großmutter. Müssen sie emotional aufgewühlt sein, um Musik zu machen?
Gustafsson: Ja, das würde ich schon sagen. Ich bin meistens eine sehr fröhliche Person, aber wenn es mir schlecht geht, dann ist für mich die beste Therapie, einen Song zu schreiben.
Lechler: Was ihre Produktionen angeht, dominieren sehr warme, natürliche Sounds - es gibt viel Vinylknistern in ihren Songs, sie samplen gerne Orchester. Auf der anderen Seite pitchen sie ihre Stimme gerne, so wie im Lied "Paris" - das gibt dem Ganzen einen sehr künstlichen Klang. Was reizt sie daran?
Gustafsson: Ich glaube, ich mag diese warmen Sounds, weil ich als Kind oft die Jazz-Schallplatten von meinem Vater gehört habe. Das erinnert mich an Zuhause - diesen sicheren, geborgenen Ort. Es macht mich glücklich, meine Songs so ähnlich klingen zu lassen - ich fühle mich dann so geborgen wie damals als Kind. Und meine Stimme pitche ich, weil ich meine eigene Stimme einfach satt hatte. Ich wollte etwas Neues ausprobieren, also habe ich angefangen, sie zu verfremden. So klingt sie ein bisschen wie ein sehr junges Mädchen. Und das finde ich viel interessanter.
Lechler: Und die Samples und Beats in ihren Songs, die lassen mich vermuten, dass sie auch ziemlich von HipHop beeinflusst sind. Was sind da ihre Einflüsse?
Geprägt von Tupac, Destiny's Child und Mariah Carey
Gustafsson: Ich habe eine elf Jahre ältere Schwester. Als ich in den 90ern noch ein kleines Kind war, war sie schon Teenagerin. Und sie hat in ihrem Zimmer die ganze Zeit den Wu-Tang Clan oder Tupac gehört, sie war total besessen davon. Und sie hat auch viel R'n'B gehört: Destiny’s Child zum Beispiel, oder Mariah Carey. Aus dem Zimmer meiner Schwester kam also immer diese Musik, und aus dem Zimmer meines Vaters kam immer Jazz. Und das begleitet mich bis heute.
Lechler: Sie haben allerdings mit klassischer Musik angefangen - Sie haben als Kind Geige gelernt und in Orchestern gespielt. Wie sehr ist das heute noch Teil Ihrer Identität als Musikerin?
Gustafsson: Ich bin sehr froh, dass ich diesen Hintergrund habe, weil es mir sehr dabei geholfen hat, meine Songs anders zu produzieren. Ich weiß, wie eine Geige normalerweise spielen würde, wie ein Bass normalerweise spielen würde - ich habe diese Art, Instrumente zu arrangieren, in meinem Kopf und kann damit kreativ sein. Aber ich möchte auch wieder mehr Geige spielen - das ist sowas wie mein guter Vorsatz fürs neue Jahr, den es wirklich ein wundervolles Instrument.
Lechler: Sie sind dann auf die Musikmakarna gegangen, eine renommierte Akademie für Songwriting in Schweden. Was haben sie dort für sich mitgenommen?
Gustafsson: Es war das erste Mal, dass ich so richtig mit Popmusik in Berührung gekommen bin. Ich kannte die Spice Girls davor nicht, ich kannte Katy Perry nicht – das war für mich alles komplett neu. Ich habe auf der Akademie gelernt, wie man Popsongs produziert, auch wenn ich das nicht mehr unbedingt tue. Aber ich habe das Handwerk gelernt und habe vielen Produzenten bei der Arbeit zuschauen können, das hat mir eine tolle Grundlage gegeben. Aber dann habe ich angefangen, zu experimentieren, nach meinen eigenen Regeln zu arbeiten - so habe ich gelernt, zu produzieren.
Lechler: Ich habe Kritiken ihrer neuen Song gelesen, und da fallen oft die Worte "komplex" und "zart". Ist es das, was sie im Kopf haben, wenn sie Musik machen - komplexe und zarte Songs?
