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Niederlande installieren Kameras an der Grenze

Schlagbäume im Schengen-Europa sind im 21. Jahrhundert nicht mehr aus Holz oder Metall. Es gibt für Regierungen andere Möglichkeiten, um Fremde auf Distanz zu halten. In den Niederlanden werden zum Jahreswechsel die 15 meistbenutzten Grenzübergänge mit Videokameras ausgerüstet.

Von Kerstin Schweighöfer | 02.12.2011
    Der deutsch-niederländische Grenzübergang bei Venlo. Viele Autofahrer werden sich noch an das Spruchband erinnern, das übermütige Fußballfans nach dem EM-Sieg der Niederländer 1988 hier quer über die Autobahn gespannt hatten: "Sie fahren jetzt in das Land des Fußballeuropameisters” prangte in unübersehbaren Lettern darauf. Damals war die Welt noch in Ordnung: Die Niederländer waren endlich Europameister geworden und galten in jeder Hinsicht als Mustereuropäer.

    Anno 2011 sieht die Welt anders aus: Dort, wo das Spruchband einst im Wind flatterte, wollen die Niederländer Überwachungskameras über der Autobahn aufhängen. Sie sollen der Grenzschutzpolizei die Arbeit erleichtern und an insgesamt 15 deutschen und belgischen Grenzübergängen angebracht werden. Sprecher Frank Wassenaar vom Innenministerium in Den Haag:

    "Die Kameras können uns helfen, Kriminalität, Menschenhandel und illegale Einwanderung zu bekämpfen. Die Grenzschutzpolizei gibt alle Informationen in Computer ein, die an diese Kameras gekoppelt sind. Aufgrund dieser Informationen können die Kameras verdächtige Autos und LKW erkennen. Die müssen dann an den Seitenstreifen fahren und werden kontrolliert."

    In den Niederlanden selbst haben die Pläne in der Öffentlichkeit so gut wie keine Beachtung gefunden. Alles sah danach aus, dass die Einführung Anfang nächsten Jahres geräusch- und problemlos vonstattengehen würde.

    Doch inzwischen hat sich die EU-Kommission in Den Haag gemeldet und fordert Aufklärung. Denn mit den Kameras könnten die Niederländer nicht nur gegen Datenschutzgesetze verstoßen, sondern auch gegen das Schengen-Abkommen des freien Grenzverkehrs. Das jedenfalls fürchten neben den belgischen auch die deutschen Behörden, die in Brüssel Alarm geschlagen haben. "Deutschland ist böse”, verkündete der Nachrichtensprecher der niederländischen Tageschau am Mittwochabend.

    Dabei, so beeilt sich das Haager Innenministerium zu betonen, würden keinesfalls Daten gespeichert werden, auch keine KFZ-Kennzeichen. Deshalb konnte das System auch ohne Gesetzesänderung eingeführt werden. Und deshalb sei es auch völlig ungeeignet, um – wie es in der deutschen Presse wiederholt hieß - ausstehende Geldbußen zu kassieren. Deutsche Verkehrssünder bräuchten sich keine Sorgen zu machen, so Sprecher Wassenaar.

    Und da die Kameras nur stichprobenartig Aufnahmen machen, also nicht permanent 24 Stunden an sieben Tagen im Einsatz sind, werde auch nicht gegen das Schengenabkommen verstoßen.

    Auf diese Art und Weise hatten sich die Niederländer bereits Anfang des Jahres aus der Affäre gezogen, nachdem ihnen Brüssel verboten hatte, weiterhin mobile Grenzkontrollen durchzuführen. Denn trotz des Schengenabkommens hatte die niederländische Grenzschutzpolizei mit ihren Autos schon seit 1994 die Grenzübergänge weiterhin überwacht - seit Anfang Juni unter klaren Brüsseler Vorgaben:


    Autos dürfen maximal sechs Stunden am Tag kontrolliert werden und zwar auf den ersten 20 Kilometern nach Überschreiten der Grenze. In Flugzeugen dürfen lediglich sieben Stichproben durchgeführt werden und zwar pro Woche. Und in internationalen Zügen darf die Grenzschutzpolizei höchsten zwei Waggons kontrollieren und das auch nur in maximal acht Zügen pro Tag.

    Auf diese Weise, so Den Haag, könne von einer permanenten Kontrolle keine Rede sein. Das gelte auch für die geplanten Kameras. In beiden Fällen gehe es also auch nicht um einen Verstoß gegen das Schengenabkommen. Denn daran wollen die Niederländer nicht rütteln, das betont auch der für diese Kontrollen zuständige Immigrationsminister Geert Leers immer wieder. Das europäische Ideal des freien Verkehrs müsse aufrechterhalten werden:

    Dass sich Leers so im Spagat übt und seine Worte scheinheilig anmuten, kommt nicht von ungefähr: Einerseits sind offene Grenzen lebenswichtig für die extrem exportabhängige niederländische Wirtschaft. Andererseits hat Leers den heißen Atem der rechtspopulistischen Partei für die Freiheit (PVV) im Nacken. Sie duldet das Minderheitskabinett aus Rechtsliberalen und Christdemokraten - und würde am liebsten überall an der Grenze wieder Schlagbäume aufstellen. Damit spricht die PVV vielen Bürgern aus dem Herzen. Die meisten von ihnen haben nichts gegen die geplante Kameraüberwachung einzuwenden und können die Aufregung jenseits ihrer Grenzen nicht verstehen.