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Niedergang eines Traditionsunternehmens

Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert zählte die AEG, die "Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft", zu den größten Elektrokonzernen in Europa. Die Erfolgsgeschichte verlief kontinuierlich weiter, bis ab 1970 Managementfehler und eine schlechte Konjunktur den Konzern belasteten. Am 9. August 1982 meldete das Unternehmen Zahlungsunfähigkeit an.

Von Irene Meichsner | 09.08.2007
    "Eine solche Unterschrift zu leisten, eine solche Entscheidung zu fällen, die doch von ungeheuren Risiken begleitet ist, das ist sicher schwer, und man wird ja da nicht so von heute auf morgen drauf vorbereitet, sondern das quält sich ja in einem dahin. Man überlegt und denkt nach, wie könnte man, wie kann man all das Schlimme vermeiden? Aber wenn es dann geschehen ist, wenn die Entscheidung gefallen ist, dann gibt es nur eins: den Weg nach vorne, da muss man einfach durch."

    9. August 1982 – ein schwarzer Tag für die AEG-Telefunken. Den Konkurs hatte Heinz Dürr, der damalige Vorstandsvorsitzende, gerade noch abwenden können. Doch er sah sich gezwungen, beim Frankfurter Amtsgericht Vergleich anzumelden. Die Banken waren bereit, dem Konzern im Rahmen eines Vergleichsverfahrens noch einmal einen Kredit von zweieinhalb Milliarden Mark zu gewähren - eine letzte Chance für die traditionsreiche Firma, die 1883 auf der Grundlage einer Lizenz zur Herstellung von Edisons elektrischer Glühbirne gegründet worden war.

    Seit 1887 nannte sich das Unternehmen "Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft", binnen kurzem entwickelte es sich zu Deutschlands größtem Elektrokonzern. Die AEG organisierte die elektrische Beleuchtung, baute Dampfturbinen, Lokomotiven und Automobile, später Kühlschränke, Waschmaschinen, Elektroherde, das weltweit erste Tonbandgerät. Der Zweite Weltkrieg brachte schwere Einbrüche. Aber mit dem Wirtschaftswunder ging es wieder steil nach oben. Ein ehemaliger Mitarbeiter erinnert sich:

    "Die AEG war ja ein Riesenkonzern, und man fühlte sich da schon zu Hause. Und hatte auch nie Angst, dass man entlassen werden könnte oder – Arbeit gab es in Hülle und Fülle, wir mussten ständig Überstunden machen, da gab es überhaupt kein Murren."

    "AEG – Aus Erfahrung GUT" - der legendäre Werbeslogan zeugte von einem enormen Selbstbewusstsein. 1967 verschmolz der Konzern mit der Telefunken AG, 1970 stand er mit einem Umsatz von über sechs Milliarden D-Mark und 178.000 Mitarbeitern weltweit an zwölfter Stelle aller Elektrofirmen. Dann drohte wegen schwerer Managementfehler und notorischen Kapitalmangels der Absturz ins Bodenlose. Fehlinvestitionen, darunter der misslungene Einstieg in den Bau von Kernkraftwerken, führten zu Verlusten in dreistelliger Millionenhöhe. Hinzu kam in den 70er Jahren die schlechte wirtschaftliche Konjunktur. Ein Mitarbeiter:

    "Das ging ja schon immer mit den Aufträgen immer weiter runter, und die Arbeit wurde immer weniger. Grundsätzlich hieß es dann, es wird Kurzarbeit angesetzt. Man bekam dann schon Angst um den Arbeitsplatz."

    "AEG –Auspacken – Einschalten – Geht nicht", spotteten Mitarbeiter, als es immer öfter auch an der Produkt-Qualität haperte. Im Sommer 1982 waren die Liquiditätsreserven aufgebraucht. Letzte Versuche, Käufer oder potente Partner auf dem Weltmarkt zu finden, scheiterten; der Bund lehnte eine Staatsbeteiligung ab. Blieb die Hoffnung, im Rahmen eines Vergleichs durch den Erlass zumindest eines Teils der Schulden die finanzielle Handlungsfähigkeit zurück zu gewinnen. Ein Mitarbeiter:

    "Dann haben alle gesagt, na ja, so ein altes traditionsreiches Unternehmen wie die AEG – das lässt man nicht kaputtgehen."

    Auch Wilhelm Schaaf, der Vergleichsverwalter, verbreitete Zuversicht.

    "Ich sehe die Zukunft positiv, und ich bin der festen Überzeugung, dass AEG den Fortsetzungsvergleich bestehen wird."

    Nur Heinz Dürr schien seiner Sache nicht so sicher zu sein:

    "Da gibt es Einflüsse von außen, da gibt es technologischen Wandel. Heute darüber eine Aussage zu treffen, wie der Konzern in ein paar Jahren aussieht, wäre etwas – leichtsinnig."

    Langfristig sollten tatsächlich alle Sanierungsbemühungen scheitern. Auch die 1986 vollzogene Elefantenhochzeit mit der Daimler-Benz AG zögerte das traurige Ende nur hinaus. 1996 begrub Daimler Benz seine Vision eines gemeinsamen multinationalen Technik- und Rüstungskonzerns. Die AEG wurde aufgelöst, die Frankfurter Zentrale machte dicht. Was übrig blieb, war der Name "AEG" - die Markenrechte sicherte sich später die schwedische Electrolux-Gruppe, die zuletzt durch die Schließung des AEG-Stammwerks in Nürnberg Negativschlagzeilen machte. "AEG - Am Ende Gekillt" - die Belegschaft reagierte verbittert – zu Recht:

    "Auf die fleißigen Mitarbeiter ist das sicher nicht zurückzuführen, dass dieses alteingesessene Unternehmen so kaputt gegangen ist."