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Nicht mehr heilig, aber unantastbar

Jung und ziemlich schüchtern: So hat Mohammed VI. auf viele Marokkaner gewirkt, als er vor 14 Jahren an die Macht kam. Mittlerweile gehört er zu den dienstältesten Herrschern in der arabischen Welt.

Von Jens Borchers, ARD Rabat | 24.08.2013
    Eine Parade zum Thronfest – die Marokkaner feiern ihren König. In gelbem Gewand steht Mohammed VI. auf dem roten Teppich, nimmt die Glückwünsche der Ehrengäste entgegen. Seit 14 Jahren ist er an der Macht und bestimmt die Geschicke des Landes. Im Vergleich zu seinem Vater, der vielen als autoritärer Monarch in Erinnerung ist, wirkt Mohammed VI. eher scheu und zurückhaltend – vor allem der Presse gegenüber, sagt Mohamed Darif, Politikwissenschaftler aus Casablanca.

    "Mohammed VI. erscheint nicht gerne in den Medien. Ganz anders als (sein Vater) Hassan II., der ständig Pressekonferenzen hielt. Das interessiert Mohammed VI. nicht. Er handelt lieber, als dass er redet."

    Wenn es darauf ankommt, handelt Mohammed VI. sogar sehr schnell. Zum Beispiel während des arabischen Frühlings. Als im Frühjahr 2011 auch in Marokko Tausende Menschen auf die Straße gehen, reagiert der König rasch. Er lässt sein Volk über eine neue Verfassung abstimmen und hält vorgezogene Parlamentswahlen ab. So kommt er den Forderungen nach mehr Demokratie entgegen – und nimmt den Protesten den Wind aus den Segeln. Doch seine eigene Macht beschränkt Mohammed VI. kaum. In Marokko spricht noch immer der Monarch das letzte Wort; Kritik am König ist tabu. Der 29-jährige Ahmed nimmt trotzdem kein Blatt vor den Mund. Der Uni-Absolvent heißt eigentlich anders, will seinen Namen aber nicht preisgeben. Ahmed gehört zu den Gründern der "Bewegung 20. Februar" und fordert eine echte Demokratisierung des Landes.

    "Der König kontrolliert die Justiz. Sie müsste aber eigentlich unabhängig sein; der König darf da nicht reinreden."

    Gewaltenteilung und Demokratie – im Königreich Marokko kann davon längst noch keine Rede sein. Dennoch gilt Mohammed VI. als Modernisierer – als einer, der entscheidende Reformen auf den Weg gebracht hat, ohne mit der Tradition zu brechen, sagt Mohammed Darif.

    "Wenn man schaut, was hier in Marokko passiert ist – gerade im Vergleich zu dem, was in anderen arabischen Ländern geschehen ist – kann man sagen, dass Mohammed VI. einige Herausforderungen gemeistert hat. Die Monarchie hat die Stabilität der marokkanischen Gesellschaft bewahrt. Außerdem hat er Grundlagen für eine pluralistische Politik geschaffen."

    So hat Mohammed VI. das Familiengesetz reformiert und die Frauenrechte gestärkt – auch gegen heftige Proteste der Islamisten, deren gemäßigter Flügel nach den Wahlen 2011 den Regierungschef stellt. Der Monarch richtete einen Menschenrechtsrat ein und ließ die Verbrechen unter der Herrschaft seines Vaters öffentlich aufarbeiten. Außerdem hat er die Berbersprache Tamazight als Staatssprache anerkannt. Mohammed VI. betont gerne, dass Marokko ein Land der kulturellen, sprachlichen und religiösen Vielfalt ist – das unterscheidet ihn von anderen Herrschern in der arabischen Welt. Sich selbst nennt Mohammed VI. "König der Armen". Dass er gleichzeitig der wichtigste Unternehmer seines Landes und extrem vermögend ist, macht Ahmed wütend.

    "Ein König der Armen, der Milliarden besitzt? Wenn ich König wäre, und zumal ein König der Armen, würde ich meinen Reichtum mit den Armen teilen."

    Nicht alle teilten diese Erwartung an den König, meint Mohammed Darif.

    "Wenn vom 'König der Armen' die Rede ist, heißt das nicht, dass der König arm ist. Wir sprechen vom 'König der Armen', weil er von Beginn an versucht hat, die Lage der Armen zu verbessern. Jeder weiß, dass das Soziale dem König besonders am Herzen liegt."

    Trotzdem haben gerade die Ärmsten mit den enormen Problemen des Landes zu kämpfen: mit der hohen Arbeitslosigkeit, dem Mangel an Bildung und an Perspektiven. Probleme, die es in vielen arabischen Ländern gibt. Doch viele Marokkaner halten an ihrem Monarchen fest. Dass Mohammed VI. als Nachkomme des Propheten Mohammed gilt, verleiht ihm in den Augen vieler seiner Landsleute zusätzlich Legitimität. Seit der Verfassungsänderung gilt er zwar nicht mehr als heilig, aber immer noch als unantastbar. Doch viele Beobachter erwarten, dass der König mittelfristig mehr Macht an das Parlament abgeben muss. Gerade regimekritische Intellektuelle fordern die Umwandlung Marokkos in eine echte konstitutionelle Monarchie. Aber noch hält der König alle Fäden in der Hand.