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Niger in Westafrika
Familienplanung mit Popmusik

Kinder gelten im Niger als Zeichen für Reichtum - sieben hat eine Frau dort im Durchschnitt. Doch der Kinderreichtum wird zunehmend zur Belastung für das Land. Jetzt versucht die Regierung, die Geburtenrate unter Kontrolle zu bekommen - unter anderem mit Popmusik und Ringern.

Von Jens Borchers | 29.05.2019
Ein Baby in der Neugeborenenabteilung in dem gynaekologischen Krankenhaus in Niamey (Niger) am 24.11.2017. Im Schnitt gebaehrt jede nigrische Frau mehr als sieben Kinder.
Kinder gelten im Niger als Zeichen für Reichtum - dabei können viele Familie ihren Nachwuchs nicht ernähren. Im Bild: Hebamme und Baby in einem gynäkologischen Krankenhaus in der Hauptstadt Niamey (Sebastian Backhaus / epd / imago stock&people)
Fatima Mariko ist seit 30 Jahren ein Star in Niger. Und wenn ein heimischer Star ein Lied über Kondome singt, dann sind die Ohren für ein Thema wie Verhütung schon mal offener.
Das ist wichtig in einem Land wie Niger. Wer hier Familienplanung attraktiv machen will, muss gut überlegen, wie. Deshalb kam Animas Sutura auf die Idee, einen lokalen Star wie Fatima Mariko in ihre Arbeit für Familienplanung und Verhütung einzubinden. Animas Sutura ist eine nigrische Nichtregierungsorganisation. Ihre Arbeit wird von deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, von der KfW, mit finanziert. Markus Schlömann, KfW-Büroleiter in Niger, war mit in Dörfern, in denen Animas Sutura für Verhütung wirbt. Sein Eindruck:
"Da wurde jetzt nicht rumgegiggelt oder irgendwie rumgedruckst, sondern das war eine verblüffend normale Atmosphäre, so habe ich es wahrgenommen."
Kinder als Sozialversicherung fürs Alter
Sexualität und alles was damit zu tun hat, ist ein Niger ein sensibles Thema. Viele Kinder zu haben, gilt in Niger traditionell als Reichtum. Eltern sehen sie oft als Sozialversicherung fürs Alter. Männer als Ausweis ihrer Männlichkeit. Markus Schlömann von der KfW hat festgestellt:
"Es gibt hier in Niger ein besonders ausgeprägtes Phänomen: Die Anzahl der Wunschkinder, also wie viele Kinder möchte eine Frau haben, wenn man sie fragt, ist tendenziell größer als die Zahl der tatsächlichen Kinder – und die ist ja auch schon relativ groß. Diesen Trend umzukehren – das ist eines der Ziele des Engagements von Animas Sutura."
Deshalb singen Stars wie Fatima Mariko Lieder über Verhütung. Deshalb hat Animas Sutura prominente Ringer – Ringen ist enorm populär in Niger – dafür gewonnen, Werbung für Kondome zu machen. Denn der Kinderreichtum des Landes wird mehr und mehr zur Belastung. Es ist der Versuch, Vorbehalte und Traditionen aufzubrechen. Hamidou Maga, Bevölkerungsforscher an der Universität der nigrischen Hauptstadt Niamey, sagt, oft spielt auch noch die Religion eine Rolle:
"Die meisten religiösen Führer wollen nicht für Familienplanung werben. Ihr Argument ist immer: Gott habe gesagt, man solle viele Kinder machen, denn er werde sich darum kümmern, sie zu ernähren."
Steigender Druck auf die natürlichen Ressourcen
Die weltliche Erfahrung in Niger ist eine andere: Viele Familien habe große Schwierigkeiten, ihre Kinder zu ernähren, sie zur Schule zu schicken, ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen. Als Niger 1960 unabhängig wurde, hatte das Land 3,2 Millionen Einwohner. Heute sind es knapp 23 Millionen. Tendenz: rasant steigend. Durchschnittsalter: 15 Jahre. Demograf Hamidou Maga warnt vor den jetzt schon spürbaren Folgen:
"Niger ist ein riesiges Land. Aber: Zwei Drittel der Bevölkerung leben auf nur einem Drittel des Landes, im Süden. Das bedeutet: Das Bevölkerungswachstum übt immer mehr Druck auf die natürlichen Ressourcen aus."
