Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Nicht nur Buchhalter der NS-Diktatur

Das jetzige Bundesfinanzministerium hat seine NS-Vergangenheit untersuchen lassen, erste Ergebnisse werden heute vorgestellt. Dass die gesamte Finanzverwaltung eine verbrecherische Organisation war, könne man nicht sagen, so die Historikerin Christiane Kuller, wohl aber, "dass es einzelne Finanzbeamte gab, die Mitverantwortung trugen".

Christiane Kuller im Gespräch mit Jasper Barenberg | 03.06.2013
    O-Ton: "Das Auswärtige Amt leistete den Plänen der NS-Machthaber zähen hinhaltenden Widerstand, ohne jedoch das schlimmste verhüten zu können. Das Amt blieb lange eine unpolitische Behörde und galt den Nationalsozialisten als eine Stätte der Opposition"

    Jasper Barenberg: Von dieser entlastenden Selbstbeschreibung aus dem Jahr 1979 ist nicht mehr viel übrig, seit unabhängige Historiker die Geschichte des Auswärtigen Amtes in der NS-Zeit gründlich unter die Lupe genommen haben und vor drei Jahren zu einem ganz anderen Ergebnis kamen. Nicht eine Bastion der Anständigen war das Außenministerium demnach zwischen 1933 und 1945, sondern vielmehr ein Ort der Leisetreterei und der Willfährigkeit. Nicht nur Mitwisser waren deutsche Diplomaten, sondern Mittäter, auch am Mord an den europäischen Juden.

    Inzwischen lassen auch andere Ministerien und Bundesbehörden ihre NS-Geschichte wissenschaftlich erforschen. Erste Ergebnisse für das Finanzministerium werden heute in Berlin vorgestellt. Mit dabei wird dann die Historikerin Christiane Kuller von der Freien Universität Berlin sein. Sie hat sich intensiv vor allem mit der Frage beschäftigt, welche Rolle das Reichsfinanzministerium bei der Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung gespielt hat.

    - Vor der Sendung habe ich Christiane Kuller gefragt, ob nach dem Auswärtigen Amt auch das Finanzministerium nun das lange gepflegte Bild einer unpolitischen Fachbehörde korrigieren muss.

    Christiane Kuller: Eine unpolitische neutrale Verwaltungsbehörde war die Finanzverwaltung mit Sicherheit nicht, vor allem, wenn man auf die Beteiligung an der wirtschaftlichen Aushöhlung der Juden guckt. Ich würde vielleicht nicht unbedingt Parallelen zum Auswärtigen Amt ziehen, sondern denke, dass man hier im Hinblick auf die Verwaltung ganz eigene Fragestellungen stellen kann, nämlich wie ein solcher bürokratischer Apparat wie die Finanzverwaltung mit diesen Aufgaben im Bereich der Judenverfolgung umgegangen ist.

    Barenberg: Da geht es vor allem darum, die jüdische Bevölkerung systematisch auszuplündern, sie ihrer Werte zu berauben. Wie hat das Finanzministerium denn das organisiert?

    Kuller: Das betrifft einmal den Bereich der Steuererhebung, wo Juden systematisch diskriminiert und mit Sondersteuern belegt wurden. Und es betrifft den Bereich der Enteignung von Vermögen. Man kann diese Frage aber auch anders beantworten, nämlich im Hinblick darauf, ob es eigene sozusagen Judenreferate für die Verfolgungsvorgänge gegen Juden gab. Und da muss man sagen, solche Referate gab es und sie haben Kernbereich der Verfolgung auch organisiert. Aber es würde zu kurz greifen, nur dort antisemitische Verwaltungspraxis zu vermuten. Antisemitismus gehörte bei Finanzbeamten im Dritten Reich zum Verwaltungsalltag auch außerhalb dieser speziellen Referate.

    Barenberg: Kann man denn sagen, weil Sie auf der einen Seite von Sondersteuern sprechen und von systematischer Diskriminierung im Steuerrecht und auf der anderen Seite von Enteignung, dass die Beamten im Ministerium sowohl Gesetze benutzt haben, um insbesondere die jüdische Bevölkerung zu enteignen. Und auf der anderen Seite auch einfach geplündert haben?

    Kuller: Es ist zunächst mal ein Kennzeichen der fiskalischen Judenverfolgung, dass sie sich auf Gesetze und Verordnungen stützte und stützen konnte, dass Finanzbeamte sich bei ihrem Vorgehen gegen Juden auf gesetzliche Regelungen stützen konnten und gestützt haben. Darüber hinaus gibt es aber auch weite Bereiche der Willkür, in denen Gesetze übertreten wurden und in denen tatsächlich rechtswidrig auch geplündert wurde. Es gibt aber vor allem auch noch einen dritten Bereich und den finde ich auch ganz besonders interessant: Das ist der Bereich des Ermessensspielraums und der Handlungsspielräume der Finanzbeamten innerhalb der gesetzlichen Regelungen. Man muss dabei ja auch bedenken, dass die Reichsabgabenordnung noch aus dem Jahr 1919 stammte und im Dritten Reich nahezu unverändert weiter galt. Und zwar übrigens bis 1977 in der Bundesrepublik. Das heißt, hier bestanden offensichtlich innerhalb der gesetzlichen Ordnung Freiräume und Spielräume, die gegen Juden verwendet werden konnten und die von den Finanzbeamten auch benutzt wurden.

