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Niebel: Mehr im Wahlkampf versprochen, als wir umsetzen konnten

Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel sagt, dass seine Partei, die FDP, nach der Regierungsübernahme sich mehr zugetraut habe, als die Realität es tatsächlich ermöglicht habe. Trotz des Umfragetiefs der Liberalen gebe es keine neue Profilierung. Man halte an den Grundsätzen fest, so Niebel weiter.

Dirk Niebel im Gespräch mit Mario Dobovisek | 03.04.2012
    Mario Dobovisek: Einer meiner Kollegen hier im Deutschlandfunk gab vor wenigen Tagen in seiner Moderation der FDP scherzhaft einen neuen Namen. Er nannte sie die FZP, die Fast-Zwei-Prozent-Partei. Und ja: In einigen Bundesländern werden die Liberalen von den Meinungsforschern tatsächlich nur noch als Splitterpartei gewertet. Das führt so weit, dass die ARD am Sonntag vermeldete, sie wolle die abstürzende FDP mit einer Spendengala retten, moderiert von Florian Silbereisen. Zum Glück war das nur ein Aprilscherz.

    Die Liberalen klammern all ihre Hoffnung nun an die Wahlen in Nordrhein-Westfalen und in Schleswig-Holstein. Gestern hatte ich hier in Köln Gelegenheit, mit Dirk Niebel zu sprechen. Er ist Bundesentwicklungsminister und Präsidiumsmitglied der FDP. Und meine erste Frage lautete: Schmerzt Sie so viel öffentliche Häme?

    Dirk Niebel: Ich würde mich freuen, wenn die ARD diese Spendengala durchführen würde, da hätten wir bestimmt alle eine Menge Freude dran. Und ansonsten gilt ja, Totgesagte leben länger.

    Dobovisek: Wie lange?

    Niebel: Ich hoffe, dass die Zukunft der FDP noch über mehrere Generationen hinweg dieses Land mitgestalten kann. Aber jetzt arbeiten wir erst mal an der kurzfristigen Planung und wollen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wieder in den Landtag einziehen.

    Dobovisek: Was hat die FDP seit dem Erfolg bei der Bundestagswahl falsch gemacht?

    Niebel: Nun, zunächst einmal haben wir wahrscheinlich zu lange gebraucht, bis meine Funktion als Generalsekretär nachbesetzt worden ist nach der Regierungsübernahme, sodass wir auch gegen Angriffe des Koalitionspartners, der Teile des Koalitionsvertrages wieder neu diskutieren wollte, nicht sprachfähig genug gewesen sind. Wir haben darüber hinaus mehr im Wahlkampf versprochen, als wir tatsächlich umsetzen konnten. Das war nicht, weil wir es nicht umsetzen wollten, sondern wir haben es schlichtweg nicht geschafft. Wir haben uns mehr zugetraut, als die Realität es tatsächlich ermöglicht hat. Es gab den einen oder anderen sonstigen Fehler.

    Dobovisek: War die FDP also realitätsfern?

    Niebel: Nein, wir waren nicht realitätsfern, sondern wir haben auch gedacht, dass diese gesellschaftlichen Veränderungen, die wir angesprochen haben, die Stärkung der Mitte der Gesellschaft, auch die Leistungsgerechtigkeit, die ja viele Menschen gewählt haben - sie haben sie ja gewollt, sonst hätten sie sie nicht gewählt -, dass das mehr Konsens in der politischen Klasse dieses Landes hätte und man deswegen auch mehr umsetzen kann, und da haben wir uns geirrt.

    Dobovisek: Hat die FDP also zu lange auf das falsche Pferd gesetzt mit dem Mantra der Steuersenkungen?

