Freitag, 29. März 2024

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Niebel: Sicherheit und Aufbau bedingen einander

Entwicklungsminister Dirk Niebel hat die Kritik an der angekündigten stärkeren Verzahnung von militärischem Handeln und Aufbauhilfe in Afghanistan zurückgewiesen. Die Hilfsorganisationen könnten weiter unabhängig agieren. Lediglich wenn sie Fördermittel erhalten wollten, müssten sie dort tätig werden, wo die Bundeswehr Verantwortung übernommen habe.

Dirk Niebel im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.07.2010
    Jasper Barenberg: In vier Jahren sollen Regierung, Armee und Polizei selbst für die Sicherheit ihrer Bürger sorgen. Sehr viel Hoffnung und wenig Gewissheit liegt wohl in diesem Beschluss der internationalen Konferenz in Kabul an diesem Dienstag, denn die Bundeswehr-Soldaten und die internationalen Truppen sollen bis dahin zwar reduziert, aber nicht vollständig abgezogen werden.

    Parallel dazu will die Bundesregierung den zivilen Aufbau im Land verstärken, allerdings sollen Hilfsorganisationen dabei sehr viel stärker als bisher mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Vernetzte Sicherheit nennt das die Regierung, als Knebelung empfinden es die Helfer und verweigern sich diesem Ansatz. Verantwortlich für die Stoßrichtung ist der Entwicklungshilfeminister. Einen schönen guten Morgen, Dirk Niebel!

    Dirk Niebel: Ja, einen wunderschönen guten Morgen!

    Barenberg: Herr Niebel, betrachten Sie Organisationen wie die Welthungerhilfe, wie Oxfam, Misereor oder Caritas als Durchführungsorganisationen der Bundesregierung?

    Niebel: Nein, zu keinem Zeitpunkt. Übrigens ist verantwortlich für das Konzept der vernetzten Sicherheit die rot-grüne Bundesregierung, es ist bloß immer wieder fortgeschrieben worden. Und es macht natürlich überhaupt keinen Sinn, wenn Steuergeld eingesetzt werden von vier verschiedenen Bundesressorts, dass die nicht einheitlich eingesetzt werden, um das gleiche Ziel zu erreichen.

    Barenberg: Die rot-grüne Bundesregierung ist verantwortlich für diesen Ansatz der vernetzten Sicherheit, das heißt, in Ihrer Zeit hat sich jetzt gar nichts geändert an der politischen Grundlinie?

    Niebel: Doch, natürlich! Wir haben ja über zwei Vorgängerregierungen hinweg das Prinzip der vernetzten Sicherheit fortgeschrieben. Es wurde nach den Anschlägen in New York ja festgestellt, dass man einen erweiterten Sicherheitsbegriff ansetzen muss und dass Sicherheit nur hergestellt werden kann, wenn man diesen umfassenden Sicherheitsbegriff auch im kulturellen, im sozialen, im gesellschaftlichen Bereich ansetzt, damit Lebensbedingungen verbessert werden. Und die Bundesregierung hat durch die Strategieänderung in Afghanistan, durch die faktische Verdopplung der Mittel für den Einsatz im zivilen Bereich schon sehr viel verändert im Gegensatz zu den Vorgängerregierungen.

    Ich wundere mich auch manchmal über die Aufgeregtheit, die gerade bei Herrn Post ja schon an Populismus grenzt. Er als Mitarbeiter der Welthungerhilfe müsste wissen, dass seine Organisation Anträge nach dem Prinzip der vernetzten Sicherheit stellen wird. Es ist ja auch nichts Bemerkenswertes, was hier gefordert wird. Die Welthungerhilfe hat auch beschlossen, dass sie selbstverständlich mit zivilen staatlichen Stellen zusammenarbeitet – das sind meine Mitarbeiter in den PRTs –, die wiederum selbstverständlich mit den militärischen Stellen zusammenarbeiten, weil es keinen Sinn macht, dass man in der gleichen Region nicht am gleichen Ziel arbeitet.

    Barenberg: Die Hilfsorganisationen, sie legen sehr viel Wert auf Unabhängigkeit und sie führen ihre Erfolge ja auch auf diese Unabhängigkeit zurück. Was konkret wird sich denn jetzt ändern nach dem neuen Ansatz?

    Niebel: Überhaupt nichts. Die Hilfsorganisationen sind vollkommen frei und unabhängig in dem, was sie tun, sie können auch jedes Projekt durchführen, das sie wollen. Allerdings, wenn sie die zusätzlichen staatlichen Steuermittel in Anspruch nehmen wollen, müssen sie das Geld einsetzen in den Nordregionen Afghanistans, also da, wo die Bundeswehr auch Verantwortung für die Sicherheit trägt, und in deren Nachbarregionen. Und sie müssen ein Minimum an Kommunikation aufbauen, dass hier man weiß, wer was wann wo macht.

    Barenberg: Ist das bisher keine Selbstverständlichkeit?

    Niebel: Das ist offenkundig keine Selbstverständlichkeit in der Vergangenheit gewesen. Ich halte es allerdings für eine Selbstverständlichkeit, und deswegen wird es auch umgesetzt.

