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Niebel: Menschen besser auf Dürrekatastrophen vorbereiten

700 Millionen Euro will das Bundesministerium für Entwicklung aufwenden, um den Hunger in der Welt zu bekämpfen, so Dirk Niebel. Vor allem sei es wichtig, Menschen auf Dürrekatastrophen besser vorzubereiten und die Bedeutung der ländlichen Entwicklung zu fördern.

Dirk Niebel im Gespräch mit Peter Kapern | 15.08.2011
    Peter Kapern: Zwölfeinhalb Millionen Menschen sind derzeit in Ostafrika vom Hungertod bedroht, zwölfeinhalb Millionen Menschen, das sagen die Vereinten Nationen. Die Ursache dieser Katastrophe ist eine verheerende Dürre, die mehrere Länder in der Region in Mitleidenschaft gezogen hat, vor allem aber eines der ohnehin ärmsten Länder der Welt, nämlich Somalia. Zehntausende sind bereits gestorben, Hunderttausende sind geflüchtet ins Nachbarland Kenia. Und genau dort, in der Hauptstadt Nairobi, habe ich vor einer knappen Stunde Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel telefonisch erreicht, der die Krisenregion derzeit besucht. 30 Millionen Euro Nothilfe hat Deutschland bislang gegeben, Hilfsorganisationen fordern die Regierung auf, die Hilfen deutlich aufzustocken. Bislang aber zögert die Regierung. Warum, das habe ich Dirk Niebel vorhin gefragt?

    Dirk Niebel: Die Bundesregierung hat schnell und zielgerichtet gehandelt und wir werden weiter zielgerichtet handeln und werden entsprechend der Notwendigkeiten und der Bedarfe, die unsere Partner vor Ort schildern, auch weiter unterstützen. Ich hatte gestern schon einige Projektbesuche und aber auch Gespräche insbesondere mit Vertretern von UN-Organisationen, auch für Somalia zuständigen Vertretern, heute das Treffen mit dem Staatspräsidenten, dem Premierminister und verschiedenen Ministern, sodass wir im Laufe des Tages genauer wissen, welche Bedarfe tatsächlich bestehen.

    Kapern: Das heißt also, am Ende dieses Tages werden Sie sagen, wie viel zusätzliches Geld aus Ihren Kassen für die Nothilfe in Ostafrika kommen wird?

    Niebel: Ich bin sicher, dass wir am Ende des Tages klarer sehen werden. Auf der anderen Seite weise ich noch einmal ausdrücklich darauf hin: Wissend, dass wir mehr tun werden auch bei der unmittelbaren Hilfe, dass eine zentrale Aufgabe in der Vergangenheit vernachlässigt wurde, nämlich die Entwicklung ländlicher Räume. Das stand zehn, 15 Jahre lang nicht auf der Agenda der internationalen und auch der deutschen Entwicklungspolitik und das ist eine der Voraussetzungen für diese Härte der Dürre, die jetzt auf die Menschen niederschlägt. Und da muss geändert werden. Deswegen bin ich froh, dass wir seit 2010 die Entwicklung ländlicher Räume zum Schwerpunkt unserer Entwicklungszusammenarbeit gemacht haben, und das werden wir auch entsprechend stärken.

    Kapern: Wie ist es zu diesem Versäumnis gekommen?

    Niebel: Ich kann hier nur spekulieren, weil ich damals noch nicht im Amt gewesen bin. Fakt ist, dass die Entwicklung ländlicher Räume, also das Schaffen von Strukturen, das Unterrichten in Anbaumethoden, Bewässerungsmethoden, Lagerhaltung und Transportmöglichkeiten, dass das eine lange Zeit dauert, bis man vorzeigbare Ergebnisse hat. Im schnelllebigen politischen Geschäft ist man dann vielleicht nicht schnell genug mit positiven Meldungen für die Medien. Aber das nützt den Menschen nichts und deswegen haben wir im vergangenen Jahr 650 Millionen Euro weltweit für die Entwicklung ländlicher Räume investiert, werden in diesem Jahr die 700-Millionen-Marke knacken und bis zum Jahre 2012 – auch die entsprechende Zusage der Frau Bundeskanzlerin vom G8-Gipfel in L’Aquila – 700 Millionen im Jahresdurchschnitt von 2010 bis 2012 in ländliche Räume investieren, umgesetzt haben.

    Kapern: Wie sehen solche Projekte konkret aus, die damit gefördert werden sollen? Was genau können Sie ändern an einer Dürrekatastrophe, wie sie seit Jahren jetzt das Horn von Afrika heimsucht?

    Niebel: An der Dürrekatastrophe selbst können wir natürlich gar nichts ändern, auch mit keinem noch so guten Projekt. Wir können aber die Menschen besser darauf vorbereiten, zum Beispiel, indem sie geschult werden, und zwar flächendeckend, in modernen Bewässerungstechnologien. Das sind ganz einfache Technologien, die kein großes Ingenieurwissen benötigen, sondern nur ein bisschen Training. Oder aber in dem Auffangen von Regenwasser, etwas, was normalerweise jeder Hausbesitzer in Deutschland mit einer großen Tonne macht, um etwas Wasser zu sparen, wenn er den Rasen gießt. All solche Sachen sind relativ einfach zu tun. Darüber hinaus gehört es natürlich hierzu, auch Unterrichtungen zu machen für Behörden, natürlich auch über Korruption aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass Korruption tötet, wenn die Lebensmittel, wenn die Hilfsgüter nicht bei den Menschen ankommen. Und all das ist ein Gesamtpaket, an dem wir arbeiten. Dieses Gesamtpaket ist mit Sicherheit insgesamt schlüssig und wird unseren Partnern in dieser Region, die ja weit über das, was wir im Fernsehen in Kenia sehen, hinaus betroffen ist, mit Sicherheit für die Zukunft bessere Chancen geben, sich auf wiederkehrende Dürren, mit denen wir ja rechnen müssen, einzustellen.