    Niebel: Nein, nicht, wenn Steuersenkung als Leistungsgerechtigkeit gewertet wird, und das ist ja auch das, was jetzt in der aktuellen Diskussion im Bundesrat besprochen wird. Es kann ja nicht sein, dass der Staat überproportional mehr Steuern einnimmt, und wenn jemand eine Gehaltserhöhung hat, er weniger davon hat, als wenn er sie nicht gehabt hätte. Das ist ja nicht fair, denn jemand, der arbeitet, muss ja auch etwas dafür haben, und aus diesem Grund ist die Diskussion schon gerechtfertigt, allerdings in der Kombination mit soliden Haushalten, und hier ist etwas, was wir tatsächlich falsch eingeschätzt haben. Die Situation über unsere Währung und über die Verschuldung der Republik, die haben wir anders eingeschätzt, als wir sie nach der Regierungsübernahme wirklich vorgefunden haben.

    Dobovisek: Was muss die FDP dann gerade in dieser Hinsicht besser machen?

    Niebel: Wir sind hier auf einem sehr guten Weg, was die Haushaltskonsolidierung anbetrifft, nicht nur auf Bundesebene, wo wir zusammenarbeiten daran, dass die Neuverschuldung geringer wird und die Schuldenbremse deutlich schneller umgesetzt wird, als es gesetzlich notwendig ist, sondern auch da, wo wir auf Landesebene Verantwortung tragen. Zum Beispiel in Bayern, in der schwarz-gelben Regierung dort, haben wir die schwarze Null schon, die wir auf Bundesebene noch wollen. Und wir stabilisieren auch innerhalb Europas unsere Währung, weil die Menschen in Deutschland im kollektiven Gedächtnis haben, was es bedeutet, einen Währungsschnitt durchzuführen, und wenn plötzlich alles nichts mehr wert ist, was man sich erarbeitet hat. Deswegen helfen wir in Europa, für eine stabile Währung zu arbeiten, und aus diesem Grund können wir es uns nicht leisten, das Gegenteil hier in Nordrhein-Westfalen zu tun, in die Verschuldung zu gehen.

    Dobovisek: Sie haben bereits angesprochen, dass die FDP lange, zu lange gebraucht habe, um einen neuen Generalsekretär zu benennen. Christian Lindner war es dann. Sie haben ihn auch schon öffentlich kritisiert, als er noch Generalsekretär war. Er habe das Dehler-Haus nicht im Griff. Was zeichnet ihn dann dafür aus, jetzt der große Messias der FDP in Nordrhein-Westfalen zu sein?

    Niebel: Ich habe nie öffentlich kritisiert, dass er das Dehler-Haus nicht im Griff habe, sondern ich habe gesagt, dass die Kampagnenfähigkeit der Partei verloren gegangen ist. Das hat viele verschiedene Beweggründe.

    Dobovisek: Ist das nicht das Gleiche?

    Niebel: Nein, das ist nicht das Gleiche. Es ist was anderes, ob sie ein Haus im Griff haben, oder ob sie eine Kompetenz verloren haben, und deswegen ist das ein wesentlicher qualitativer Unterschied der Kritik. Ansonsten habe ich auch gesagt, dass er ein hervorragendes Talent hat und in seinem Lebensalter die Möglichkeit hat, in jedes Amt dieser Partei auch zu einem späteren Zeitpunkt zu kommen. Nun hat sich hier die Situation ergeben in Nordrhein-Westfalen, dass die Verschuldungspolitik der Minderheitsregierung von Grün und Rot keine Zukunft hatte und dass man in eine Wahlkampfsituation kommt, und Christian Lindner ist ein außerordentlich sympathischer, innovativer und eloquenter Mensch, der es schafft, mit seinem rhetorischen Talent die Menschen zu überzeugen, und deswegen ist er der absolut geeignete Wahlkämpfer hier für Nordrhein-Westfalen und wird die FDP mit einem ordentlichen Ergebnis wieder in den Landtag zurückführen.

