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Newport und Woodstock
"Sagt mir, wo die Blumen sind“

Joan Baez und Joni Mitchell gehörten zu den großen Namen beim Newport Folk Festival 1968. Bis heute erinnern ihre Auftritte daran, dass Folk der Soundtrack der Friedens- und Bürgerrechtsbewegung war. Den Künstlerinnen ging es damals - wie heute - um Menschlichkeit und Gleichberechtigung.

Von Fabian Elsäßer | 06.07.2018
    Die Folksängerin Joan Baez am 2. Dezember 1964 während eines Auftritts vor Studenten der Universität von Kalifornien in Berkeley.
    Joan Baez bei einem Auftritt vor Studenten der Universität von Kalifornien in Berkeley im Dezember 1964 (picture-alliance / dpa / UPI)
    "The first thing I think: people. I think about people, I think about that audience. They were amazing. That was that magic time when I felt we were all in this together. And I take that with me even till today."
    Wenn Folk-Urgestein Melanie heute an Woodstock denkt, dann fallen ihr zuerst die Menschen ein, wie wunderbar sie gewesen seien, und dass sie ihr ein Gefühl von Gemeinschaft gegeben hätten, das sie bis heute spürt. Die "Beautiful people" eben, denen sie damals ihr gleichnamiges Lied widmete.
    Musik: "Beautiful people" - Melanie
    "Man muss sich wohl fragen, warum Woodstock uns bis heute so fesselt, warum es so ein wichtiger Teil der amerikanischen Kultur ist und immer noch darüber gesprochen wird. Mein Lied "Beautiful people" war damals mein Hit. Das war die richtige Botschaft für mich an diesem Abend, und sie hat diese 500.000 Menschen, die auf dem Hügel zugehört haben, sofort erreicht.
    Woodstock ist immer noch präsent
    Ich glaube, Woodstock wird deshalb so verklärt, weil es bis heute lebt; weil all diese Gefühle und Empfindungen immer noch lebendig sind. Sie stammen nicht aus irgendeiner Zeit, sondern von uns. Es war wie eine bevorstehende Wiedergeburt auf Erden. Es wäre fast passiert, und vielleicht passiert es noch."
    Auch im Jahr 2018 ist das Woodstock-Festival immer noch präsent. Medien auf der ganzen Welt würdigen derzeit dieses vielbesungene Jahr der Revolution, der Hippies und Studentenbewegungen: magisches 1968. Das Woodstock-Festival fand zwar erst ein Jahr später statt, in der Erzählung der Blumenkindergeneration war es dennoch ein Schlüsselmoment. Das letzte friedliche Großereignis, bevor ein Vierteljahr später beim Free Concert in Altamont die Ideale der Hippies durch die Gewalt der Hells Angeles erschüttert wurden.
    Joni Mitchell
    Joni Mitchell schrieb die Woodstock-Hymne (imago)
    Ironie des Schicksals: Ausgerechnet Joni Mitchell, die Künstlerin, die eine Hymne auf Woodstock schrieb, war beim Festival selbst gar nicht dabei gewesen. Ihr Manager soll ihr davon abgeraten haben. Den Song schrieb sie aus Frust, er erschien aber erst 1970.
    Musik: "Woodstock" - Joni Mitchell
    Im kollektiven Gedächtnis sind von Woodstock bis heute eher die Rockbands haften geblieben, und damit vor allem männliche Stars: The Who, Jimi Hendrix oder Santana. Doch auch in Woodstock wurde Folk gespielt, und zwei der gerade einmal drei Solokünstlerinnen des Festivals waren Folksängerinnen: Joan Baez und Melanie Safka, bekannt als Melanie. Die dritte war Rockröhre Janis Joplin, die 1970 viel zu früh an einer Überdosis Heroin starb.
    Sie habe Joan Baez immer bewundert, weil sie immer so integer gewirkt habe, wie jemand, der für seine Sache einsteht, sagt Melanie über ihre Kollegin. Anfang des Jahres ist Melanie 71 Jahre alt geworden, Joan Baez sogar schon 77, doch beide sind immer noch aktiv.
    Joan Baez singt nach ihrer Aufnahme in die Rock and Roll Hall of Fame in New York.
    Joan Baez - Längst hat sie ihren Platz in der Rock and Roll Hall of Fame in New York. (dpa-Bildfunk / AP / Invision / Charles Sykes)
    Joan Baez überraschte im März 2018 Kritiker wie Fans mit einem Alterswerk. "Whistle down the wind" ist ihr erstes Album seit zehn Jahren.
    Musik: "Another world" - Joan Baez
    "Another World", das Original stammt von der Transgender-Künstlerin Ahnony, vormals Anthony Hegarty. Joan Baez hat diesen Song auf ihrem aktuellen Album so interpretiert, als wäre er nur für sie geschrieben worden.
