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Nica Rothschild
Dem Jazz verfallen

Nica Rothschild, besser bekannt als Pannonica, war in den 50er-Jahren die größte Förderin des Jazz. Ihre Großnichte Hannah Rothschild zeichnet das Leben der "Jazz-Baroness" in einer Biografie nach. Unzählige Fotografien bilden sowohl das brave Erstleben der Baronin sowie ihre aufregende Zweitexistenz in New York ab.

Von Shirin Sojitrawalla | 22.07.2014
    Ein Saxofonspieler.
    Nica Rothschild war für manche die Peggy Guggenheim des Jazz. (picture-alliance / dpa / Aleshkovsky Mitya)
    Sie gehört zu den außergewöhnlichsten Frauen der Jazz-Geschichte und brauchte dazu weder ein Instrument noch ihre Stimme: Nica Rothschild, bekannter als Pannonica, war Mäzenin, Muse, Managerin und manchmal auch bloß Mädchen für alles. Seit Beginn der Fünfzigerjahre lebte sie in New York, wo sie dem Jazz im Allgemeinen und Thelonious Monk im Besonderen verfiel. Der exzentrische Pianist geriet der Tochter aus gutem Hause zur Obsession. Bis zu seinem Tode wich sie ihm kaum von der Seite, umhegte, förderte, finanzierte, umlauerte, schützte, päppelte und vergötterte ihn. Bei seinen Auftritten saß sie für gewöhnlich in der ersten Reihe, die für sie obligatorische lange Zigarettenspitze in der Hand. Dass sie ihr altes Leben Hals über Kopf verließ, um in New York neu zu beginnen, verdankte sie ihrem Idol ebenso wie manche Auseinandersetzung mit der Justiz.
    Ein befreundeter Musiker hatte der Baronin Ende der Vierzigerjahre "Round Midnight" von Thelonious Monk vorgespielt und die Baronin verlor die Fassung, weil sie so einen Sound noch nie erfahren hatte. Immer wieder wollte sie das Stück hören und beschloss zugleich, den Mann, der es spielte, kennenlernen zu wollen, was sie auch tat.
    Steinreiche Frau im Pelzmantel mit schwarzen Musikern
    Dieser Zauber des Anfangs gehört zur Geschichte der legendenumwitterten Baronin wie der Tod des Saxofonisten Charlie Parker in ihrem Hotelzimmer und die waghalsigen Autorennen mit Miles Davis im nächtlichen Manhattan. Für manche war sie die Peggy Guggenheim des Jazz. Man muss sich das vorstellen: Eine steinreiche Frau im Pelzmantel und mit Perlenkette um den weißen Hals, die gerne in protzigen Autos vorfährt, verbringt in einer noch strikt rassistischen Gesellschaft ihre Tage, vielmehr Nächte, mit schwarzen Musikern in verrauchten Klubs und Bars.
    Die oft gestellte Frage "Wer war diese Frau?" drängt sich in ihrem Fall geradezu auf.
    Hannah Rothschild hat sich auf Spurensuche begeben und eine aufschlussreiche Biografie ihrer im Schicksalsjahr 1913 geborenen Großtante geschrieben, deren größter Verdienst gerade darin besteht, das Geheimnis der merkwürdigen Frau nicht vollständig lüften zu können. Als Prolog dient ihr ein Ausschnitt aus dem einschüchternden Stammbaum der Rothschilds, jener berühmten jüdischen Bankiersfamilie, deren Stammhaus in der Frankfurter Judengasse stand. Nica wurde am 10. Dezember 1913 als Kathleen Annie Pannonica in London geboren, wobei schon ihre Geburt eine Enttäuschung war, sehnte man in der Familie doch einen Sohn herbei. Pannonica, benannt nach einem Nachtfalter, wuchs in ein streng patriarchalisch geführtes Imperium hinein. Ihr eigener Vater erwies sich dabei als äußerst labile Persönlichkeit, depressiv war er und psychisch krank; als sie zehn Jahre alt war, nahm er sich das Leben, indem er sich im Badezimmer die Kehle durchschnitt. Nica war das jüngste von vier Geschwistern, ein wildes, widerspenstiges Kind, das in eine überbehütete Kindheit gezwungen wurde. Die Liebe zur Musik erbte sie von ihrem Vater.