    Dobovisek: Der Dritte im Bunde ist der Bundesparteichef Philipp Rösler, und während das Mantra der Steuersenkung ganz offensichtlich gescheitert ist in den letzten Monaten und Jahren, gibt es offenbar ein neues Mantra, und zwar das Mantra der Wachstumspartei. So hat jedenfalls Philipp Rösler die FDP neuerdings genannt. Ist das der richtige Weg?

    Niebel: Es ist kein neues Mantra, sondern es ist eine notwendige Voraussetzung, um den Wohlstand der Menschen in Deutschland zu sichern. Die Frage der Steuerdiskussion ist eine Gerechtigkeitsfrage. Es geht auch um Leistungsgerechtigkeit. Und wenn ich mir angucke, welche Gratisgesellschaft hier teilweise von den Piraten gefordert wird, bedingungsloses Grundeinkommen für alle, kostenfreier Nahverkehr für alle, kostenfreies dies, kostenfreies jenes und bloß keine Rechte mehr am eigenen Gedanken zu haben, dann wundere ich mich schon manchmal, welche Politik eine Zustimmung in der Bevölkerung bekommt. Auf der anderen Seite muss man sagen, ohne Stabilität und Wachstum, ohne die Errungenschaften der Sozialen Marktwirtschaft gibt es auch keinen Wohlstand, und deswegen ist Wachstum eine zentrale Größe für viele Menschen in diesem Land, um Wohlstand zu erlangen und zu behalten.

    Dobovisek: Aber wieder nur ein Thema?

    Niebel: Es ist nicht ein Thema, sondern es ist ein Querschnittsthema, das sich durch alle Bereiche zieht. Wachstum ist nicht nur eine Geldfrage, Wachstum ist auch eine qualitative Frage, Wachstum hat was mit Forschung und Entwicklung zu tun, Wachstum hat etwas mit Zukunftsperspektiven zu tun, es ist also etwas, das durch alle Politikfelder sich zieht, und vielleicht finden wir noch ein Wort, das es noch besser und prägnanter beschreibt, was wir uns darunter vorstellen.

    Dobovisek: Die FDP versucht, sich in den letzten Tagen und Wochen zu profilieren. Wir haben da Themen wie zum Beispiel Schlecker, die Pendlerpauschale, das Betreuungsgeld, die Vorratsdatenspeicherung nach wie vor. Damit ecken Sie auch bei Ihrem Koalitionspartner an, bei der CDU und vor allen Dingen auch im Moment bei der CSU. Um welchen Preis wagen Sie diese neue Profilierung der Partei?

    Niebel: Es ist keine neue Profilierung der Partei. Wir halten an unseren Grundsätzen fest. Wir finden bestimmte Dinge richtig und notwendig und andere wiederum falsch, und das war schon immer so und das beschreiben wir. Das, was jetzt von Ihnen als Profilierung empfunden wird, hängt mit Umfragewerten zusammen. Wären die nicht da, dann wäre das ein intellektuell wertvoller politischer Diskurs, den wir hier führen würden. Das ist also auch eine Frage der Betrachtung.

    Dobovisek: Kommen wir zur Entwicklungszusammenarbeit. In den vergangenen Monaten gab es einige personelle Veränderungen bei Ihnen im Ministerium. Auffallend viele der mit neuen Posten bedachten Mitarbeiter stammen aus dem Umfeld der FDP. Die SPD wirft Ihnen deshalb Vetternwirtschaft vor. Selbst beim Koalitionspartner, der Union, sorgt Ihre Personalpolitik für Unmut. Deren Fachleute schrieben Angela Merkel vor Weihnachten sogar eine Art Brandbrief, um vor Alleingängen von Ihnen als Minister zu warnen. Welchen Plan verfolgen Sie mit Ihrem Ministerium?