Nigers Gesundheitsminister sieht das genauso:
"Die Daten zu Familienplanung und Geburtenrate sind alarmierend", stellt der Minister fest. Deshalb bemüht sich Nigers Regierung mit ausländischer Hilfe schon seit Jahren um wirksame Programme zur Familienplanung. Das ist ein mühsamer, schwieriger Prozess.
Malika Issoufou, Ehefrau des nigrischen Präsidenten, setzt sich dafür ein. In der Region Maradi, im Süden des Landes, ist die Lage besonders krass. Hier liegt die Geburtenrate noch über dem Durchschnitt des gesamten Landes. Die Familienplanung, sagt Malika Issoufou, steckt in den Kinderschuhen:
"Gesundheitsstationen sind hier rar, das wirkt sich auch auf die Familienplanung aus. Deshalb gibt es hier nur etwa 7 Prozent der Menschen, die Zugang zu Maßnahmen der Familienplanung haben."
Issoufou spricht über die hohe Müttersterblichkeit. Sie sagt, dass in der Region Maradi 90 Prozent der jungen Frauen verheiratet werden, bevor sie 18 Jahre alt sind. Deshalb setzt sich die First Lady Nigers für Aufklärungs- und Informationskampagnen ein.
Argumentationshilfe mit dem Koran
Frauen wie Bilal Thiam gehen dann in die Dörfer. Sie reden über Verhütungsmittel, Pille, Dreimonatsspritzen oder Spirale. Und manchmal kann Bilal Thiam Erfolge melden:
"Vorgestern habe ich mit einer Frau gesprochen, die schon 10 Kinder geboren hat. Sie hat nie verhütet. Aber jetzt hat sie durch unsere Beratung – Gott sei Dank – zugestimmt, eine Spirale zu benutzen. Ich bin sehr froh."
Diese Frau sei 42 alt gewesen. Sie habe erzählt, dass die Familie kaum genug Essen für die 10 Kinder zusammen bringt. Vielleicht verhindert jetzt die Spirale, dass noch weitere Kinder dazu kommen.
Die Vorbehalte gegen Verhütung sind hoch. Und die Aufklärungskampagnen haben mit den Jahren gelernt, sich die richtigen Unterstützer zu suchen. Assumana Zalha vom Bevölkerungsfond der Vereinten Nationen hat vor allem eins gelernt:
"Um möglichst viele Frauen zu erreichen, muss man in die Koran-Schulen gehen. Das haben wir gemacht. Wir arbeiten dort mit den Helferinnen der Imame zusammen, um sie über Lage in der Region Maradi zu informieren und ihnen zu sagen, was der Islam zu diesem Thema sagt."
Denn viele Imame predigen immer noch, dass Allah sich darum kümmere, dass Kinder genug zu essen bekommen. Die Frauen vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen berichten, was auch im Koran steht: Dass die Ehemänner auf die Gesundheit ihrer Frauen achten müssen. Dass die Ehemänner in der Lage sein müssen, ihre Frauen und Kinder auch zu versorgen.
"Der Instinkt, sich zu bilden, kehrt zurück"
Und dann werben sie für Familienplanung. Sie versuchen zu vermitteln, dass mehrere Jahre Pause zwischen den Schwangerschaften wichtig für die Gesundheit der Frauen sind. Aber oft geht es auch noch um viel grundsätzlichere Informationen. Weil so viele junge Frauen so früh verheiratet werden, haben sie kaum Schulbildung. Weil die Gesundheitsversorgung so lückenhaft ist, wissen die Mädchen so wenig über ihren eigenen Körper. Also versucht die Regierung, geschützte Räume für sie zu schaffen, in denen sie Bildung und Informationen bekommen. Elback Bako, die Ministerin für Frauenförderung in Niger, bemüht sich um solche Programme:
"Die jungen Mädchen lernen dort etwas über ihren Körper. Das ist wichtig, wenn sie auf sich achten sollen. Anschließend erfahren sie etwas über Verhütung. Es ist aber auch ein Raum, um die Mädchen zu alphabetisieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, wenn das passiert ist, wollen einige von ihnen wieder zur Schule. Der Instinkt, sich zu bilden, kehrt zurück."
Im Kampf für mehr Geburtenkontrolle in Niger geht es also nicht einfach nur um Verhütungsmethoden. Es ist der Versuch, einen Teufelskreis zu durchbrechen: Schlechte Bildung, schlechte Gesundheitsversorgung, Kinderehen, religiöse Vorbehalte und Männerstolz – all das bildet hohe Barrieren für die dringend gebotene Familienplanung. Schnelle Erfolge sind da unwahrscheinlich. Es ist ein sehr langer Prozess.