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"Nicht blindlings das Land in eine ungeordnete Insolvenz treiben"

Der Liberale Lambsdorff warnt vor einer europäischen Bankenkrise für den Fall, dass eine Umschuldung Griechenlands nicht gelinge. Nötig sei eine Insolvenzordnung für Staaten, um Ansteckungseffekte zu vermeiden.

Alexander Graf Lambsdorff im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.09.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: In der Euro-Krise reißen die Hiobsbotschaften nicht ab. Die Experten der sogenannten Troika reisten kürzlich unverrichteter Dinge aus Athen ab, weil sie Zweifel hegten an den Sparbemühungen der Regierung. Am Freitag kündigte der Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank Jürgen Stark seinen Rücktritt an, nachdem bereits Bundesbankpräsident Axel Weber das Handtuch geworfen hatte, beides dezidierte Kritiker der EZB-Politik, massenweise Anleihen Not leidender Euro-Staaten aufzukaufen. Der Vorstand der Christsozialen will heute einen Antrag beschließen, wonach Defizitsünder wie Griechenland zur Not auch aus dem Euro-Raum ausgeschlossen werden sollen, und – ich habe es gerade eben schon erwähnt – nach Informationen des "Spiegel" lässt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bereits die Kosten für eine Insolvenz Griechenlands durchrechnen.

    Am Telefon begrüße ich zu all dem Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP-Gruppe im Europäischen Parlament. Guten Morgen!

    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Lambsdorff, auch FDP-Chef Wirtschaftsminister Philipp Rösler schließt eine Pleite Griechenlands nicht mehr aus. Wir hören mal rein, was er gestern gesagt hat.

    O-Ton Philipp Rösler: "Um den Euro zu stabilisieren, darf es keine Denkverbote mehr geben. Dazu gehört in letzter Konsequenz auch eine geordnete Insolvenz, wenn und sobald die dafür notwendigen Instrumente zur Verfügung stehen."

    Heckmann: So weit also Wirtschaftsminister Philipp Rösler. – Herr Lambsdorff, lässt die FDP Griechenland jetzt fallen?

    Lambsdorff: Es geht nicht darum, ob die FDP Griechenland fallen lässt. Das Land hat Anstrengungen unternommen, sich aus der Krise heraus wieder nach oben zu arbeiten. Diese Anstrengungen sind aber offensichtlich nicht ausreichend. Ich fand eigentlich das stärkste Alarmsignal die Abreise der sogenannten Troika aus EZB, Kommission und Internationalem Währungsfonds, die feststellte, dass nicht genug geschehen ist in Griechenland, um wirklich vorwärts zu kommen. Dann hat der griechische Finanzminister Venizelos auch noch erklärt, die Schrumpfung der griechischen Wirtschaft falle stärker aus, als das erwartet werde, und wir haben in Deutschland die Situation, dass der Bundesfinanzminister offensichtlich ein Szenario durchrechnet und dass der Bundeswirtschaftsminister der Meinung ist, man muss mit einem solchen Szenario rechnen. Denn im Grunde bestätigt sich das, was ich schon vor vielen Monaten hier bei Ihnen auf dem Sender auch gesagt habe: Wir werden mittelfristig um eine Umschuldung Griechenlands nicht herum kommen.

    Heckmann: Das heißt, wir sollten Griechenland jetzt in die Insolvenz schicken?

    Lambsdorff: Nein! Sie haben ja gehört, was Philipp Rösler gesagt hat, und ich finde, er macht eben genau diese Differenzierung, die bei mancher populistischer Parole insbesondere aus Kreisen der Euro-Skeptiker einfach unterlassen wird. Eine solche Insolvenz oder Resolvenz, das heißt eine Wieder-Solventmachung oder Solventmachung eines Landes, kann ja nur dann funktionieren, wenn es dafür die Instrumente gibt und auch die Absicherungen, dass wir nicht als Ergebnis einer solchen Insolvenz gleich als nächstes eine große europäische Bankenkrise bekommen, denn das wäre ja verheerend. Dann hätten wir anstatt Griechenland zu retten die Banken zu retten in Europa, übrigens auch deutsche Banken, und das kann ja auch nicht der Sinn der Sache sein.

    Heckmann: Der griechische Premierminister Papandreou, der hat ja gestern, am Wochenende einen "Titanenkampf" gegen die Schuldenkrise angekündigt. Würden wir der Regierung dort damit nicht in den Rücken fallen?

