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Niger
Prophet Mohammed und die Kinder

In keinem anderen Land der Welt wächst die Bevölkerung so stark wie im Niger. Der Sahel-Staat ist zwar bitterarm, aber Familienplanung gilt vielen als Verstoß gegen den Islam. Einige muslimische Organisationen widersprechen den religiösen Meinungsführen und klären über Verhütung auf.

Von Katrin Gänsler | 17.03.2016
    Niger: auf dem Land werden viele Kinder bis heute als wichtig angesehen. Es gibt keine moderne Form der Landwirtschaft.
    Auf dem Land werden viele Kinder bis heute als wichtig angesehen (Deutschlandfunk/Katrin Gänsler)
    Hamsatou Daugo hat eine braune Ledermappe vor sich ausgebreitet. In dieser finden sich alle nur denkbaren Verhütungsmethoden: Anti-Baby-Pille, Kondome, Spirale, ein hormonelles Verhütungsstäbchen. Die Hebamme, die in Niamey, der Hauptstadt des Niger arbeitet, holt sie mehrmals täglich hervor. In der Stadtteilklinik Banifandou ist Familienplanung längst kein Tabu mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit. Hamsatou Daugo.
    "Wir können heute eine ganze Woche zur Woche der Familienplanung erklären. Alle Frauen kommen, und wir stellen die verschiedenen Verhütungsmethoden vor, deren Vorteile, aber auch die möglichen Nebenwirkungen. So können wir etwas gegen die Gerüchte unternehmen."
    Gerüchte – damit meint sie die Behauptung, dass Familienplanung gegen den Islam verstößt. Rund 80 Prozent der Einwohner bekennen sich zum Islam. Überall stehen Moscheen, und gebetet wird in aller Öffentlichkeit. Umso überraschender ist es, dass die Klinik Banifandou – sie arbeitet wie eine gynäkologische Praxis – von 24 muslimischen Organisationen getragen wird. Seit 20 Jahren setzen sich diese für Familiengesundheit ein. Allou Hamma Maiga ist Generalsekretär und stolz auf die Arbeit des Zusammenschlusses.
    "Anstatt zu sagen: habt viele Kinder, sagen wir: organisiert euch. Wir nennen es Familienorganisation. Es ist ja gut, Kinder zu haben, aber man muss sie erziehen, ausbilden und betreuen, damit sie verantwortungsvolle Menschen werden. Diese Verantwortung ist von größter Bedeutung."
    Leicht war die Anfangsphase jedoch nicht. Es gab jede Menge Kritik. Seiner Meinung nach half jedoch eine Konferenz im Jahr 1997, zu der alle bedeutenden Vertreter eingeladen wurden. Allou Hamma Maiga erinnert sich:
    "Die wichtigsten muslimischen Meinungsführer waren gekommen, um an der Weiterbildung teilzunehmen. Sie haben verstanden: Der Islam ist gar nicht gegen Familienplanung, wohl aber gegen ein Geburtenlimit."
    Trotzdem ist diese Einstellung bis heute eine Ausnahme. Im Wahlkampf um das Präsidentschaftsamt hat sich kein Politiker dazu geäußert. "Patate chaud"– als ein heißes Eisen gilt das Thema. Dabei sind die Zahlen eindeutig. 1967 lebten noch 3,5 Millionen Menschen im Niger. Heute sind es offiziell gut 18 Millionen, inoffiziell geht man bereits von 20 Millionen aus. Das Land wächst jährlich um 3,9 Prozent und damit so stark wie kein anderes auf der Welt. Jede Frau bekommt im Durchschnitt 7,6 Kinder. An der Universität Abdou Moumouni ist deshalb Soziologe Issaka Maga Hamdiou besorgt. Seit Jahren forscht er zur Bevölkerungsentwicklung. Doch gerade bei religiösen Meinungsführern findet er noch immer wenig Gehör.