Komplexe Songs voller winziger Details
Gustafsson: Ich habe das nicht unbedingt im Kopf, aber ich glaube, das entsteht bei mir ganz natürlich. Ich liebe diese Art von Songs einfach. Ich versuche mich immer zu zwingen, schnellere Songs zu schreiben, aber irgendwie fällt es mir schwer. Und ich mag es auch, die Aufmerksamkeit der Leute auf andere Art zu bekommen. Ich liebe zum Beispiel Kunst mit vielen kleinen Details, bei der man sehr genau hinsehen oder hinhören muss, um nichts zu verpassen.
Lechler: Ihre Art zu singen ist jedenfalls sehr zart, sehr leise und luftig. Woher kommt diese spezielle Art des Singens? Gibt es da Vorbilder?
Gustafsson: Als ich jünger war, habe ich noch ganz anders gesungen. Ich wollte unbedingt wie Celine Dion oder Whitney Houston klingen – was überhaupt nicht mein Ding war, aber ich habe es sehr lange versucht. Das Gute an dieser Zeit war, dass ich mich viel mit Gesangstechniken beschäftigt habe. Es ist genauso wie mit der Produktion von Songs: Das hat mir eine gute Grundlage gegeben. Und als ich die hatte, habe ich das gemacht, was sich natürlich für mich angefühlt hat.
Lechler: Ihre EP sollte schon vor sechs Wochen rauskommen, dann haben sie die Veröffentlichung allerdings verschoben. Was steckte dahinter?
"90 Prozent Einstellung, 5 Prozent Aura, 5 Prozent Talent"
Gustafsson: Ich wollte der Black-Lives-Matter-Bewegung keinen Raum wegnehmen. Ein Großteil der Musik, die mich inspiriert, wurde von schwarzen Musikerinnen und Musikern produziert. Und ich bin diesen Künstlerinnen und Künstlern unendliche dankbar für ihre Musik. Das Privileg zu haben, Musik zu veröffentlichen, während so viele Schwarze Menschen auf der ganzen Welt gegen Rassismus auf die Straße gehen, das hat sich nicht richtig angefühlt. Deshalb habe ich die Veröffentlichung verschoben und habe stattdessen versucht, auf die Black-Lives-Matter-Bewegung aufmerksam zu machen und die Bewegung zu unterstützen.
Lechler: Ja, sie haben ihrer Followerinnen und Follower bei Instragram ermutigt, für antirassistische und feministische Hilfsprojekte zu spenden. Zum Dank haben diese Leute ihre EP früher bekommen. Fühlen Sie da eine Verantwortung?
Gustaffson: Ja, auf jeden Fall. Ich habe Verantwortung aufgrund meiner Privilegien. Jeder und jede, der oder die eine Plattform hat, egal wie groß oder klein – und meine ist relativ klein – sollte sich für diese Dinge einsetzen. Man sollte tun, was man kann, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Lechler: Auf ihrem Instagram-Account steht der Spruch: 90 Prozent Einstellung, 5 Prozent Aura, 5 Prozent Talent. Was meinen sie damit?
Gustafsson: Der Spruch ist mir eingefallen, als ich ein bisschen betrunken war. Ich glaube. Aber es stimmt schon: Ich habe das Gefühl, sehr vieles hängt mit der Einstellung zusammen. Ich denke schon, dass ich Talent habe, aber ohne die richtige Einstellung kann man es nicht schaffen.
Lechler: Und wie genau sieht ihre Einstellung aus?
Gustafsson: Man sollte so hart wie möglich dafür arbeiten so gut wie möglich zu sein. Ich bin zwar eine große Träumerin, aber ich gebe auch niemals auf. Ich weiß, das klingt kitschig, aber das ich wirklich meine Einstellung. Das, und zu versuchen, Grenzen zu überschreiten.