    Barenberg: Was ist denn Ihrer Meinung nach typisch für diese Finanzbeamten, dass sie die Handlungsspielräume genutzt haben zum Schaden der Juden, oder zum Nutzen?

    Kuller: Es gibt Beispiele für beides, allerdings doch zum Nutzen von verfolgten Juden nur relativ selten.

    Barenberg: War der typische Finanzbeamte im Ministerium denn der willige Buchhälter möglicherweise, der also der willige Vollstrecker war, wie das der Historiker Daniel Jonah Goldhagen einmal gesagt hat, oder waren das ganz normale Männer, wie es ein anderer Historiker, nämlich Christopher Browning einmal bezeichnet hat?

    Kuller: Es waren nicht nur Buchhalter. Sie waren auch Entscheidungsträger. Sie haben Verfolgungsmaßnahmen legitimiert und auch konzipiert und durchgeführt. Und das geht über die Tätigkeit eines Buchhalters weit hinaus. Insofern, wenn ich jetzt den Begriff der ganz normalen Männer von Christopher Browning aufnehme, würde ich sagen, das passt schon besser – vor allem, weil viele Finanzbeamte im Dritten Reich, die an Judenverfolgungsmaßnahmen beteiligt waren, langjährige Mitarbeiter waren, hoch professionelle Mitarbeiter, in diesem Sinne auch normale Finanzbeamte aus der Weimarer Zeit, die nach 1933 bereit waren, auch bei Judenverfolgungsmaßnahmen mitzuwirken.

    Barenberg: Wie wichtig war der Beitrag, wie entscheidend war er möglicherweise der Finanzverwaltung, wenn es um die Ausplünderung, wenn es um die systematische Enteignung geht? Wie wichtig war das alles mit Blick auf die Verbrechen des NS-Regimes?

    Kuller: Ich denke, dass erhebliche Gelder, erhebliche Summen, Milliardenbeträge auf diese Weise in die Staatskasse gekommen sind. Man kann sagen, es gab einen funktionalen Beitrag der Finanzverwaltung. Vor allem denke ich dabei an die Abwicklung der Vermögen der Deportierten. Es waren Finanzbeamte, die dann in die Wohnungen gingen, die zurückgelassenen Gegenstände konfiszierten, offene Vermögensfragen regelten. Und ohne diese Tätigkeit wären an zahllosen Orten in der deutschen Gesellschaft Spuren des bürgerlichen Lebens dieser Juden zurückgeblieben, die auf diese Weise erledigt wurden in professioneller Kompetenz der Finanzbeamten. Eine andere Frage ist die, ob die Finanzbeamten, die das getan haben, wussten, dass sie hier an einer riesengroßen staatlich geplanten Mordaktion, an dieser Verbrechenspolitik dieser Art beteiligt waren.

    Barenberg: Und kann man da Aussagen machen?

    Kuller: Da gibt es verschiedene Hinweise, dass einige leitende Beamte im Reichsfinanzministerium Bescheid wussten um die Zusammenhänge, auch an der Planung zum Teil mitgewirkt haben. Das gilt allerdings nicht für die breite Masse der Finanzbeamten. In den einzelnen Finanzämtern gibt es aber Beispiele, wenn eine offene Vermögensfrage nicht zu klären war, ein Erbfall oder irgendwelche Zusammenhänge, und die Finanzbeamten versuchten, dann zu recherchieren und mit dem Deportierten noch mal Kontakt aufzunehmen. Und dabei mussten die Finanzbeamten zwangsläufig auf größere Zusammenhänge stoßen und es musste ihnen klar sein, dass die Deportierten schon lange nicht mehr leben, dass sie ermordet sind.

    Barenberg: Würden Sie also alles in allem sagen – das wurde ja auch mit Blick auf das Auswärtige Amt diskutiert -, dass es sich beim Finanzministerium um eine verbrecherische Organisation gehandelt hat?

    Kuller: So weit würde ich nicht gehen, weil ich denke, dass man von dieser funktional wichtigen Rolle, die die Finanzverwaltung gespielt hat, nicht unbedingt darauf schließen kann, dass es eine verbrecherische Organisation war, was ja eine gewisse Absicht und ein Bewusstsein für die Gesamtzusammenhänge voraussetzt. Aus den bekannten Gründen, denke ich, kann man nicht sagen, dass die gesamte Finanzverwaltung eine verbrecherische Organisation war, wohl aber, dass es einzelne Finanzbeamte gab, die da durchaus Mitverantwortung trugen.

    Barenberg: Die Historikerin Christiane Kuller von der Freien Universität Berlin. Danke für das Gespräch!

    Kuller: Ja, ich bedanke mich auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.