    Lambsdorff: Nein. Ich glaube, dass die Ankündigungen von Papandreou und überhaupt die Maßnahmen der PASOK, also der sozialdemokratischen Partei, die dort die Regierung übernommen hat, alle ehrenwert sind. Aber das Land ist über Jahrzehnte in diese Situation hineingeschliddert. Dass man da in wenigen Monaten wieder herauskommt, das ist eine zu optimistische Annahme. Wie gesagt, ich habe vor Monaten bereits erklärt, es wird wahrscheinlich nicht anders gehen. Der Punkt ist immer: Man muss die Instrumente haben.

    Ich will mal einen Blick zurückwerfen ganz kurz. Wenn Sie daran denken, als die Griechenland-Pleite auf uns zukam und wir das erste Hilfspaket schnüren mussten, war die Unruhe an den Märkten, auch die Unruhe in der Politik gigantisch groß, weil wir einfach diese Instrumente dafür nicht hatten. Als Irland und Portugal sich dann um eine Aufnahme in den Schutzschirm bewarben, da hatten wir eben einen Schutzschirm, da hatten wir Verfahren, da war die Unruhe sehr viel geringer. Und hier geht es jetzt darum, nicht blindlings das Land in eine ungeordnete Insolvenz zu treiben oder treiben zu lassen, sondern ein Verfahren zu finden, mit dem man Griechenland einerseits helfen kann, andererseits aber keinen Schaden anrichtet für den Rest Europas und der europäischen Volkswirtschaften.

    Heckmann: Aber besteht nicht die Gefahr, Herr Lambsdorff, dass dann sich die Märkte auf das nächste Land stürzen wie etwa Irland, wie etwa Italien, wenn Griechenland erst mal in die Insolvenz geschickt wurde?

    Lambsdorff: Das ist richtig, und genau diesen Ansteckungseffekt gilt es zu vermeiden, indem man das Ganze so geordnet abwickelt wie nur möglich. Deswegen sind ja auch Forderungen nach einem Ausschluss Griechenlands aus der Euro-Zone sehr, sehr gefährlich. Ich habe das gehört von den Kollegen aus der CSU, die heute so etwas beschließen wollen.

    Heckmann: Der CSU-Vorstand möchte heute einen entsprechenden Entwurf beschließen.

    Lambsdorff: Genau. Ich glaube, das sollten sich die Kollegen noch einmal gut überlegen. Wir hatten auf der FDP-Klausur in Bergisch Gladbach den designierten Chef der Deutschen Bank da, wir hatten ein Mitglied des Sachverständigenrats beim Bundeswirtschaftsminister da, beide haben ausdrücklich davor gewarnt, das Land aus der Euro-Zone auszuschließen, weil dann genau dieser Dominoeffekt eintreten könnte, den Sie gerade beschrieben haben, und das wäre dann hoch gefährlich.

    Heckmann: Aber mittelfristig brauchen wir ein solches Mittel nicht doch?

    Lambsdorff: Nein. Was wir mittelfristig brauchen, ist eine Insolvenzordnung. Wir brauchen ein Verfahren, mit dem man Staaten, die sich nicht an die Stabilitätskriterien von Maastricht halten oder halten können, mit denen man eben ein Insolvenzverfahren abwickelt, ohne dass es zu Ansteckungseffekten kommt. Ich glaube, dass Rückschritte bei der europäischen Integration, auch bei der währungspolitischen Integration nicht das Rezept sind, mit dem wir in die Zukunft gehen, sondern wir müssen ein Verfahren haben, wie unterschiedliche Länder mit unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit in einer Währungsunion erfolgreich zusammenarbeiten können, und dort, wo das nicht gelingt, da brauchen wir dann ein Verfahren, wie wir damit umgehen.

    Heckmann: Wir sprechen mit Alexander Graf Lambsdorff, Vorsitzender der FDP-Gruppe im Europäischen Parlament. Herr Lambsdorff, der ehemalige SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, der hat dem "Spiegel" gesagt oder gefordert, man brauche eine Neukonstruktion der Währungsunion, man müsse den Menschen erklären, dass Deutschland enorm vom Euro profitiere, und das bedeute, natürlich müssten die Deutschen zahlen. Spricht da also einer aus, was sich andere nicht trauen?

    Lambsdorff: Also die Kompetenz von Peer Steinbrück ist unbestritten. Allerdings sind das zwei verschiedene Dinge, die Sie gerade angesprochen haben. Zum einen ist es ja in der Tat so, dass Deutschland massiv vom Euro profitiert. Das werden die Hörerinnen und Hörer auch sofort sehen, wenn man schaut auf die Exportzahlen: Was exportiert Deutschland in den europäischen Binnenmarkt? Da gibt es kein Währungsrisiko, ein großer Teil unseres Bruttoinlandsprodukts wird genau so erzeugt. Auch die anderen Länder schauen auf Deutschland und sagen, ihr profitiert am meisten, also ist von euch auch am meisten Solidarität zu erwarten.