    Barenberg: Hilfe nur noch dort, wo die Bundeswehr operiert – das können wir also als ein Punkt dieses neuen Konzeptes festhalten?

    Niebel: Nein, Hilfe in den Nordregionen, da, wo die Bundeswehr Verantwortung für die Sicherheit trägt, und in den unmittelbar angrenzenden Regionen. Wir konzentrieren uns auf das Gebiet, für das wir Verantwortung übernommen haben, auch im Bereich des zivilen Aufbaus, weil wir der Ansicht sind, dass die Menschen dort, wo wir Verantwortung für die Sicherheit tragen, auch schneller eine Friedensdividende spüren müssen. Das strahlt aus auch in Regionen, die weniger sicher sind. Und eine Studie der TU Berlin im Auftrag meines Hauses, die ich Anfang des Jahres vorgestellt habe, stellt auch deutlich fest: Es gibt keine Sicherheit ohne Aufbau, aber es wird auch keinen Aufbau geben, also keinen Erfolg des zivilen Aufbaus, ohne ein Minimum an Sicherheit – beides bedingt sich gegenseitig.

    Barenberg: Nun gibt es ja Hilfsorganisationen, die in anderen Regionen des Landes zum Teil schon seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten engagiert sind. Was wird aus den Projekten dieser Organisationen?

    Niebel: Die Projekte, die jetzt neu bewilligt werden, werden im Norden bewilligt. Die Projekte, die in anderen Regionen Afghanistans noch für die Zukunft sinnvoll weitergeführt werden, werden, wenn der jeweilige Bewilligungszeitraum ausgelaufen ist, überprüft und gegebenenfalls auch weiter bewilligt. Es geht um das zusätzliche neue Geld, das in Afghanistan eingesetzt wird zur Verstärkung des Ziels, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in der Region, wo wir Verantwortung übernommen haben, zu verbessern. Und diese Gelder werden dort eingesetzt. Wer das nach den Kriterien, die vorgegeben sind, nicht machen möchte, ist völlig frei in seiner Entscheidung, muss dann allerdings akzeptieren, dass er von diesem Geld nicht partizipieren kann.

    Barenberg: Und muss dann auch akzeptieren, dass die Hilfstätigkeit für die Menschen vor Ort dann nicht fortgesetzt werden kann?

    Niebel: Wenn sie im Norden schon tätig sind, dann können sie die Projekte fortsetzen, auch mit den zusätzlichen neuen Mitteln, wenn sie sich mit den Sicherheitsstreitkräften abstimmen, wenn sie sich mit den Kräften des Innenministeriums abstimmen, wenn sie sich mit den Kräften des Auswärtigen Amtes abstimmen. Wir sind eine Bundesregierung, die mit dem Geld der gleichen Steuerzahler ein gemeinsames Ziel erreicht. Wer an diesem Geld teilhaben möchte, muss sich auch an die Rahmenbedingungen halten. Ansonsten, wer das nicht möchte, kann mit seinen eigenen eingeworbenen Mitteln tun und lassen, was er will.

    Barenberg: Die Hilfsorganisationen argumentieren ja folgendermaßen: Sie richten ihre Arbeit nach dem Bedarf der Menschen vor Ort, nach der humanitären Lage, und beschweren sich jetzt, dass sie ihre Tätigkeit den sicherheitspolitischen Zielen der Bundesregierung unterordnen sollen. Ist das völlig aus der Luft gegriffen?

    Niebel: Das ist völliger Unsinn. Die Maßnahmen des zivilen Aufbaus richten sich nach der Notwendigkeit und des afghanischen Aufbauplanes, der von der afghanischen Regierung abgestimmt ist in Regierungsverhandlungen mit der Bundesregierung, mit meinem Haus, und da sind die Maßnahmen, die zivil notwendig sind, das, was entscheidet, was durchgeführt wird, allerdings in einem Rahmen, der gesichert sein muss. Ich kann keinen Aufbauhelfer irgendwo hinschicken, wo Unsicherheit herrscht, er wird nie erfolgreich aufbauen können – da können Sie das Geld auch verbrennen. Und aus diesem Grunde setzt die Bundesregierung wie ihre beiden Vorgängerregierungen auf das Konzept der vernetzten Sicherheit.

    Barenberg: Nun sagen ja manche, gerade dort, wo keine Soldaten sind, sei Aufbauarbeit am ehesten zu leisten, weil nämlich im umgekehrten Fall, wenn sie also mit Soldaten in ihrer Begleitung erscheinen, die Ungewissheit und die Risiken, die Gefahren für die Helfer geradezu steigen.

    Niebel: Noch mal, damit es ganz klar wird: Kein Aufbauhelfer wird mit einem Soldaten irgendwo erscheinen müssen, es wird keine embedded Entwicklungshelfer geben, keine uniformierten Entwicklungshelfer, kein Soldaten wird nehmen Bohrlöchern stehen – es geht um Koordinierung dessen, was getan wird mit Steuermitteln. Und eine Koordinierung ist das Minimum dessen, was ein Steuerzahler zu erwarten hat an Transparenz und mit dem Einsatz seiner Mittel.

    Barenberg: Dirk Niebel, der Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit von der FDP. Danke schön für das Gespräch, Herr Niebel!

    Niebel: Gerne!