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Niemals einen Hörsaal von innen gesehen

In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind in Rumänien private Hochschulen wie Pilze aus dem Boden geschossen - nicht eben zur Freude vieler Dozenten an den staatlichen Hochschulen. Denn: Der Ruf der Privatunis ist schlecht - ab und an fällt das böse Wort von den "Diplomfabriken".

Von Thomas Wagner | 18.10.2010
    Nicolae Taran ist ein freundlicher älterer Herr. Seit Jahren arbeitet er als Dozent für Management an der staatlichen Westuniversität Temesvar. Wenn die Rede auf die Qualität der Lehre an den rumänischen Hochschulen kommt, verfinstert sich seine Mine.

    "Da gibt es doch tatsächlich Studierende, die bezahlen zwar ihre Gebühren. Aber während ihres gesamten Studiums sehen sie kein einziges Mal einen Hörsaal von innen. Sie wissen überhaupt nicht, von was die Rede ist in diesen Universitäten!"

    Dabei bezieht sich Nicolae Taran nicht auf alle rumänischen Hochschulen, sondern nur auf einen Teil davon.

    "Der Qualitätsverlust der rumänischen Hochschullandschaft hat eine herausragende Ursache: die Situation an den privaten Universitäten!"

    Seine Kritik belegt der staatliche Hochschuldozent mit statistischem Zahlenmaterial: An den privaten Unis kommen auf einen Hochschullehrer 78 Studierende. An den staatlichen Unis liegt das Betreuungsverhältnis bei eins zu 20, also wesentlich günstiger. Bei der Betrachtung der rumänischen Hochschulbudgets kommen an den staatlichen Hochschulen über 2700 Euro pro Jahr auf einen Studierenden. Die Privatunis geben nach seinen Berechnungen aber nur rund 500 Euro pro Studentin und Student aus. Doch damit nicht genug: Immer häufiger sorgen private Hochschulen für Negativschlagzeilen. Jüngstes Beispiel: die Spirut-Haret-Universität Bukarest.

    "Das war ein riesiger Skandal. In der Spirut-Haret-Universität fiel vor allem die hohe Zahl der Studierenden auf, die sich auf über 30.000 belief. Und die kamen zum Teil auch noch aus dem Ausland. Also schon aus rein praktischen Überlegungen ist völlig klar: Die kamen nie und nimmer regelmäßig zu Vorlesungen und Übungen, so wie das bei einer Universität eigentlich üblich ist."

    Die rumänische Regierung entzog der umstrittenen privaten Hochschule die Akkreditierung; die Abschlusszeugnisse wurden nicht mehr anerkannt. Die Historikerin Mariana Cernicova-Buca arbeitete bis vor zwei Jahren als Vizerektorin der privaten Tibiscus-Universität Temesvar. Sie wehrt sich trotz des Skandals in Bukarest dagegen, alle privaten Unis über einen Kamm zu scheren:

    "Da gibt es ja durchaus private Unis, die eine qualifizierte Lehre anbieten. Und es gibt andere, naja, das sind halt, wie wir das sagen, nicht mehr als 'Diplomfabriken.'"

    Will heißen: Wer sich in solche 'Diplomfabriken' einschreibt und die Studiengebühr von rund 500 Euro pro Jahr bezahlt, bekommt quasi automatisch auch den Abschluss, sozusagen als Serviceleistung der Hochschule.

    Dies sei allerdings kein spezielles Problem der privaten Unis. Mariana Cernicova-Buca kommt auf den Fall der staatlichen Universität Oradea im Westen Rumäniens zu sprechen.

    "Dieser Fall hat schon eine europäische Dimension. In Oradea stellte sich nämlich heraus, dass wiederum viele ausländische Studierende eingeschrieben waren. Bei einer Kontrolle kam es dann ans Tageslicht: Die meisten Absolventen bekamen ihre Diplome, ohne ein einziges Mal an einer Vorlesung oder Übung teilgenommen zu haben."

    Mariana Cernicova-Buca sieht die Wurzeln allen Übels in der Vergabepraxis für Studienplätze an den staatlichen Hochschulen: Denn die bieten nur etwa ein Drittel ihrer Studienplätze gebührenfrei an. Um eine solchen gebührenfreien Studienplatz zu bekommen, brauchen die Interessenten gute Schulnoten. Die restlichen zwei Drittel sind gebührenpflichtig; diese Studienplätze wurden in den vergangenen Jahren zusätzlich geschaffen. Auch hier ist das Abitur erforderlich; die Noten spielen aber in der Regel keine Rolle. Die privaten Unis empfinden das als Konkurrenz zu ihrem eigenen Angebot - und reagieren ihrerseits mit 'Dumping-Preisen', die häufig unter den Gebühren der staatlichen Unis liegen. Dies gehe, so Mariana Cernicova-Buca, auf Kosten der Qualität der Lehre. Nicolae Taran dagegen glaubt an eine andere Ursache: Dass die staatliche Kontrolle und die staatliche Akkreditierungspraxis viel zu lax gehandhabt werde. Im einen oder anderen Fall könnte sogar mit Bestechungsgeldern nachgeholfen worden sein, glaubt er.

    In den Pausen zwischen den Vorlesungen diskutieren auch die Studierenden selbst darüber, was nun besser ist - staatlich oder privat studieren. Anca hat sich für Wirtschaftswissenschaften an der staatlichen West-Universität entschieden.

    "In dem Moment, wenn ich mein Studium beende, zahlt sich die Entscheidung für eine staatliche Hochschule aus. Die nämlich hat einen viel besseren Ruf als die privaten Unis. Und deshalb habe ich viel bessere Chancen, einen Job zu finden."

    Maries möchte Innenarchitektin werden - an der privaten Tibiscus-Universität:

    "Hier müssen wir nicht so häufig anwesend sein. Das ändert sich erst jetzt, wo wir bei 50 Prozent alle Veranstaltungen da sein müssen. Das gibt uns mehr Flexibilität. Einige von uns jobben ja auch nebenher. Und deshalb glaube ich, ist das in unserem Land das bessere Modell."

    Was Nicolae Taran von der Westuniversität, der Kritiker der privaten Hochschulen, in Abrede stellt. Seine Forderung ist weitreichend:

    "Verbesserungen kommen, wenn wir ausnahmslos alle rumänischen Hochschulen nochmal überprüfen und neu akkreditieren - und zwar völlig unabhängig davon, ob sie sich nun in privater oder staatlicher Trägerschaft befinden. Weil es auch an den staatlichen Hochschulen Fakultäten sind, die eigentlich so, wie sie arbeiten, nach meiner Meinung keine Existenzberechtigung haben."