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Nicht in Frage gestellt

Der letzte Sommer war kein guter für die französische Atomindustrie, allein vier Störfälle meldete die südfranzösische Atomanlage Tricastin. Doch während in Deutschland vergleichbare Zwischenfälle wie etwas im Kernkraftwerk Krümmel heftige Diskussionen auslösen, geht man in Frankreich schnell zur Tagesordnung über.

Von Burkhard Birke | 25.08.2009
    "Die Nuklearanlage von Tricastin das bedeutet Jobs und bringt uns Kundschaft."

    Der Zeitungshändler vom Städtchen Les Trois Chateaux denkt wirtschaftlich.

    "Wir haben unsere Jodtabletten und wenn's knallt, sterben wir sofort!"

    Die Gemüsehändlerin in Pierrelatte erntet oberhalb des unlängst radioaktiv erhöhten Grundwassers und zeigt Galgenhumor!

    Gewöhnungssache, meinte indes diese Frau:

    "Wir kennen viele Leute, die da arbeiten und vertrauen denen."

    Fast blind, könnte man meinen. 3000 Jobs auf dem 650 Hektar großen Gelände: Areva bildet gemeinsam mit dem von der EDF betriebenen Kernkraftwerk die wirtschaftliche Lebensader der Region. Hier unweit der Autoroute du Soleil, der Autobahn, auf der die Blechlawinen in den sonnigen Süden rollen, wird in erster Linie Uran angereichert: Für sämtliche 58 Kernkraftwerke, aus denen mehr als 80 Prozent des französischen Stroms stammen. Und hier wird kräftig gebaut und investiert: Mehr als vier Milliarden Euro in eine energieeffizientere Urananreicherung, wie der erst kürzlich neu installierte Areva-Direktor in Tricastin Frederic de Agostini betont!

    "Wir müssen auch verdeutlichen, dass es sich um eine Industrie handelt, wo man das Risiko nicht auf null herunterschrauben kann. Wir versuchen jedoch, das Risiko zu kontrollieren, um es akzeptabel zu machen."

    Atom ist in Frankreich nicht Gegenstand der Diskussion: Kernkraft ist die Lösung der Probleme, der Treibhausgasemissionen. Weshalb Umweltminister Borloo bei seinen Mammutumweltkonferenzen auch nie die Kernkraft zur Diskussion, geschweige denn in Frage stellen wollte!

    Nach den - übrigens nur auf Niveau eins auf einer von null bis sieben reichenden Skala eingestuften - Zwischenfällen vor Jahresfrist in Tricastin konnte man jedoch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Regelmäßige Kontrollen des Grundwassers in der Nähe von Kernkraftwerken wurden angeordnet und

    "Die Folge des Zwischenfalls war, dass die für Nuklearsicherheit zuständige ASN verlangt, dass jeder noch so geringe Zwischenfall deklariert werden muss,"

    ... erläutert Guy Soulavie, der stellvertretende Bürgermeister des benachbarten Dörfchens Lapalud.

    "Und bei der Firma Socatri, wo ein Rückhaltebecken defekt war, wurden drakonische Maßnahmen ergriffen."

    Vor allem sind Köpfe gerollt bei Socatri, der für die offenbar schlampig gelagerten militärischen Uranabfälle zuständigen Areva-Tochter in Tricastin.

    72 Kilo Uran waren laut offizieller Information ins Grundwasser gelangt. Der zuständige Präfekt hatte aufgrund von bis zu vierfach erhöhten Grenzwerten von 80 Mikrogramm pro Liter die Nutzung der Gewässer, bestimmter Trinkbrunnen und den Fischfang verboten. Für ein paar Tage rückte Tricastin in den Brennpunkt des Medieninteresses.

    Mit 400.000 Euro wurden laut Areva die betroffenen Bauern und Privatpersonen entschädigt. Statt Trinkwasserbrunnen wurde einigen Häusern ein Anschluss ans Leitungsnetz gebaut. Und Studenten haben im Rahmen einer Arbeit herausgefunden, dass aufgebrachte Winzer der Coteaux du Tricastin fünf Millionen Euro von Areva Entschädigung erhalten haben!

    Bemühungen laufen, den Namen des Weins zu ändern. Unnötig meint Roland Desbordes, dessen unabhängige Kontrollkommission zur Radioaktivität CRIIRAD in Proben keine Radioaktivität im Rebensaft festgestellt hat. Die Rebstöcke wurden nämlich nicht aus der verseuchten Schicht gewässert.

    Umso mehr bedauert Roland Desbordes, dass seinem Institut verwehrt wird, auf dem Gelände selbst Proben zu entnehmen und dass das Problem nicht an der Wurzel gepackt wird:

    "Die versuchen stets, das Problem, das Leck zu fixieren, wie sie sagen. Zwei Techniken gibt es: Entweder man ummauert die Problemzone, was Elektrizitätsbetreiber EDF macht und durchaus wirksam ist, oder es wird Wasser mit Hochdruck gepumpt, ein Saugeffekt erzielt und in die Rhone geleitet."

    70 Tonnen natürliches radioaktives Material führt der Fluss ohnehin mit: Da fallen ein paar Kilo wohl nicht auf! Überall entlang der Rhone haben Desbordes und seine Forscher von CRIIRAD jedoch erhöhte Radioaktivität durch AKW's und Krankenhausmüll festgestellt. Erhöht, aber innerhalb der staatlichen Grenzwerte. Und genau das bemängeln Atomkritiker wie Desbordes: Der Staat ist Hauptaktionär bei Areva und EDF, will Kernkraft zum Exportschlager machen und legt im Land ohne interne Debatte die Grenzwerte fest. Außer der jüngst bei den Europawahlen erstarkten Ökologiebewegung stellt niemand den Atomkonsens ernsthaft in Frage: Auch Frankreichs Kommunisten galt er stets als Symbol der Unabhängigkeit! Eine Verlängerung der Laufzeiten des zunehmend älteren französischen Atomkraftwerkparks auf 40 Jahre scheint längst beschlossene Sache.