    "Ich habe ganz, ganz lange nichts selbst geschrieben. Die ersten zehn Jahre meiner Karriere hatte ich auch gar nicht den Wunsch zu schreiben. Bis mich jemand fragte: schreibst Du auch eigene Songs? Und ab da dachte ich: 'Ja, das sollte ich mal versuchen.' Und dann habe ich Sweet Sir Galahad geschrieben. Das war mein erster eigener Song."
    Und den spielte sie auch beim Woodstock-Festival.
    Musik: "Sweet Sir Galahad" - Joan Baez
    Die Friedensbewegung und die Hippies werden heute manchmal in einem Atemzug genannt. Doch die ersten großen Friedens- und Bürgerrechtsdemonstrationen in den USA fanden schon viel früher statt, Anfang der 60er Jahre. Die Künstler, die dort auftraten, etwa bei Martin Luthers historischem "March on Washington" waren Folksänger und Sängerinnen wie Joan Baez und Pete Seeger.
    Newport als Mittelpunkt der Bürgerrechtsbewegung
    Viele dieser Künstler hatten ihren ersten großen Auftritt auf dem Newport Folk Festival. Es wurde 1959 ins Leben gerufen und existiert bis heute. Auf der Internetseite der "Newport Festivals Foundation" wird es stolz als "hub for the civil rights movement in the 60ies" beschrieben, als Mittelpunkt der Bürgerrechtsbewegung.
    Die Sängerin Buffy Sainte-Marie bei den 2009 Juno Music Awards in Vancouver
    Die Sängerin Buffy Sainte-Marie bei den 2009 Juno Music Awards in Vancouver (imago / UPI )
    Auch die kanadische Cree-Indianerin Buffy Sainte-Marie trat dort Mitte der 60er Jahre auf. Ihr Lied vom "Universal Soldier" aus dem Jahr 1964 traf sowohl den Nerv der Friedensbewegung als auch den Geschmack der Folkszene. Donovan machte den Song zu einem Hit, noch ein halbes Jahrhundert später wird er gecovert, 2013 etwa vom jungen Briten Jake Bugg. Buffy Sainte-Marie besang in diesem Lied Soldaten aus verschiedenen Jahrhunderten, die für das Richtige zu kämpfen glauben und doch nur Gewalt und Verderben bringen. "He is the Universal Soldier and he really is to blame."
    Musik: "Universal Soldier" - Buffy Sainte-Marie
    Man könnte meinen, dass Folkmusik der eigentliche Soundtrack der Woodstock-Generation ist. Folk-Veteranin Melanie sieht das anders, auch was die Bedeutung des Newport Folk Festivals betrifft.
    Musikalische Explosion von Menschlichkeit
    "Das Newport Folk Festival war damals schon sehr etabliert. Es war nicht im eigentlichen Sinne politisch. Doch was sich damals änderte war, dass sich alle Künstler dieser Zeit intensiv mit menschlichen Werten beschäftigten und das ging in ihre Songs ein, etwa in den Song ‚War‘ von Edwin Starr. Es schien richtig, so etwas in den Hitradiosendern zu sagen! Das Gefühl der Menschlichkeit war überall in der ganzen Musik zu spüren, nicht nur im Folk, auch sehr stark in der Rockmusik. "
    Musik: "War" - Edwin Starr
    "Musiker wie Pete Seeger oder Woodie Guthrie haben sich für politische Belange eingesetzt. Aber das Thema Menschlichkeit zog sich wie ein roter Faden durch die gesamte Musik. Es war eine regelrechte musikalische Explosion von Menschlichkeit. Stellen Sie sich das mal vor, 'Oh Happy Day' von den Edwin Hawkins Singers war ein Hit und wurde neben dem Song 'War – what is it good for' gespielt! Und das war ein Gospel-Chor!"
    Musik: "My sweet lord" - George Harrison
    Und Melanie hatte einen Song mit einem fast schon ironisch wirkenden Titel: "Peace will come - According to plan." Frieden nach Plan.
    Musik: "Peace will come (according to plan)" - Melanie
    "Es war wie eine humanistische Erweckung, an der Jeder beteiligt war, vor allem Künstler. Und das tolle war: Es ging nicht um Politik. Ich kenne viele Leute, die die 1960er mit einer Phase großer Menschlichkeit assoziieren. Diese Generation, die mit den Vereinten Nationen und den Prinzipien der Menschlichkeit aufgewachsen war, die auch in der Schule gelehrt wurden, sie war die treibende Kraft der 60er."
