Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Niederlande
Entgegenkommen gegenüber Griechenland?

Griechenlands neue Regierung hat eigene Vorstellungen davon, wie sie ihre wirtschaftlichen Probleme lösen kann: Schuldenerlass, Rückbau der Reformen, Rücknahme der Privatisierungen, kündigte Ministerpräsident Alexis Tsipras an. In den Niederlanden werden die Vorschläge von Bürgern und Parlamentariern kontrovers diskutiert.

Von Kerstin Schweighöfer | 29.01.2015
    Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte
    Ministerpräsident Rutte fährt einen strengen Kurs (picture alliance / dpa - Julien Warnand)
    Egal, ob "New York Times" oder "Süddeutsche": Dave Salomon verkauft in seinem Tabakladen im Haager Vorort Voorschoten Zeitungen aus aller Welt. Dementsprechend international ist seine Kundschaft – und mit ihr die Gesprächsthemen: Egal, ob Fußball, IS-Terror oder Europa – alles kommt dran. An diesem Morgen sind es die Milliardenschulden der Griechen und ihr neuer Premier Alexis Tsipras.
    "Vielleicht sollte man den Griechen einen Teil ihrer Schulden erlassen”, findet Maria, eine Spanierin um die 40, die sich bei Dave jeden Tag ihre "El Pais" abholt.
    "Kommt nicht in Frage!” kontert dieser. "Wir könnten ihnen allerhöchstens mehr Zeit lassen. Wenn ich meiner Bank sage, dass ich meine Schulden nicht zurückzahlen will, wird mein Hab und Gut beschlagnahmt. Warum sollte es den Griechen anders ergehen?”
    "Weil es bei denen nichts mehr viel zu beschlagnahmen gibt”, meint der Mann, der sich gerade mit der "Daily Mail" eingedeckt hat – Stanley heißt er, ein Ire: "Das Beste wäre es, einen sauberen Strich zu ziehen: den Griechen die Schulden zu erlassen, aus den Fehlern zu lernen und einen Neustart zu machen.”
    Auch Abgeordnete sind sich uneinig
    Drei Bürger, drei Ansichten. So geteilter Meinung wie Daves Kundschaft sind auch die Abgeordneten im niederländischen Parlament. Dass Schuldenerleichterung eines der erklärten Ziele der neuen griechischen Regierung ist, hat hinter den Deichen sämtliche Parteien in helle Aufregung versetzt:
    Angefangen bei Geert Wilders und seiner rechtspopulistsichen PVV: Sie will jeden Cent von den Griechen zurückbekommen und auch keinen einzigen Cent mehr an die Griechen zahlen. Das andere Extrem verkörpern die niederländischen Sozialisten: Um die Wirtschaft anzukurbeln, wollen sie den Griechen einen Teil der Schulden erlassen und den Zinssatz senken.
    Geteilter Ansicht auch die beiden Regierungsparteien. Die Sozialdemokraten halten eine weitere Erleichterung der Kreditbedingungen nicht für ausgeschlossen. Doch für den rechtsliberalen Koalitionspartner VVD, der Partei von Premierminister Rutte, kommt das nicht in Frage: "An bereits gemachte Absprachen hat man sich zu halten, ganz egal, wie neu eine Regierung ist”, so VVD-Abgeordneter Mark Herbers.
    Der strenge Kurs der Rechtsliberalen kommt nicht von ungefähr: Keinen Cent mehr an die Griechen zu zahlen war eines der wichtigsten Versprechen von Premier Rutte im Wahlkampf 2012. Und schon zwei Jahre zuvor, 2010, hatte der damalige Finanzminister Jan Kees de Jager versichert, dass die Niederländer jeden geliehenen Cent von den Griechen plus Zinsen zurückbekommen würden.
    Angst vor einer Kettenreaktion
    Diese Zusicherung könne getrost in die Mülltonne, findet Mathieu Segers, Dozent für europäische Integration an der Universität Utrecht:
    ”Die nördlichen EU-Länder sind in der Defensive. Wir wollten Zeit kaufen - in der Hoffnung, dass sich in dieser Zeit die Wirtschaft ausreichend ankurbeln lässt. Aber diese Rechnung ging nicht auf. Jetzt, und das ist eine neue Dimension, beginnt die Bevölkerung in den südlichen Ländern zu murren.”
    Alexis Tsipras, so prophezeit Segers, werde im Süden nun nach Bündnispartnern suchen: "Das wird ihm auch gelingen, denn mit Sparen allein, darin sehen sich diese Länder nun bestätigt, ist es nicht getan. Um diese Krise zu bewältigen, müssen auch Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft werden.”
    Aber, so machte Jeroen Dijsselbloem, Vorsitzender der Eurogruppe und jetziger niederländischer Finanzminister, Anfang der Woche unmissverständlich klar: Wer in der Eurozone bleiben wolle, habe sich an gemachte Absprachen zu halten. Das gelte für alle Länder.
    Dennoch will Dijsselbloem mit den Griechen das Gespräch suchen. Und darin wird es nicht nur um die Schulden gehen, sondern auch um mögliche neue Sanktionen gegen Russland. Denn von denen hat sich Alexis Tsipras – kaum im Amt - gestern distanziert.
    Die EU, so warnte der niederländische Außenminister Bert Koenders, müsse weiterhin als Einheit auftreten. Er hält weitere Maßnahmen gegen Russland nicht für ausgeschlossen. Das Gegenteil allerdings dürfe keinesfalls eintreten: dass die Sanktionen gegen Russland abgeschwächt werden.