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"Nicht mehr auf der Höhe der Zeit"

Google Street View sei nur ein Beispiel, wie durch Internetdienste Persönlichkeitsprofile erstellt werden könnten, meint Sachsen-Anhalts Datenschutzbeauftragter Harald von Bose. Das Bundesdatenschutzgesetz müsse auf den Prüfstand, da es die Privatsphäre im Internetzeitalter nicht mehr ausreichend gewährleiste.

Harald von Bose im Gespräch mit Jürgen Liminski | 24.02.2010
    Gerwald Herter: Die einen finden es hilfreich, andere beunruhigend. Google ist längst überall. Der Name des Unternehmens hat selbst in unsere Sprache Eingang gefunden. Google hat die meisten Computer erobert und Google Street View soll bald auch für Deutschland zur Verfügung stehen. Per Mausklick könnte man dann ganze Straßenzüge mit Hilfe von Fotos auf dem heimischen Computer betrachten. Mein Kollege Jürgen Liminski hat den Datenschutzbeauftragten von Sachsen-Anhalt, Harald von Bose, gefragt, ob sich der Straßenfotodienst noch stoppen lässt.

    Harald von Bose: Ich glaube, man wird ihn nicht völlig und ganz und gar stoppen können und dafür sorgen können, dass er gar nicht mehr stattfindet. Aber es gibt natürlich gewisse Möglichkeiten für die Betroffenen, dagegen vorzugehen, und zwar sowohl vor den Aufnahmen als auch dann, wenn sie schon erfolgt sind und ins Internet gestellt werden sollen.

    Jürgen Liminski: Die Folgen solcher Aufnahmen sind ja bedenklich. Da gibt es das Beispiel des heruntergekommenen Hauses, dessen Bewohner ständig Angebote von Malerfirmen erhalten, oder der Dame, die eine Bestellung mit dem Argument zurückbekommt, sie wohne in einer zweifelhaften Gegend, wie man eben in Google gesehen habe. Wie kann man denn gegen solche Folgen vorgehen?

    von Bose: Aus Ihren Beispielen zeigt sich zunächst, es handelt sich um personenbeziehbare Daten. Das gilt im Übrigen auch für diejenigen, die sich zufällig dann im Straßenbild aufhalten. Man kann nicht davon ausgehen, dass der Datenschutz im öffentlichen Raum nicht mehr gilt – Beispiel Videoüberwachung auf den Marktplätzen oder in den Lebensmittelketten, in den Geschäftsräumen. Dort werden auch immer solche erfasst, um die es eigentlich nicht geht. Also es wird ganz eindeutig einen Personenbezug geben, oder eine Personenbeziehbarkeit, und deswegen geht es auch immer um die Privatsphäre, und es gibt eben aufgrund der Verwendungszusammenhänge gewisse Risiken für die Betroffenen und das sind Folgen, an die man nicht zunächst denkt, aber die eben mit ins Kalkül gezogen werden müssen, wenn man solche Gefährdungen abwehren will. Es geht nicht darum, dass es irgendwann einen ganz bestimmten Eingriff gibt, also etwa ein Einbruch erfolgt, weil Diebe das Haus sich dann mal genau im Internet angeguckt haben, sondern das Grundrecht schützt schon vor Gefährdungen. Im Übrigen: Google Street View ist ja nur ein Beispiel der vielen Dienste von Google. Es besteht stets die Verknüpfbarkeit mit anderen Diensten und anderen Daten und insofern kann es stets zu Profilbildungen kommen, und auch das ist ein Problem für die Privatsphäre.

    Liminski: Die Privatsphäre in Gefahr. Die ganze Geschichte erinnert doch sehr auch an Zukunftsromane wie "1984" oder "Fahrenheit 451". Ist denn das Ende der Privatheit gekommen?

    von Bose: Davon gehen viele aus. Ich glaube das nicht. Zwar gibt es immer mehr Überwachungen durch den Staat, aber auch natürlich durch die Wirtschaft, etwa im Verbraucherbereich oder im Arbeitnehmerbereich, aber wir selbst, wir Nutzer etwa des Internets, tragen ja auch mehr und mehr dazu bei, dass Privatsphäre an Wert verliert. Ich denke an die vielen Nutzer sozialer Netzwerke. Die Frage wird sein, wie gelingt es, Privatsphäre noch im Internetzeitalter zu gewährleisten. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten ist in diesen Monaten dabei, dazu Eckpunkte zu erarbeiten. Das Datenschutzrecht - das zeigt sich auch am Fall Google Street View, wo man ja sich müht, dann Widerspruchslösungen herauszuarbeiten – ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit, es muss angepasst und generalüberholt werden.

    Liminski: Gibt es schon einige Eckpunkte dieses neuen Datenschutzrechtes?

    von Bose: Wir werden diese Eckpunkte in der Konferenz, so ist es vorgesehen, Mitte März in Stuttgart abschließend beraten und beschließen. Es wird zum Beispiel um das Thema Internet gehen und alle Fragen auch behandeln, wie der Technikbereich und insofern das Thema Datenschutz durch Technik stärker auch rechtlich zum Ausdruck kommen kann. Aber all die Internetthemen wie Suchmaschinen, wie Bewertungsportale oder andere Dinge, das muss alles auf den Prüfstand. Das Bundesdatenschutzgesetz kommt mit diesen neuen Entwicklungen im Grunde genommen nicht mehr zurecht.

    Liminski: Sie sagten eben, es gebe immer mehr Überwachungen, die Privatsphäre werde ausgehöhlt. Im Vergleich zu den Zukunftsromanen sind wir eigentlich schon recht weit gekommen, das ganz ohne massenhaften Protest. Wollen die Deutschen kontrolliert und ausgespäht werden? Wozu dient noch der Datenschutzbeauftragte?

    von Bose: Ich glaube, es sind nicht nur die Deutschen, die hier ein verändertes Verhalten an den Tag legen. Ich denke, es hängt mit der Technikentwicklung zusammen, an die wir uns gewöhnt haben, und es gibt sehr viele Menschen, die vermeintlich davon ausgehen, dass man anonym bleibe, wenn man sich in Sozialnetzwerken tummelt und Daten preisgibt.

    Es gibt allerdings auch ein paar gegenläufige Tendenzen. Das hat das Thema Vorratsdatenspeicherung gezeigt. Das Bundesverfassungsgericht wird ja in der nächsten Woche sein Urteil verkünden. Ich bin da sehr gespannt. Gerade aus Karlsruhe kommen immer Gegensignale, die es auch, zumal da wir in einem Verfassungsstaat leben, ernst zu nehmen gilt. Ich glaube, dass Datenschutz auch eine Zukunft hat, aber es wird eben nicht nur um das rechtliche Gefüge gehen, sondern immer auch um den Vollzug, und insofern ist eine Dauerforderung, dass man die Datenschutzkontrolle, die Eigenkontrolle in Behörden und Unternehmen, aber auch die externe Kontrolle durch Datenschutzbehörden, verstärken muss und dann flankieren durch eine ganze Reihe weiterer konkreter Vollzugsmaßnahmen.

    Herter: Google Street View und der Schutz der Privatsphäre. Der Datenschutzbeauftragte von Sachsen-Anhalt, Harald von Bose, im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.