Freitag, 29. März 2024

Archiv

Niederlande
Streit um Bett, Bad und Brot für abgelehnte Asylbewerber

Ein großer Knackpunkt bei den ohnehin schwierigen Koalitionsverhandlungen in den Niederlanden ist die Frage nach dem Umgang mit abgelehnten Asylbewerbern: Die Sozialdemokraten wollen, dass diese weiterhin einen Anspruch auf eine Grundversorgung haben. Die Rechtsliberalen sind strikt dagegen. Schon einmal ist eine Regierungskoalition an diesem Thema fast zerbrochen.

Von Kerstin Schweighöfer | 04.05.2017
    Bett-Bad-Brot Einrichtung in der Stadt Groningen. Das ehemaligen Formel-1-Hotel ist ein Unterkunft für Asylsuchende. 05.04.2017 Niederlande, Groningen.
    In rund 30 niederländische Städte, wie Gronningen, soll für abgelehnte Asylbewerber das Recht auf Grundversorgung gewehrleistet werden. (imago stock&people/ Kees van de Veen )
    Ein brachliegendes Gelände direkt am Wasser hinter einem leerstehenden Hotel am Stadtrand von Groningen.
    "Hier wird es geschehen", kündigt Stadtrat Ton Schoor an. "Hier bauen wir ein Containerhaus, in dem wir bis zu 300 abgelehnten Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf bieten können."
    Stadtrat Schoor sagt es mit einer Spur von Trotz. Denn Groningen setzt dieses Bauvorhaben gegen den ausdrücklichen Willen der bisherigen sozialliberalen Regierung in Den Haag durch. Die wäre vor zwei Jahren beinahe auseinandergebrochen an der Frage, ob abgelehnte Asylbewerber ein Recht haben auf die drei B's, wie es hier heißt, auf Bett, Bad und Brot. Anders gesagt: auf humanitäre Grundversorgung.
    Nein, finden die Rechtsliberalen des bisherigen Ministerpräsidenten Mark Rutte. Davon gehe ein falsches Signal aus, das könne eine anziehende Wirkung haben. Wer keine Aussicht mehr auf eine Aufenthaltsgenehmigung habe, müsse das Land so schnell wie möglich verlassen.
    Ja, finden die Sozialdemokraten. Man könne diese Menschen nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, das sei eine humanitäre Pflicht. Die Sozialdemokraten wissen Kirchen und Menschenrechtsorganisationen hinter sich und rund 30 Städte wie Groningen. "Wir lassen niemanden unter Brücken schlafen", betont Stadtrat Schoor.
    Schon die alte Regierungskoalition ist an dieser Frage fast zerbrochen
    Die alte Regierungskoalition konnte sich Ende 2015 zwar mit Mühe und Not auf einen Kompromiss einigen. Aber von dem wollen die Städte nichts wissen: Die Grundversorgung soll nur noch in sechs Gemeinden gewährt werden, für zwölf Wochen und ausschließlich für kooperierende Asylbewerber, die bereit sind, die Niederlande zu verlassen. "Völlig weltfremd!" schimpft Schoor: "Zwischen der Wirklichkeit auf dem Papier in Den Haag und den Problemen, mit denen wir uns herumschlagen müssen, liegen Welten!"
    Denn viele abgelehnte Asylbewerber können nicht in ihre Herkunftsländer zurückkehren: Weil ihnen die Papiere fehlen. Weil sich ihr Land weigert, sie wieder aufzunehmen. Schätzungen zufolge geht es um rund 2.000 Menschen. Die könne man doch nicht einfach auf den Straßen herumlungern lassen, so Stadtrat Schoor." Es geht doch auch um unsere Sicherheit!"
    Die Attentäter von Berlin und Stockholm waren abgelehnte Asylbewerber
    Radikalisierungsexperten können ihm da nur zustimmen und erinnern an die Terroranschläge von Berlin und Stockholm. In beiden Fällen waren die Täter abgelehnte Asylbewerber. Denn soziale Isolation gehört zu den wichtigsten Ursachen sowohl von Kriminalisierung als auch Radikalisierung, analysiert Bertjan Doosje, Psychologe und Professor für Radikalisierungsstudien an der Universität von Amsterdam. "Wer ausgeschlossen wird oder sich ausgeschlossen fühlt, ist besonders anfällig für radikale Ideen", so Doosje.
    Der Amsterdamer Professor hat im Auftrag des Ministeriums für Arbeit und Soziales die wichtigsten Auslöser für eine Radikalisierung zusammengetragen: "Radikalisierung erfolgt nicht allmählich, sondern in Schockbewegungen, ausgelöst durch bestimmte Ereignisse. Zu diesen so genannten Triggern zählt die Konfrontation mit dem Tod eines Familienmitglieds. Der junge Palästinenser zum Beispiel, der miterleben muss, wie israelische Bomben seinen Onkel töten. Das kann dazu führen, dass er eher bereit ist, Gewalt zu gebrauchen, um seine politischen Ziele zu erreichen."
    "Soziale Kontrolle ist das beste Mittel gegen Radikalisierung"
    Ein weiterer Trigger: das Ausrufen des Kalifats in Syrien 2014: "Es bot jungen Muslimen in ganz Europa eine Möglichkeit, doch noch etwas mit ihrem perspektivlosen Leben anzufangen", so Professor Doosje.
    Zu den Triggern gehört auch die Ablehnung eines Asylantrags: "Ein einschneidender Moment im Leben eines Flüchtlings", so Doosje, "Er muss es nicht, aber er kann dazu führen, dass der Flüchtling sich radikalisiert."
    Deshalb sei es unklug, abgelehnte Asylbewerber aus den Augen zu verlieren, betonen die Befürworter der humanitären Grundversorgung. Denn durch die drei B's blieben sie auf den Radarschirmen der Gemeinden - und damit unter sozialer Kontrolle. Und soziale Kontrolle, so auch Bertjan Doosje, sei nach wie vor das beste Mittel gegen Radikalisierung.