    Humanistin, aber keine politische Künstlerin
    Melanie Safka fühlt sich zwar als Teil der Woodstock-Generation und der Bürgerrechtsbewegung, aber sie will nicht als politische Künstlerin wahrgenommen werden und auch nicht über ihre politische Haltung sprechen. Ihr genüge es, wenn man sie als Humanistin bezeichne, sagt sie. In fast jeder ihrer Antworten fallen die Begriffe "Menschenrechte" und "Vereinte Nationen".
    Melanie Safka
    Melanie Safka versteht sich als humanistische Künstlerin (imago)
    Sie setzte sich dafür ein, dass junge Leute etwas über Menschenrechte lernen, und zwar in der Schule. Zuletzt wirkte sie auch an einer Kampagne von Popstar Miley Cyrus für die Rechte obdachloser Schwuler, Lesben und Transgender mit. Andere Künstlerinnen ihrer Generation beziehen noch klarer Stellung, wie etwa Joan Baez, die bis heute eine leidenschaftliche Friedensaktivistin ist und sagt:
    "Ich war nicht mutlos, als ich anfing und ich bin es jetzt auch nicht. Als ich damals mit meinen Ideen auf die Straße ging, hatte ich schon ein ziemlich genaues Bild von der menschlichen Natur und den menschlichen Verhaltensweisen. Das menschliche Verhalten ist schlecht. Im Moment würde ich sogar behaupten: Es ist das Schlimmste, was ich bislang erlebt habe, in den USA, aber auch in Europa.
    Trump ist gerade auf dem Weg, 'Das Jahr des Rüpels' zu etablieren. Jeder um ihn herum darf sich so schlecht benehmen, wie er will. Trump geht es ausschließlich ums Geld. Die Frage ist: Wie konnten wir den wählen? Ich kann das wirklich nicht begreifen. Wollen die Menschen einfach nur belogen werden? Das ist es auf jeden Fall, was er am besten kann: Lügen. Lügen ist sein Programm."
    Joan Baez Konzert 2018 in Brüssel 
    Engagement ohne Grenzen: Joan Baez beim Konzert in Brüssel 2018 (imago / Jean-MarcxQuinet )
    Auf ihrer jüngsten Tournee nahm Joan Baez einen alten Protestsong von Woodie Guthrie wieder ins Programm, den sie lange nicht mehr gespielt hatte. "Deportee – Plane wreck at Los Gatos" beschreibt einen Flugzeugabsturz in den USA in den 40er Jahren, und wie die Passagiere damals sowohl vor als auch nach dem Unglück wegen ihrer Hautfarbe unterschiedlich behandelt wurden. Dass Joan Baez diesen Song jetzt wieder singt, ist ein klares Statement.
    Musik: "Deportee (Plane wreck at Los Gatos)" - Joan Baez
    Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern und Rassen
    Auch Buffy Sainte-Marie hat ihr Leben lang für Gleichberechtigung gekämpft, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und vor allem zwischen den Rassen. Mit ihrer "Nihewan Foundation for American Indian Education" setzt sie sich für die Interessen der amerikanischen "Natives" ein, für bessere Bildung und ein besseres Verständnis ihrer Geschichte." Und bis heute singt sie in ihren Liedern gegen Kriege, Gewalt und autoritäre Tendenzen an. Während Joan Baez dem Folk weitgehend treu blieb, entfernte sich Sainte-Marie im Laufe der Jahre allmählich davon, ähnlich wie Joni Mitchell.
    Das Stück "Working for the government" aus dem Jahr 2008 verknüpft den Protest mit der Leichtigkeit des Pop und mit Sainte-Maries indianischen Wurzeln.
    Musik: "Working for the government" - Buffy Sainte-Marie
    Ein halbes Jahrhundert nach dem Jahr des Aufbruchs sind die starken weiblichen Stimmen von damals immer noch präsent. Künstlerinnen wie Joan Baez, Buffy Sainte-Marie und Melanie nehmen weiter Musik auf, gehen auf Konzerttourneen und halten die Erinnerung wach an eine Epoche und ein Gefühl. Joan Baez ist nicht der Meinung, dass die Proteste der 60er Jahre folgenlos geblieben sind.
    "Ich denke eher, da hat sich jede Menge verändert. Und zwar nicht nur irgendwie. Manches verändert sich zum Nachteil. Andere Dinge sind auf dem gleichen Stand geblieben. Trotz der Bürgerrechtsbewegung in den USA sind die Beziehungen zwischen den Rassen, immer noch unterirdisch. Einfach nur furchtbar. Man muss aber auch anerkennen, dass wir einen weiten Weg hinter uns haben. Und dann muss man begreifen, dass Dinge sich ständig verändern - zum Guten oder zum Schlechten. Man muss für sich selbst entscheiden, was richtig und was falsch ist. Und weiter machen."
    Musik: "Whistle down the wind" - Joan Baez