    Kapern: Das klingt nach einem weiten Feld, nach einer gigantischen Aufgabe. 700 Millionen jährlich weltweit, wie Sie eben sagten. Das klingt so, als käme man damit nicht besonders weit.

    Niebel: Nun, das ist weit mehr als zehn Prozent meines Gesamtetats und von daher eine enorme Anstrengung für den deutschen Steuerzahler, das darf man auch nie außer Acht lassen. Wir sind einer der größten Geber weltweit, wir haben auch enorme Kompetenz in diesem Bereich. Die sollten wir jetzt wieder für unsere Partner nutzbar machen, auch wenn die Ergebnisse nicht ganz schnell vorzeigbar sind, dafür aber dauerhaft wirken.

    Kapern: Herr Niebel, lassen Sie uns noch mal auf die akute Nothilfe schauen, denn das, was Sie uns gerade geschildert haben, das würde ja erst lang- oder mittelfristig Hilfe bereitstellen. Kurzfristig macht beispielsweise die Hilfsorganisation Safe the Children darauf aufmerksam, dass 260.000 unterernährte Kinder gerade aus einem Ernährungsprogramm für Kinder gestrichen wurden, dass denen nicht mehr geholfen werden kann, weil das Geld einfach nicht ausreicht, um alle Kinder mit dieser Spezialnahrung, die es da gibt, zu versorgen. Warum dann immer noch Ihr Zögern, was weitere Hilfszusagen jetzt angeht?

    Niebel: Ich zögere keine Sekunde lang, sobald ich weiß, welche Maßnahmen notwendig sind. Und wir hatten gestern ja auch Gespräche mit dem Welternährungsprogramm, mit dem wir schon lange in gutem Kontakt sind, das auch von uns unterstützt wird nicht nur in dieser Krise, sondern auch in anderen. Und Sie können sicher sein, dass am Ende des Tages ein in sich schlüssiges Konzept für kurz-, mittel- und langfristige Unterstützung am Horn von Afrika, und zwar mit einem regionalen Ansatz, vorliegen wird.

    Kapern: Wollen Sie uns eine Zahl nennen, Herr Niebel?

    Niebel: Nein, da werden Sie Verständnis dafür haben, dass ich das jetzt, um diese Uhrzeit noch nicht kann.

    Kapern: Sie besuchen derzeit Kenia, morgen werden Sie dort das größte Flüchtlingslager der Welt besuchen, Dadaab, wo sich rund 400.000 Menschen aufhalten, die dorthin geflüchtet sind vor dem Hunger. Was wollen Sie dort in Erfahrung bringen?

    Niebel: Kenia hat ja schon seit über 20 Jahren Flüchtlinge aus Somalia aufgenommen und Dadaab ist nicht nur das weltgrößte Flüchtlingslager, sondern auch eins der ältesten, wenn man die palästinensischen Lager mal außer Acht lässt, es besteht auch schon seit 20 Jahren. Hier geht es mir darum, vor allem mir einen Eindruck zu verschaffen über die Registrierung der neu ankommenden Flüchtlinge, wie gewährleistet wird, dass diese neuankommenden Flüchtlinge integriert werden in das bestehende Lager, und natürlich auch – das wird auch Bestandteil der politischen Gespräche heute sein – die Öffnung anderer Lager, um zusätzliche Menschen aufnehmen zu können, andere Lager, die teilweise ja auch schon aufnahmebereit sind.

    Kapern: In Dadaab kommen noch immer täglich Hunderte Menschen aus Somalia an, die vor dem Hunger dort fliehen. Dort hat sich die islamistische Al-Shabaab-Miliz ja weitgehend aus Mogadischu zurückgezogen, droht jetzt aber mit einem Guerillakrieg und verhindert in den ländlichen Regionen noch immer Hilfslieferungen. Haben Sie ein Rezept dafür, wie man damit umgehen kann?

    Niebel: Nun, es gibt unter sehr erschwerten Bedingungen natürlich Möglichkeiten, auch in Somalia tätig zu sein. Sie sprachen vorhin das Welternährungsprogramm an, auch da gibt es Zugänge in verschiedenen Regionen Somalias, wir arbeiten intensiv mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes zusammen, das über den Roten Halbmond in anderen Regionen wiederum Zugänge hat. Und wir haben Kontakte, die ich allerdings nicht konkretisieren möchte, um die Mitarbeiter nicht in Gefährdung zu bringen, Kontakte über die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit und örtliche Nichtregierungsorganisationen. Aber Fakt ist natürlich auch, dass das nicht flächendeckend funktioniert, und das beschreibt noch einmal die Gesamtsituation, die von der Dürre zwar die Menschen sehr betroffen hat, aber noch verstärkt wird durch die kämpferischen Auseinandersetzungen in Somalia. Und da das schon seit 20 Jahren nicht bewältigt werden konnte, dieses Problem, bedarf es dringend einer politischen Lösung.

    Kapern: Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke nach Nairobi und auf Wiederhören!

    Niebel: Gerne! Danke schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.