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NFL-Cheerleader
Sex-Objekt und schlecht bezahlt

Das Leben der Cheerleader im amerikanischen Profi-Sport ist nur halb so glamourös, wie es scheint. Eine amerikanische Fernsehdokumentation zeichnet nach, wie hart dort der Kampf um Anerkennung ist. Denn Ligen wie die NFL haben kein Interesse daran zu helfen.

Von Jürgen Kalwa | 31.01.2021
Cheerleader von Alba Berlin in blauen Trikots mit goldenen Puscheln.
Cheerleader kämpfen um Anerkennung (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
Die perfekte Show wirkt wie eine Kreuzung aus Fernsehballett und Schönheitswettbewerb: Sie ist etwas fürs Auge.
Mit welchem Blick man darauf schaut, kommt allerdings auf den Standpunkt an. Als optische Randerscheinung einer männerdominierten Sportart wie Football fungieren die knapp bekleideten jungen Frauen als hübsche Dekoration für die große Show. Eine Stereotypisierung, die offensichtlich nur einen Grund hat. Wie schrieb das amerikanische Gesellschaftsmagazin "Vanity Fair" vor zwei Jahren? Cheerleader habe die National Football League "in Sex-Objekte verwandelt".

Der beste Job der Welt?

Fragt man sie selbst, stellen Cheerleader gerne in Abrede, dass so etwas wie Triebabfuhr womöglich der Markenkern ihrer Auftritte sein könnte.
Tanzen in einem von strengen Castings ausgewählten Ensemble mit fröhlich lächelndem Gesicht: Das war, so sagt die Texanerin Kristen Ann Ware, der beste Job in der Welt. Allerdings nur solange, bis sie nach zwei guten Jahren bei den Miami Dolphins von der zuständigen Klub-Verantwortlichen auf etwas sehr Persönliches angesprochen wurde.
"Das erste, was sie mich fragte, war: ‘Lass uns über dein Gelübde sprechen, bis zu deiner Hochzeit keinen Sex zu haben.’ Irgendetwas in mir hat mir sagt: Das ist nicht in Ordnung."
Ware, bekennende Christin und offen im Bekenntnis zu ihrem Glauben und ihren Idealen, fühlte sich plötzlich extrem unwohl. Erst recht, nachdem sie sich anschließend im engen Bikini präsentieren musste.
Sie beschloss, sich klubintern zu beschweren, und machte sich auf die Suche nach einer Anwältin. Ein Vorwurf, der wie "Vanity Fair" bei Recherchen herausfand, kein Einzelfall ist. Seit ein paar Jahren erheben ehemalige Mitglieder der mehr als 20 Cheerleader-Gruppen in der Liga eine Reihe von Vorwürfen. Darunter in New Orleans und in Washington, wo 2018 mit einiger Verspätung publik wurde, wie Mitglieder der Gruppe zu Oben-Ohne-Foto-Sessions genötigt worden waren.

Bezahlung unter dem Mindestlohn

Was zwischen den Schlagzeilen über den Missbrauch allerdings unterging, wurde erst jetzt im Rahmen einer Fernsehdokumentation des Senders PBS thematisiert. Die Bezahlung ist extrem schlecht. Sie liegt auf die Stunde umgerechnet weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Und selbst dieses wenige Geld wurde gerne nach einem kuriosen System bezahlt. Wie, erzählt Lacy Thibodeaux-Fields im Film, die als Cheerleader für die damals in Oakland beheimateten Raiders arbeitete:
"Ich musste zweimal im Monat nach Napa Valley zu Terminen fahren. Das kostete hunderte von Dollar an Benzin. Sie verlangten für eine Foto-Session für einen Kalender, dass wir uns die Haare machen lassen, frisch lackierte Fingernägel, den Gang ins Solarium. Ich hatte das erwartet. Das Einzige, womit ich nicht gerechnet hatte: Dass wir das alles aus unserer Tasche bezahlen müssen. Mein Mann meinte: 'Wann bekommst du zum ersten Mal Gehalt? Du hast doch drei- bis viermal die Woche gearbeitet.' Und da wurde uns klar: Wir werden erst am Ende des Jahres bezahlt. Das wusste ich ehrlich gesagt vorher nicht."
Sharon Vinick, eine der Anwältinnen, die eine Sammelklage gegen die Oakland Raiders vorantrieb, beschreibt im Film die absurde Logik dieser Form der Ausbeutung:
"Die Arbeitgeber argumentieren, dass Cheerleader doch davon profitieren. Sie kämen schließlich aus freien Stücken zu den Castings. Dabei könnte die NFL für die gesamte Liga Regeln für alle Teams aufstellen. Und die könnten den Frauen wenigstens den Mindestlohn garantieren. Aber das ist nicht passiert."

NFL entzieht sich der Verantwortung

Die Liga hat sich seit Jahren konsequent jeder Mitverantwortung entzogen. Ihre Position: Die einzelnen Teams, nicht die NFL, seien für die Arbeitsbedingungen der Frauen verantwortlich. Liga-Geschäftsführer Roger Goodell sagte in einer Pressekonferenz, die im Film zitiert wird: Die NFL sei für faire Konditionen. Ein dehnbarer Begriff.
Immerhin kamen die ehemaligen Cheerleader der Raiders, genannt Raiderettes, noch vor dem Ortswechsel des Teams nach Las Vegas zu einer außergerichtlichen Einigung. Sie schüttete allen Betroffenen zusammen 1,25 Millionen Dollar aus. Diese Summe verzerrt das Resultat. Jede einzelne Frau erhielt nicht mehr als 6000 Dollar pro Saison.
Ein ähnlicher gerichtlicher Streit in Buffalo zog sich jahrelang hin und führte dazu, dass der Klub-Besitzer die Buffalo Jills, so der Name der Gruppe, einfach einstellte.
Lacy Thibodeaux-Fields, die ihre Karriere vor einer Weile beendete, fällt heute ein klares abschließendes Urteil.
"Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, hätte ich mich nie mit der NFL eingelassen", sagte sie dem Fernsehsender CNN.

Anerkennung als Sportart beim IOC

Von solchen Auseinandersetzungen ist die Hauptgruppe jener Millionen von aktiven Cheerleadern noch weit entfernt. Die agieren als Amateure an den Seitenauslinien von Football- und Basketballspielen an amerikanischen Highschools und Colleges und haben ihre künstlerischen Einlagen zu einem hochriskanten eigenen Sport weiterentwickelt. Die besten von ihnen liefern schwierige turnerische Übungsteile ab. Wie Akrobaten im Zirkus. Ihre Belohnung: Das IOC hat sie vor einer Weile als eigene Sportart anerkannt.
Und was ebenso wichtig ist: Je athletischer die Disziplin im Laufe der Jahre wurde, desto stärker fand sie Widerhall bei jungen Männern. Weshalb in den USA die Mannschaften bei Cheerleading-Wettbewerben längst gemischt sind. Und weshalb dort der Verdacht von Sexismus zumindest derzeit kein Thema ist.