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Niederländisch-türkisches Verhältnis
Der Kaufmann hat wieder das Sagen

Der Konflikt begann, als die Regierung türkischen Politikern Wahlkampfauftritte in den Niederlanden untersagte. Der Tiefpunkt war erreicht, als Den Haag seinen Botschafter abzog. Doch nun herrscht Tauwetter. Beide reden wieder miteinander. Und sie handeln miteinander.

Von Kerstin Schweighöfer | 26.09.2018
    Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan und der niederländische Premierminister Mark Rutte auf einer Pressekonferenz in Den Haag am 21. März 2013 während eines Besuchs in den Niederlanden
    Die Niederlande sind einer der wichtigsten Handelspartner der Türkei. 2013 war Präsident Erdoğan - noch als Premierminister - zu Gast bei seinem niederländischen Kollegen Rutte (DPA/Martijn Beekman)
    Rotterdam, 11. März 2017, gegen acht Uhr abends: Vor dem türkischen Konsulat kommt es zu Unruhen. Eigentlich hätte der türkische Aussenminister für die umstrittene Verfassungsreform zur Einführung des Präsidialsystems in der Türkei werben wollen. Doch Den Haag hatte Wahlkampfauftritte dieser Art auf niederländischem Boden verboten und seinem Flugzeug die Lande-Erlaubnis entzogen.
    Daraufhin versuchte die türkische Familienministerin Fatma Kaya von Deutschland aus heimlich per Auto nach Rotterdam zu gelangen. Ihr Konvoi wurde vor dem Konsulat gestoppt. Vier Stunden lang verschanzte sich Kaya in ihrem Auto, dann musste sie unter Polizeibegleitung das Land verlassen - zur großen Wut der Rotterdamer Erdoğan-Anhänger.
    Wütend war auch Erdoğan: Diese Ausweisung werde Den Haag büßen, drohte der türkische Präsident und beschimpfte die Niederländer als Nazis und Faschisten. Das wiederum konnte der niederländische Premierminister Mark Rutte nicht auf sich sitzen lassen. Damit hätte Ankara eine rote Linie überschritten.
    Gesprächsfaden nach verbalen Entgleisungen abgerissen
    Weder Den Haag noch Ankara waren bereit, sich zu entschuldigen. Ein Eklat ohnegleichen, der dazu führte, dass die diplomatischen Beziehungen zunächst auf Eis gelegt und ein Jahr später, im Februar diesen Jahres, ganz beendet wurden.
    Ein äußerst schweres Mittel und obendrein ein für die Niederländer sehr ungewöhnliches: schlagen sie doch meistens den Königsweg ein, den des Gesprächs. Manchmal aber, so der ehemalige niederländische Außenminister und NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, gebe es keinen anderen Ausweg.
    Das calvinistische Handelsvolk hinter den Deichen sieht sich gerne als Volk von Kaufleuten und Pfarrern - "van koopmannen en dominees". Hebt der Pfarrer nicht den moralischen Zeigefinger, hat der Kaufmann freies Spiel. So auch lange Zeit bei den niederländisch-türkischen Beziehungen: Die Niederlande sind einer der wichtigsten Handelspartner der Türkei. 2012 noch hatte Den Haag die 400 Jahre alten Handelsbeziehungen im großen Stil gefeiert - in Anwesenheit der damaligen Königin Beatrix.
    Doch seitdem ist es zu einer ganzen Reihe von Konflikten gekommen: 2016 rief das türkische Konsulat in Rotterdam alle niederländischen Türken auf, Beleidigungen von Erdoğan sofort per Email zu melden. Im selben Jahr wurde eine niederländische Kolumnistin wegen Kritik an Erdoğan in der Türkei verhaftet. Vorläufiger Tiefpunkt: der Eklat im März 2017, als die türkische Regierung in Rotterdam nicht für die Änderung der Verfassung werben durfte, was dann zur Beendigung der diplomatischen Beziehungen geführt hatte.
    Überraschende Kehrtwende im Sommer
    Doch die Niederländer wären keine Niederländer, wenn sie nicht längst wieder das Gespräch gesucht hätten - in aller Stille, hinter den Kulissen. Das führte im Frühsommer, am Rande zweier NATO-Sitzungen, zu Treffen zwischen den Außenministern der beiden Länder. Und im Juli zu der überraschenden Erklärung, das Kriegsbeil sei begraben worden: "Die Beziehungen werden sich normalisieren", so der niederländische Außenminister Stef Blok.
    Entschuldigt hat sich nach wie vor keiner. Die Kontrahenten sind sich bloß einig geworden, dass sie sich in dieser Frage uneinig sind. Aber sie wollen nach vorne schauen. Weil Wichtigeres anstehe als die "bedauerlichen Vorfälle von Rotterdam", wie sie genannt werden: Terrorbekämpfung, das Flüchtlingsproblem und - nicht zu vergessen - die Wirtschaft. Mit anderen Worten: Der Pfarrer hat den Finger gesenkt - und der Kaufmann wieder das Sagen.