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Nicht gut, dass "Sportler in die erste Reihe geschickt werden"

Die Europameisterschaft in der Ukraine wird von der als politisch motivierten Inhaftierung der Politikerin Julia Timoschenko überschattet. Die Sportler befinden sich in einer Zwickmühle, beschreibt Christian Breuer, Aktivensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes. Sie saßen nicht am Tisch, als solche Länder ausgewählt wurden. Und wollen sich voll auf den Sport konzentrieren.

Christian Breuer im Gespräch mit Peter Kapern | 26.04.2012
    Peter Kapern: Immer wieder geraten große Sportereignisse in den Schlagschatten politischer Entwicklungen, so wie jetzt die Fußball-EM 2012. Das war bei der Fußballweltmeisterschaft 1978 so, als sich die Militärdiktatur in Argentinien im Glanz der Spiele sonnte, das war 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking so und das war auch beim Formel-1-Rennen in Bahrain am vergangenen Sonntag so, als die Piloten ihre Runden drehten, während das Herrscherhaus des Wüstenstaats Demonstranten niederknüppeln ließ. Sebastian Vettel, der Formel-1-Weltmeister, übte sich da in einem englischen Interview im Tunnelblick.

    Sebastian Vettel: "Wir wollen in Bahrain fahren. Wenn das Rennen angesetzt ist, wird es da auch sicher sein. Kümmern wir uns nicht um Sachen, die uns nichts angehen."

    Kapern: So weit Sebastian Vettel am vergangenen Wochenende. – Kann man es sich so einfach machen. Oder ist es umgekehrt ungerecht, Sportler für das in Mithaftung zu nehmen, was Politiker nicht geregelt bekommen?

    – Bei uns am Telefon ist jetzt Christian Breuer, der Aktivensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes. Guten Tag, Herr Breuer.

    Christian Breuer: Einen schönen guten Tag.

    Kapern: Herr Breuer, ist es so, wie Sebastian Vettel gesagt hat? Geht die Politik, gehen Demonstrationen, Machtwillkür und Diktatur Sportler nichts an?

    Breuer: Das ist so sicherlich nicht ausschließlich so zu sehen. Also, das ist nicht ganz richtig. Natürlich geht es die Sportler an, sie befinden sich eigentlich als Gast in einem Land, wo Dinge nicht so ablaufen, wie wir uns alle das aus demokratischer Sicht wünschen. Auf der anderen Seite ist der Sport – und das darf man auch nicht vergessen – in einer Zwickmühle. Er, in dem Sinne jetzt auch Sebastian Vettel, ist angewiesen auf dieses Rennen, um seine Punkte zu sammeln. Und er sitzt nicht am Tisch, wenn diese Orte vergeben werden, dass dort Wettkämpfe ausgetragen werden oder eben Rennen stattfinden. Das gleiche betrifft auch unsere Nationalmannschaft, die in der Ukraine spielen wird, die nicht mit am Tisch sitzt, wenn diese Länder ihren Zuschlag bekommen. Und das betraf auch unsere Athleten in Peking, als eben dort auch entschieden worden ist im IOC, ja, die Spiele gehen nach China. Wir haben uns damals beziehungsweise auch ich als Vorsitzender der Athletenkommission auch dagegen gewehrt, das zu politisieren, dass die Sportler in die erste Reihe geschickt werden. Dafür haben wir andere Leute, die gewählt sind und die aber auch nur dann die Chance haben, im Land sich zu äußern. Und ich auch es wiederum erschreckend finde, dass diese Themen dann, wenn die Kameras verschwinden, wenn die Spiele vorbei sind, auch ganz schnell wieder aus der Öffentlichkeit verschwinden. Das finde ich auch sehr schade aus den Reihen der Politik.

    Kapern: Nun haben wir ja beide gerade den Beitrag unseres Kollegen Stephan Laack gehört, in dem der Rechtsanwalt von Julia Timoschenko gesagt hat, er halte gar nichts von einem Boykott der Europameisterschaft in der Ukraine. Die Fußballer sollten vielmehr ins Land kommen, um ihre Meinung zu dieser Sache zu sagen. Nun habe ich nicht in Erinnerung, dass beispielsweise in Bahrain irgendein Fahrer, der an der Organisation des Rennens, wie Sie sagen, völlig zurecht sagen, nicht beteiligt war, seine Meinung gesagt hätte. In Peking kann ich mich auch an keinen Sportler erinnern, der seine Meinung gesagt hätte. Tauchen Sportler dann auch gerne mal ab?

