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Nicht katastrophensicher

In Belgien soll nahe der Grenze zu Deutschland ein abgeschaltetes Atomkraftwerk wieder in Betrieb genommen werden. Und das, obwohl Schäden an den Ummantelungen der Meiler sowie ein Leck im Brennelementelager bekannt sind. Politiker und Umweltschützer aus der Region sind alarmiert.

Von Ludger Fittkau | 30.05.2013
    Schwarzer Mann – so heißt der mit knapp 700 Metern höchste Berg in der dünn besiedelten rheinland-pfälzischen Schnee-Eifel unmittelbar an der belgischen Grenze. Am Fuße des Berges lebt Barbara Hiltawski. Sie war einige Jahre Landtagsabgeordnete der SPD. Heute engagiert sie sich gegen das Atomkraftwerk Tihange in Belgien. Und dies, obwohl sie von ihrem Wohnort unterhalb des Schwarzen Mannes eher den Dampf der Kühltürme des französischen AKW Cattenom sieht:

    "Tihange sieht man nicht, aber nichtsdestotrotz ist Tihange ein Atomkraftwerk, das uns sehr nahe liegt."

    Nämlich gerade einmal 75 Kilometer entfernt in der Nähe der belgischen Großstadt Lüttich. Das Atomkraftwerk Tihange 2 war gemeinsam mit einem zweiten belgischen Reaktor bei Antwerpen im Sommer 2012 abgeschaltet worden. Mehrere Tausend Haarrisse wurden in den stählernen Ummantelungen der Meiler festgestellt.

    Nach Sicherheitsüberprüfungen hat die belgische Atomaufsichtsbehörde FANC aber nun keine Bedenken mehr, die beiden Reaktoren wieder hochzufahren, die gut ein Drittel des belgischen Atomstroms liefern. Die Haarrisse seien schon bei der Herstellung der Hüllen entstanden und nicht erst beim Betrieb der Reaktoren, so die Behörde.

    Die rheinland-pfälzische Landesregierung fordert hingegen angesichts der Sicherheitsmängel in Tihange die endgültige Stilllegung der Atomanlage. Es mache immer wieder durch Störfälle von sich reden, so Eveline Lemke, stellvertretende Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz:

    "Das heißt, wir sehen, Störfälle können sehr gefährlich sein. Und wir fordern aus diesem Grund, weil sie auch so schnell passieren und so häufig jetzt passieren, die Abschaltung des AKW."

    Die wallonischen Grünen, die Regierung der deutschsprachigen Minderheit in Ostbelgien sowie das Aktionsbündnis Atomenergie Aachen appellieren ebenfalls an die belgische Regierung, die Reaktoren aus Sicherheitsgründen abgeschaltet zu lassen.

    Die belgische Sektion der Umweltorganisation Greenpeace hat eine Klage gegen die zuständigen belgischen Behörden angekündigt, sollten die beiden umstrittenen Meiler in Tihange und Doel bei Antwerpen am Wochenende wieder ans Netz gehen.

    Greenpeace wirft der Regierung in Brüssel vor, im Falle eines Atomunfalls keinen ausreichenden Katastrophenplan für Tihange zu haben. Die SPD-Politikerin Barbara Hiltawski vermisst einen solchen Plan auch für den rheinland-pfälzischen Landkreis Bitburg-Prüm. Der sei immerhin halb so groß wie das Saarland, aber nicht darauf vorbereitet, wenn in einem der nahe gelegenen belgischen Atommeiler etwas passiert. Barbara Hiltawski fordert, dass die deutschen Behörden sich auf Störfälle in Tihange ähnlich vorbereiten sollten wie beim französischen AKW Cattenom an der Mosel:

    "Da passt man also auf, dass da nichts passieren kann. Gut da ist Luxemburg, Frankreich, das ist die Region. Aber was ist mit Tihange? Wenn da ein Störfall passiert, wie werden wir informiert? Oder müsste die Region Prüm sogar notfalls evakuiert werden? Wie ist der Katastrophenschutzplan? Wie ist die Zusammenarbeit mit den Landkreisen Euskirchen, Düren oder mit Ostbelgien?"

    Das ostbelgische Städtchen St. Vith, ein paar Kilometer weiter westlich, ist im Sommer ein beliebtes Ausflugsziel im Vierländereck Luxemburg, Belgien, Holland und Deutschland. Jos Becker ist Niederländer. Er weiß: In Tihange gibt es seit Jahren ein Leck im Brennelementelager, aus dem täglich rund zwei Liter kontaminiertes Wasser auslaufen:

    "Seit Jahren gibt es ein Schwimmbad voll. Ja ich denke, dass man für uns alle in Belgien, in Deutschland und in Holland etwa tun soll und dass man das nicht so laufen lassen kann. Das ist meine Meinung."

    Die Ursache für das Leck konnte jahrelang nicht festgestellt werden, kritisiert auch die rheinland-pfälzische Landesregierung. Wegen solcher gravierender Mängel sollte Tihange eigentlich 2015 endgültig vom Netz gehen, hatte die belgische Regierung beschlossen. Doch jetzt sei eine Laufzeitverlängerung von zehn Jahren geplant, kritisiert die SPD-Politikerin Barbara Hiltawski. Und das in einem Gebiet, das anfällig ist für Erdbeben:

    "Also es ist ja nicht so, dass die Region ganz frei ist auch von unterirdischen Störanfällen. Es gab ja schon vor Jahren ein Erdbeben hier im Aachener Raum. Es ist jetzt schon unheimlich, dass da was passieren könnte."

    Doch trotzdem wird das belgische AKW Tihange wohl am kommenden Wochenende wieder mit voller Leistung ans Netz gehen. Die Atomkraftgegner im Grenzgebiet wollen sich dann am darauffolgenden Samstag in Bewegung setzen – zur Demonstration am Dreiländereck bei Aachen.