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Niederlande
Ein Parkhaus gegen den Fahrradstapel

In den Niederlanden profitieren Radler von breiten, vor Autos geschützten Radwegen und speziellen Ampeln. Doch führen tausende abgestellte Fahrräder auch zu Chaos. In Amsterdam werden sie häufig abgeschleppt. Am Bahnhof von Utrecht soll nun eine Tiefgarage Ordnung schaffen - mit Platz für 12.500 Räder.

Von Kerstin Schweighöfer | 28.07.2017
    Ein Radfahrer sucht sein abgeschlepptes Fahrrad in einer Sammelstelle in Amsterdam
    Die Stadt Amsterdam schleppt jedes Jahr rund 75.000 Fahrräder ab. Gesammelt werden sie zentral, aber sein eigenes wiederzufinden, ist ein echtes Problem. (AFP/ Robin Utrecht)
    Zufrieden rückt Bauvorarbeiter Dirk Jan Vinke seinen Schutzhelm zurecht und sieht sich um. Zufrieden - und stolz. Er steht im mittleren Geschoss der neuen Rad-Tiefgarage unter dem Utrechter Bahnhofsplatz. Nicht irgendeine Fietsenstalling, wie die Radabstellanlagen in den Niederlanden heißen. Oh, nein - diese Fietsenstalling hier, das wird die größte der Welt!
    12.500 Räder sollen hier Platz finden, verteilt über drei Etagen und wie in einem Parkhaus mit durchnummerierten Plätzen und farblich unterschiedlich markierten Abschnitten. Mit dem Unterschied, dass sich immer zwei Räder einen Platz teilen müssen – eins steht unten, das andere hängt darüber. Bei der Einfahrt ist auf großen Monitoren zu sehen, wo noch Plätze frei sind.
    Probleme beim Abstellen und Wiederfinden sind die gleichen
    Mit dieser Mega-Rad-Tiefgarage will die Stadt Utrecht das Chaos auf dem Bahnhofsplatz beseitigen, denn der wird derzeit neu gestaltet. Bislang türmen und stapeln sich die Fietsen dort noch regelrecht - ein "Ozean voller Fahrräder", wie es ein amerikanischer Autor nach einem Holland-Besuch einst beschrieb. Bis zu 15.000 sind es, denn Utrecht ist nicht nur Studentenstadt, sondern auch zentraler Verkehrsknotenpunkt des Landes. Der Bahnhofsplatz ist in Verruf geraten, wegen wahllos abgestellter Fahrräder und chaotischer Zustände:
    "Manchmal ist es so schwer, hier einen Platz zu finden, dass ich beinahe meinen Zug verpasse!", klagt dieser junge Mann. "Und hinterher brauche ich eine Ewigkeit, bis ich es wiederfinde."
    Amsterdam schleppt konsequent ab
    Das Problem mag nirgendwo so groß wie in Utrecht sein – aber auch andere Städte kennen es. Amsterdam versucht der Lage rundum die Centraal Station Herr zu werden, in dem die Stadt nicht vorschriftsmäßig abgestellte Räder einfach abschleppen lässt. Davon kann auch die beliebte Radiomoderatorin Mieke van der Weij ein Lied singen:
    "Ich versuche immer, mein Rad vorschriftsmäßig abzustellen, aber dann kommt ein anderer und klaut meinen Platz, indem er es einfach wegstellt! Das ist mir schon mehrmals passiert, das ist ein regelrechter Krieg, ein Kampf ums Überleben. Und wenn ich dann zurückkomme, kann ich es nicht mehr finden, weil es abgeschleppt wurde!"
    Es gibt zwar eine zentrale Sammelstelle, wo man es wieder abholen kann – aber das gleicht der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen: Amsterdam schleppt inzwischen jedes Jahr 75.000 Räder ab.
    Bewachte Radparkplätze sind im Kommen
    Für Diebe sind die "Drahtesel-Ozeane” vor den Bahnhöfen ein wahres El Dorado, da haben sie leichtes Spiel. Dass ein Rad geklaut wird – wem fällt das in diesem Meer an Zweirädern schon auf?
    Um Abhilfe zu schaffen, sind in den letzten Jahren im ganzen Land bewachte Radparkplätze angelegt worden oder an Schließfächer erinnernde Boxen. Aber die stehen zur Hälfte leer. Weil sie etwas kosten. Und Parkgebühren für Radfahrer – das ist für die weitaus meisten Fietsers verkehrte Welt:
    "Ein Rad ist nun mal kein Auto”, stellt Wim Bot vom niederländischen Fietersbond klar, dem Radbund. "Ein Rad darf man auf dem Gehsteig abstellen, ein Auto nicht. Unsere Radfahrer sind es einfach nicht gewöhnt, fürs Parken zu zahlen."
    Dass Radparkplätze teuer sind, will er nicht gelten lassen. Und rechnet statt dessen vor: In der Utrechter Innenstadt kostet das Anlegen eines Rad-Tiefgaragenplatzes 3.000 Euro, in Amsterdam bis zu 7.000. Aber ein einziger Parkplatz für ein Auto in einer Tiefgarage kostet gut und gerne 50.000 Euro.
    Radklub: Parkgebühren für Radler sind der falsche Weg
    Wenn Staat und Kommunen schon versuchen, die Bürger dazu zu bringen, das Auto stehen zu lassen und sich statt dessen auf den Sattel zu schwingen, so Wim Bot, dann müssten sie erstens bereit sein, darin zu investieren. Und zweitens Anreize schaffen, von den Einrichtungen dann auch Gebrauch zu machen. Es gelte, zu verführen und nicht abzuschrecken:
    "Wir lösen das Problem nicht, indem wir von Radlern Parkgebühren verlangen. Dann versuchen die Leute wie gehabt, ihr Rad da, wo es ihnen gerade passt, abzustellen, weil sie ihren Zug nicht verpassen wollen. Manche würden es ja am liebsten noch bis auf den Bahnsteig mitnehmen und da stehen lassen. Das wird ein regelrechter Guerillakrieg!"
    Utrecht lässt Kurzparker ohne Zahlen parken
    Was Utrecht und die größte Rad-Tiefgarage der Welt betrifft: Da haben sie einen Kompromiss gefunden, mit dem alle leben können. Die ersten 24 Stunden kosten nichts. Mit anderen Worten: Nur Langzeitparker unter den Radlern müssen das Portemonnaie zücken. Das Heer an Pendlern hingegen, die mit dem Rad zum Bahnhof fahren und dann mit dem Zug zur Arbeit, die können ihr Fiets jetzt Diebstahl sicher und ohne langes Suchen nach einem freien Platz abstellen. Und abends genauso problemlos wieder abholen. Ohne dafür zu zahlen.