    Und dann sind wir beim zweiten Punkt: Müssen wir tatsächlich die Währungsunion völlig neu konstruieren? Da bin ich ehrlich gesagt anderer Meinung. Ich glaube, dass die Konstruktion der Währungsunion mit einigen Schwächen vernünftig ist. Was uns fehlt, ist die Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz-, Arbeitsmarkt-, Sozial-, Haushaltspolitik auf der europäischen Ebene. Das ist eben damals nicht geschehen. Man hat eine Währungsunion gegründet, die ist auch im großen und ganzen vernünftig konstruiert. Man hat aber die Wirtschaftsunion außen vor gelassen.

    Und ich will hier eines deutlich sagen: Es geht bei so einer Koordinierung nicht um Mikromanagement von nationalen Volkswirtschaften, sondern es geht zum Beispiel um eine Abstimmung darüber, ob Haushaltsentwürfe mit der Schuldenbremse der europäischen Verträge vereinbar sind, und das muss die Kommission sich anschauen. Dann müssen auch Mahnungen gemacht werden und dann muss es zu automatischen Sanktionen kommen, wenn ein Land sich nicht an diese Vorgaben hält.

    Heckmann: Einige FDP-Abgeordnete wie unter anderem Frank Schäffler, aber auch der Liberale Burkhard Hirsch, die fordern einen Mitgliederentscheid innerhalb der FDP zum dauerhaften Euro-Rettungsmechanismus. Der wird ja abgekürzt ESM und über den soll im Dezember abgestimmt werden, und diese Forderung erhält immer mehr Unterstützung auch aus den verschiedenen Bundesländern und Landesverbänden. Bleibt die FDP eine Europapartei?

    Lambsdorff: Ganz eindeutig ja. Der Kollege Frank Schäffler, der ist Abgeordneter - Burkhard Hirsch ist das nicht mehr -, der ist ja nun mit seinen Anträgen auf allen Parteitagen angetreten, das ist sein gutes Recht, aber der hat auf allen Parteitagen, auf allen Ebenen, sowohl auf der Landesebene in Nordrhein-Westfalen als auch auf der Bundesebene, sehr deutlich verloren. Die FDP bleibt eine proeuropäische Partei, die auf soziale Marktwirtschaft achtet, und ich glaube, dass wir insofern diesem Mitgliederentscheid sehr gelassen sehen können. Zurzeit werden Unterschriften gesammelt, das ist normal, satzungsmäßig hat der Kollege auch das Recht, das zu fordern. Insofern, denke ich mal, werden wir das so bearbeiten, wie die Satzung das vorsieht. Aber in der Sache, politisch kann man das ganze, glaube ich, gelassen sehen. Die FDP wird da nicht vom proeuropäischen Kurs von Hans-Dietrich Genscher abweichen.

    Heckmann: Letzte Frage, Herr Lambsdorff. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat ja einen Nachfolger für Jürgen Stark präsentiert mit Jörg Asmussen von der SPD. Sind Union und FDP eigentlich schon so ausgeblutet, dass sie einen SPD-Mann in das EZB-Direktorium entsenden müssen?

    Lambsdorff: Ich glaube, dass es bei der Frage der Stabilität des Euro nicht um parteipolitischen Proporz geht, sondern da geht es wirklich um Kompetenz. Die Kompetenz von Staatssekretär Asmussen, der ja auch dem CDU-Bundesfinanzminister loyal gedient hat, steht völlig außer Frage. Ich glaube, dass sich an dieser Personalie keinerlei Streit entzünden wird.

    Heckmann: Und was erwarten Sie jetzt von ihm?

    Lambsdorff: Ich erwarte von ihm, dass er sich weiterhin für die Stabilität des Euro einsetzt. Wir dürfen bei aller Diskussion über die Schuldenkrise Griechenlands eines ja nicht vergessen: Der Euro ist, was die Preisstabilität angeht, stabiler als es die Deutsche Mark war, und er ist, was den Außenwert angeht, enorm erfolgreich, fast schon zu erfolgreich für manche exportorientierte Unternehmen. Ich glaube, die Erfolgsgeschichte des Euro als stabile Währung und als Alternative zum Dollar im Weltwährungssystem, diese Erfolgsgeschichte muss weitergeschrieben werden, und da wird Herr Asmussen einen wichtigen Beitrag leisten.

    Heckmann: Der Chef der FDP-Gruppe im Europäischen Parlament, Alexander Graf Lambsdorff, war das. Danke Ihnen herzlich für das Gespräch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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