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Niederlande laufen Sturm gegen "Megaställe"

Eines der wichtigsten Themen bei den heutigen Provinzparlamentswahlen in den Niederlanden: der Bau von "Megaställen" – große Schweinezuchtbetriebe mit mehr als 8000 Tieren. Im dichtbesiedelsten Land Europas wächst der Widerstand.

Von Kerstin Schweighöfer | 02.03.2011
    So hört es sich an, wenn 100 Schweine durch unerwartete Besucher in ihrem Stall aufgescheucht werden. Schweinezüchter Nico Kroes aus Alphen aan de Rijn in Südholland hat zehn solcher Ställe mit insgesamt 1000 Fleischferkeln. Plus - auf einem zweiten Hof im Nachbardorf - 250 Zuchtsäue.

    Das Hin- und Herfahren zwischen den beiden Höfen sei sehr umständlich, klagt der 45-jährige Familienvater. Nur allzugerne würde er expandieren und seine beiden Höfe zusammenlegen. Aber, sagt Nico Kroes:

    "Das ist so gut wie unmöglich geworden, es gibt immer mehr Regeln und Vorschriften, die uns das Leben schwer machen, es ist fast schon eine Hetze! Wir werden als Umweltverschmutzer und Tierschänder an den Pranger gestellt, dabei haben wir unsere Ställe längst tier- und umweltfreundlich gemacht. Diese Kosten aber, die können wir nur zurückverdienen, wenn wir größer werden dürfen!"

    Doch der gesellschaftliche Widerstand gegen die Auswüchse der Viehwirtschaft in den Niederlanden wächst. Nirgendwo sonst in Europa leben so viele Tiere und Menschen auf kleinstem Raum: Neben 17 Millionen Niederländern auch zwölf Millionen Schweine.

    Zwar gibt es in den Niederlanden immer weniger Landwirte, die auf Schweinezucht setzen. Waren es Mitte der 1990er-Jahre noch 20.000, sind es heute nur noch 4000. Aber an der Gesamtfläche der Betriebe hat sich nichts geändert und auch am Tierbestand nichts 12 Millionen sind es etwa. Mit anderen Worten: Die Schweinezuchtbetriebe werden immer größer, so Klaas Breunissen von der Amsterdamer Umweltschutzorganisation Milieudefensie:

    "Wir gehen davon aus, dass es in den Niederlanden derzeit 575 sogenannter Megaställe gibt, das sind Schweinezuchtbetriebe mit mindestens 8000 Schweinen, dreimal größer als ein durchschnittlicher Schweinezuchtbetrieb."

    Je mehr Tiere, glauben die meisten niederländischen Bauern, desto besser können sie sich international behaupten und wettbewerbsfähig bleiben. Denn 70 Prozent der niederländischen Schweinefleischproduktion wird exportiert, das meiste nach Deutschland. Es gibt Schweinezüchter, die Genehmigungen für Höfe mit bis zu 25.000 Tieren beantragt haben.

    Renommierte Architekten wie das Rotterdamer Büro MVRDV haben bereits sogenannte Varkens-Flats entworfen: Hochhauskomplexe, in denen die Schweine über mehrere Stockwerke hinweg gestapelt werden könnten. Den Tieren selbst wäre es vermutlich egal, ob sie nun vertikal übereinander oder horizontal nebeneinander gepfercht werden. Aber, so Klaas Breunissen:

    "Der Widerstand in der Bevölkerung war zu groß, das ging vielen Bürgern dann doch entschieden zu weit, Tiere sind lebende Wesen und keine Fleisch produzierenden Maschinen."

    56 Prozent aller Niederländer, so ergab Anfang des Jahres eine Untersuchung von Milieudefensie, sind gegen den Bau neuer Megaställe. Hauptgrund für die meisten ist das Wohl der Tiere, gefolgt von Umweltbelastung und Volksgesundheit: Denn Phosphat- und Stickstoff in der Schweinegülle sorgen für Überdüngung, eines der größten Umweltprobleme der Niederlande.

    Außerdem sind in den vergangenen Jahren regelmäßig Tierseuchen ausgebrochen, die sich wie ein Flächenbrand ausbreiten konnten - zuletzt im Jahr 2010 das Ziegenfieber. 15 Menschen kamen ums Leben.

    "Die Ärzte machen sich auch große Sorgen über die wachsende Antibiotikaresistenz vieler Bakterien. Denn Tiere in Megaställen kommen nicht mehr nach draußen ins Freie, zur Stärkung ihres Immunsystems werden sie mit extrem großen Mengen von Antibiotika behandelt."

    Vor Kurzem hat auch eine Mehrheit der niederländischen Abgeordneten für einen Baustopp von Megaställen plädiert. Doch bislang ist das noch Sache der Provinzregierungen und unterschiedlich geregelt.

    Der zuständige Staatssekretär Henk Bleker erwägt, Viehhaltung und Neubau von Ställen in Zukunft zentral von Den Haag aus zu regeln. Im Herbst will die Regierung darüber entscheiden. Bis dahin will Bleker eine große gesellschaftliche Debatte in Gang gebracht haben. Und bis dahin soll auch ein Gesundheitsbericht vorliegen über die Folgen der intensiven Viehhaltung für die Anwohner.