    Informative sowie unterhaltsame Biografie
    Hannah Rothschild, Regisseurin und Reporterin, beschäftigt sich beinahe 100 Jahre nach Nicas Geburt, abermals mit ihrer eigenwillig freigeistigen Großtante, nachdem sie schon ein Radiofeature und eine Fernsehdokumentation über sie herausgebracht hat. Dabei arbeitet sie auch die eigene hoch spannende Familiengeschichte auf und verpackt, ganz der angelsächsischen Tradition verpflichtet, den abenteuerlichen Lebenslauf der Baronin in eine ebenso informative wie unterhaltsame Biografie.
    Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, sitzt Nica mit ihren Kindern in einem französischen Schloss. Nicht viel später kämpft sie an der Seite ihres Mannes Jules de Koenigswarter für die Freien Französischen Streitkräfte gegen Nazi-Deutschland. Geheiratet hatte sie den jüdischen Witwer 1935 in einer Kapelle des städtischen Verwaltungsgebäudes in Manhattan, wo eine ihrer Schwestern wohnte. Am Ende des Krieges folgt die unerschrockene Nica ihrem Mann auf die Schlachtfelder Afrikas. Nach dem Krieg und den Gräueln des Holocaust war nicht nur das Familienvermögen nicht mehr das alte. Nica wurde zwar für ihren Kriegseinsatz geehrt und zum Leutnant ernannt, aber danach wartet das vergleichsweise langweilige Leben einer Diplomatengattin auf sie.
    Kurze Zeit später erreicht sie der Weckruf von "Round Midnight" und ein neues Leben beginnt für die Mutter von fünf Kindern. Ihrer Großnichte Hannah flüsterte sie einst zu: "Denk daran, es gibt nur ein Leben." Sie selbst beherzigte den Rat, der eher eine Mahnung ist, so konsequent wie wenige sonst. In New York wohnt sie anfangs nur in Hotels, wo sie stets dafür sorgt, dass ein Flügel in ihrer Suite steht, später lebt sie im sogenannten Cathouse, das sie mit hunderten Katzen teilt. Hier wie dort empfängt sie die Granden des Jazz.
    Eher bewundernd als kritisch
    Hannah Rothschild, die ihre Großtante erst am Ende ihres Lebens besuchte, schreibt darüber und ergibt sich dabei zuweilen einer boulevardesken Aufgeregtheit. Dann beschwört sie schon mal die Schicksalhaftigkeit des Seins in tremolierender Ergriffenheit. Das ist verständlich bei diesem wie für die Regenbogenpresse ausgedachten Lebenslauf. Dann wieder betrachtet sie ihre Großtante einigermaßen nüchtern, immer aber eher bewundernd als kritisch. Sie hat selbst mit ihr gesprochen, sie interviewt, aber auch Musiker und Zeitgenossen befragt. Auch Filme wie die von Clint Eastwood produzierte Dokumentation "Straight, No Chaser" über Thelonious Monk geben Auskunft. Da lässt sich wunderbar sehen, wie selbstverständlich die Baronin anlässlich Monks Beerdigung neben der tatsächlichen Witwe Nellie thront. Mehr erfährt man auch aus Pannonicas eigenem Buch "Die Jazzmusiker und ihre drei Wünsche", in denen von ihr befragte und fotografierte Musiker ihre Sehnsüchte preisgeben. 2007 ist das Buch bei Reclam auf Deutsch erschienen.
    Die Idee mit den drei Wünschen passt zu dieser Frau, die uns als eine ein bisschen schlampige Fee erscheint, katzenverrückt und musikbesessen. Hannah Rothschild bestückt ihre Biografie schönerweise mit unzähligen Fotografien, die das brave Erstleben der Baronin ebenso abbilden wie ihre aufregende Zweitexistenz in New York. Da himmelt sie umwerfend unverhohlen Monk an oder fachsimpelt in einem Plattenladen mit Charles Mingus und seinem Kontrabass. Fotos aus einer Zeit, als der Jazz noch geholfen haben mag. Davon tönen auch die Songs, die Musiker ihr gewidmet haben. Etliche. Einer der bekanntesten und schönsten stammt, wie könnte es auch anders sein, von Thelonious Monk selbst. Genannt hat er das Stück schlicht: Pannonica.
    Hannah Rothschild: Die Jazz-Baroness. Das Leben der Nica Rothschild. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Berlin Verlag, 330 Seiten, 19,99 Euro.