    Niebel: Also die von Ihnen aufgestellte These ist natürlich realitätsfern. Das stimmt nicht. Und was diesen sogenannten Brandbrief anbetrifft, da ist es ganz interessant, sich mal die konkrete Formulierung anzugucken. Wir haben einen Personalzuwachs von 280 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium [Anmerkung der Redaktion: Nach Angaben des Ministeriums handelt es sich um 213 Mitarbeiter], insgesamt sparen wir aber 300 bundesweit im Haushalt des Bundes ein. Dieser Zuwachs dient dazu, die politische Steuerung für die Durchführungsorganisation zu ermöglichen, und den müssen sie organisatorisch ja einpflegen in ein Haus. Das heißt, ehe ich die alle ins Ministerbüro setze, gründet man eine Abteilung, wo die Menschen dann hinkommen und organisatorisch eingesetzt werden.

    Dobovisek: Mit natürlich einem Abteilungsleiter von der FDP.

    Niebel: Abteilungsleitungen sind natürlich politische Beamte. Deswegen werden sie auch politisch ausdrücklich gewollt, politisch besetzt, und der Brief formuliert sinngemäß, man müsse aufpassen, dass Herr Niebel nicht jemanden seiner politischen Interessenlage mit dieser Funktion betraut, weil man dann nicht selbst einen unionsnahen Mitarbeiter einsetzen kann. Also der Vorwurf des Nepotismus, um selbst Nepotismus zu betreiben, der ist schon sehr gewagt. Selbstverständlich werden politische Beamte auch bei mir politisch besetzt, darauf bestehe ich nicht nur, das ist übrigens gängige Staatspraxis und Regierungshandeln auf allen Ebenen dieser Republik, egal wer in der Regierung ist.

    Dobovisek: Nun ist uns ein Papier bekannt geworden, das ist schon etwas älter, stammt aus der Zeit vor den Koalitionsverhandlungen. Das heißt "Zur politischen Positionierung von AA und BMZ", also dem Auswärtigen Amt und Ihrem Ministerium. Darin wird unter anderem bemängelt, die liberale Durchdringung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sei bislang zu kurz gekommen. Verfolgen Sie da das Parteiziel?

    Niebel: Ich kenne dieses Papier nicht und das, wo ich Generalsekretär gewesen bin. Deswegen bin ich ganz gespannt, wer der Autor sein soll. Mir ist es nicht bekannt und das ist auch nicht mein Ziel. Mein Ziel ist, die Entwicklungszusammenarbeit in die Mitte der Gesellschaft zu führen, sie rauszuholen aus der politischen Kuschelecke und dazu beizutragen, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung als globale Zukunftspolitik erkannt werden und als eine ganz zentrale Herausforderung auch für eine Exportnation, wie Deutschland es ist, die im internationalen Kontext sehr aktiv und engagiert ist. Und dazu bedarf es erst einmal der politischen Steuerung all dessen, was durchgeführt wird auf der Welt. Das war in der Vergangenheit nicht der Fall.

    Dobovisek: Gehört zu dieser Neuausrichtung auch die Abgabe von Kompetenzen zum Beispiel an das Auswärtige Amt?

    Niebel: Nein! Es gehört aber eine klare Zuständigkeitsregelung, und da gehört es dann auch dazu, dass manche Dinge, die jetzt bei uns angesiedelt sind und klüger beim Auswärtigen Amt umgesetzt werden, dort hinkommen und umgekehrt, denn das "Gegengeschäft" besteht ja darin, dass die sogenannte ODA-Kohärenz, also das tatsächliche Wissen über das, was an öffentlichen Entwicklungsleistungen überhaupt gemacht wird und das Koordinieren der Selbigen, dort angesiedelt sind, wo es hingehört, nämlich beim Entwicklungsministerium. Und die Stärkung der Außenstruktur gehört natürlich dazu, dass das Ministerium mit Mitarbeitern an den Botschaften stärker vertreten ist, um die GIZ, die KfW und wie die Durchführungsorganisationen alle heißen besser politisch führen zu können.

    Dobovisek: Bundesentwicklungsminister und FDP-Präsidiumsmitglied Dirk Niebel bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für Ihren Besuch.

    Niebel: Sehr gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.