    "Wenn ich mit Vergleichen arbeite, beispielsweise mit arabischen Ländern, dann sage ich: Schaut Euch an, wie das läuft: Es sind muslimische Länder, aber Verhütungsmethoden werden genutzt. Dann heißt es gerne: Aber die Araber, das sind doch keine guten Muslime."
    Und das, obwohl Probleme offensichtlich sind. Auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen ist Niger Schlusslicht. Nur jeder vierte bis fünfte Erwachsene kann lesen und schreiben. In der Hauptstadt Niamey versuchen täglich unzählige junge Menschen, sich als Tagelöhner durchzuschlagen. Geregelte Arbeit gibt es kaum. Mittlerweile wird auch fruchtbares Land, um die explodierende Bevölkerung zu ernähren, ständig knapper. Trotzdem kann Demografie-Spezialist Hamidou auch nachvollziehen, warum gerade auf dem Land, wo knapp 80 Prozent der Bevölkerung leben, viele Kinder bis heute als wichtig angesehen werden.
    "Diese Regionen leben von der Landwirtschaft. Aber es ist keine moderne Form, weshalb man, wie wir sagen, viele Arme braucht. Aber auch für die Zukunft von Familien ist es wichtig. Wenn die Eltern älter werden, gehen sie davon aus: Unsere Kinder kümmern sich um uns."
    Dass sich diese Strukturen derzeit ändern, etwa hin zu einer modernen Landwirtschaft oder einem Rentensystem, dafür gibt keine Anzeichen. Deswegen nimmt Issaka Maga Hamidou wieder Religionsgelehrte in die Pflicht. Ohnehin ist ihr Einfluss oft größer als der von vielen Politikern.
    "Religiöse Meinungsführer sollten doch nur eins sagen: Jedes Paar ist selbst verantwortlich und muss nach den eigenen Möglichkeiten entscheiden. Gott schreibt schließlich keine konkrete Zahl vor. Wer meint, die Mittel zu haben, kann viele haben. Falls das nicht der Fall ist, sollte man sich einschränken. Es ist nicht gut, viele Kinder zu haben, die dann auf der Straße landen.
    Die Hebamme Hamsatou Daugo, die in Niamey, der Hauptstadt des Niger arbeitet, hat eine braune Ledermappe vor sich ausgebreitet. In dieser finden sich alle nur denkbaren Verhütungsmethoden: Anti-Baby-Pille, Kondome, Spirale, ein hormonelles Verhütungsstäbchen.
    Hebamme Daugo aus Niamey, Hauptstadt des Niger: In der Stadtteilklinik Banifandou ist Familienplanung längst kein Tabu mehr, sondern eine Selbstverständlichkeit (Deutschlandfunk/Katrin Gänsler)
    In der Klinik von Banifandou, in deren Einzugsgebiet knapp 23.000 Menschen leben, will auch das Hebamme Hamsatou Daugo auf gar keinen Fall. In der Diskussion um Schwangerschaft, Kinder, Verhütung und Religion ist ihr jedoch noch etwas ganz wichtig: Die Gesundheit der Frau muss viel mehr in den Mittelpunkt rücken. Das fordert schließlich auch ihre Religion, der Islam, erklärt Hamsatou Daugo:
    "Selbst im Koran steht doch, dass Frauen ihre Kinder maximal 23 Monate stillen sollen. Und sie sollen sich auch ein Jahr ausruhen, bevor sie wieder schwanger werden. Dann fügen sich die Dinge. Generell verlangen wir aber nicht zu viel, sondern nur, dass sich die Frauen erholen."
    Immerhin: Im städtischen Umfeld gibt es schon erste Anzeichen dafür, dass Frauen nicht mehr jedes Jahr ein Kind bekommen. Schätzungen zufolge liegt die Geburtenrate in Niamey derzeit bei fünf Kindern pro Frau. Grund dafür ist die steigende Bildung von Frauen, allerdings auch der immer knapper werdende Wohnraum.