    Breuer: Nein, sie tauchen nicht ab, sondern sie möchten sich da in dem Sinne auf ihre Wettkämpfe vorbereiten. Sobald ein Sportler da vielleicht auch, weil er nicht die Routine hat wie ein geschulter und gelernter Politiker, der eben auch dieses Medienfeuerwerk aushalten kann, dann vielleicht einen Satz sagt, der dann in Anführungszeichen vielleicht richtig sein mag, aber doch unüberlegt, umso mehr Feuerwerk bekommt er danach ab, also von allen Seiten, auch von den Medien. Und umso schwieriger wird seine Vorbereitung auf die Wettkämpfe, wofür er eigentlich angereist ist und eigentlich auch das Leben lang trainiert hat. Das macht die Sache schwierig für den Sport und ich glaube, dass das eben eine Zurückhaltung provoziert, die der Sportler vielleicht gar nicht will, sondern die auch von außen ein bisschen gesteuert ist. Wie gesagt, wir haben auch ganz andere Leute, die auch in Peking bei den Spielen anwesend waren und mit denen ich sogar eine Schlussfeier erlebt habe, die gewählt sind, die ein Amt bekleiden, um eben dort auch ihre Meinung zu äußern. Und da habe ich von der Seite wie gesagt – und nicht erst auf dem Startblock – einfach zu wenig gehört während der Spiele.

    Kapern: Aber Sportler sind doch auch, Herr Breuer, Idole, sie sind Vorbilder. Was für ein Vorbild gibt ein Sportler ab, der nichts sagt und anschließend nur sagt: Na ja, da hat ja gerade der Innenminister oder ein Sportabgeordneter, ein Abgeordneter des Bundestages, auf der Tribüne gesessen, soll der doch was sagen.

    Breuer: Genau, es ist eben nicht so einfach. Der Sportler ist Vorbild, das wird immer gerne gesagt. Ich sehe es aber auch so, dass ein Sportler viele Talente hat, wovon einige vorbildlich sind. Bei manchen beschränkt sich das einfach auf ihre sportliche Leistungen, die sind eben auch, angefangen von der Rhetorik, nicht so geschult, um solche Situationen zu meistern. Klar ist es so: Ein Sportler kann diese Chance auch nutzen und vor Ort etwas sagen. Er wird sich da aber auch, glaube ich, einfach sehr neutral halten. Und ich bin auch gespannt, wie unsere Nationalmannschaft reagiert, wenn die Fragen unserer Fußballnationalmannschaft gestellt werden, wenn es um die Spiele in der Ukraine geht. Ob denn auch dann ein DFB in dem Sinne als Dachorganisation die Sportler da zu Wort kommen lässt. Das wird auch interessant sein im Vorfeld dieser Europameisterschaft. Ich denke, was der Rechtsanwalt von Frau Timoschenko sagt, ist so gesehen richtig: Man muss diese Plattform nutzen, denn dieses Land, die Ukraine, wird die Sportler und auch die Funktionäre ins Land lassen, weil dort die Europameisterschaft stattfindet. Und dann muss man vor Ort die Chance nutzen, denn dann sind auch alle Medien im Land und da können Fragen beantwortet werden. Ich glaube, dass da vor Ort die beste Chance sein wird. Und das Thema aber dann auch im Nachhinein nicht vergessen werden sollte.

    Kapern: Herr Breuer, Sie haben eben beschrieben, wie hoch konzentriert Sportler zu einer solchen Veranstaltung fahren, zu einem solchen Sportfest, um dort erfolgreich zu sein. Dass sie jahrelang darauf hintrainiert haben und nun wirklich den Erfolg wollen. Können sie sich gegen das, was in dem Land passiert, tatsächlich völlig abkapseln? Oder nehmen sie das immerhin wahr?

    Breuer: Nein, man nimmt das wahr. Man nimmt das wahr, weil die Berichterstattung im Vorfeld ja auch das Land aus allen Blickwinkeln beleuchtet. Das letzte große Ereignis, was ich in dem Zusammenhang erlebt habe, war einfach Peking, Olympische Spiele in China. Man bekommt aber dann eben auch aufgrund dieser Wettkampfsituation während der Spiele leider auch nicht so viel davon mit. Ich kenne das selber aus eigener Erfahrung. Viele Leute denken, Mensch, der Leistungssportler, der sieht doch so viel von der Welt. Der sieht aber oft leider nur die Sportstätte und das Hotel. Ein Leistungssportler, auch bei Olympischen Spielen, macht leider keine dreiwöchige Sightseeingtour in dem Zielland oder da, wo die Spiele stattfinden, das ist beim Fußball auch so. Die Sportler reisen dort von Einzelwettkampf zu Einzelwettkampf, in dem Sinne in einem Turniercharakter jetzt in der Ukraine und in Polen. Und das macht die Sache schwierig, auch mehr Eindrücke vom Land zu sammeln. Ich habe es versucht in meiner Funktion auch als Aktivensprecher im Deutschen Olympischen Sportbund im Vorfeld der Spiele in Peking. Ich habe sowohl mit dem chinesischen Botschafter in Berlin gesprochen, als auch eben den Dalai Lama gehört während seines Deutschlandbesuchs. Ich habe versucht, wirklich alle Facetten mitzunehmen, um mir auch selber einen Eindruck zu machen. Das macht die Sache nicht einfacher, aber man beschäftigt sich viel mehr mit dem Thema.

    Kapern: Christian Breuer war das, der Aktivensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Breuer, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Schönen Tag, auf Wiederhören.

    Breuer: Ja, vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.