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Nigeria
Aktivisten-Angriffe auf Rohöl-Leitungen

Sie nennen sich die "Rächer des Nigerdeltas" und niemand weiß wer hinter den Aktivisten steckt. Man weiß nur, dass sie Rohölpipelines sabotieren und damit Druck auf die nigerianische Regierung ausüben. Mit Erfolg. Denn Präsident Muhammadu Buhari hat nun die Sanierung des ölverseuchten Landes des Ogoni-Volkes versprochen.

Von Jens Borchers | 04.06.2016
    Nigerianische Soldaten stehen in einem Öl-verseuchten Gebiet im Niger-Delta und sehen eine große schwarze Wolke.
    Ölkonzernen wird vorgeworfen, kaum etwas gegen die Umweltschäden zu unternehmen, die durch die Ölförderung entstehen. (dpa/picture-alliance/Str)
    Sie haben schnell Lied geschrieben für den Präsidenten. Sie heißen ihn willkommen. Sie singen von einem "historischen Tag". Dem Tag, an dem die Säuberung des ölverseuchten Landes des Ogoni-Volkes im Nigerdelta endlich losgehen soll.
    "Macht das Ogoni-Land sauber", dieser musikalische Aufschrei wiederholt nur das, was Aktivisten, Umweltschützer und die Ogoni selbst schon so viele Jahre lang gefordert hatten. Jetzt verspricht Nigerias Regierung, mit einem Sanierungsprogramm zu beginnen: Böden, Mangrovensümpfe, Flussläufe und Fisch-Reviere im Ogoni-Land sind massiv verseucht: durch ausgelaufenes Rohöl, schlecht gewartete Anlagen und durch illegale Raffinerie-Betriebe. Jetzt soll aufgeräumt werden. Aber die Menschen bleiben vorsichtig. Ein Vertreter der "Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes" sagt das auch klar bei diesem Festakt:
    "Wir hoffen, das hier ist nicht nur eine Zeremonie! Und dass ab morgen die wirkliche Arbeit beginnt. Die entsprechenden Strukturen sind ja noch nicht geschaffen. Aber wir hoffen, dass jetzt wirklich die Arbeit beginnt."
    Angriffe der "Rächer des Niger-Deltas"
    Der Startschuss für das Sanierungsprogramm kommt zu einem interessanten Zeitpunkt. Seit Jahresanfang häufen sich Sabotage-Akte gegen Öl-Fördereinrichtungen im Nigerdelta. Das Gebiet des Ogini-Volkes ist nur ein kleiner Teil dieses Deltas. Diese ganze Region ist durchzogen von einem dichten Netz zahlreicher Röhren, durch die das vor der Küste geförderte Rohöl transportiert wird. Und genau dieses Netz wird von einer Gruppe attackiert, die sich "Rächer des Nigerdeltas" nennt.
    Die selbst ernannten "Rächer des Nigerdeltas" griffen beispielsweise im Februar eine Unterwasser-Pipeline an. Mit Tauchern und mit beachtlicher technischer Expertise. Sie beschädigten die Leitung derart schwer, dass ein Produktionsausfall von etwa 250.000 Fass Öl pro Tag entstand. Zahlreiche andere Anschläge auf Fördereinrichtungen haben dazu geführt, dass Nigeria zur Zeit weit unter seinem üblichen Produktionslevel bleibt.
    Kompromiss wegen wirtschaftlicher Folgen
    Nigerias Präsident Buhari drohte anfangs mit unerbittlicher Härte. Mittlerweile sind die wirtschaftlichen Folgen dieser Anschläge aber derart gravierend, dass Buhari jetzt auch Kompromissbereitschaft andeutet:
    "Ich glaube, wir müssen einen nachhaltigen Ansatz wählen, um die Probleme der Menschen im Nigerdelta zu lösen. Die Welle der Angriffe auf die Öl-Infrastruktur wird uns nicht davon ablenken, weiterhin von den Führungspersönlichkeiten im Nigerdelta zu verlangen, sich um die Probleme des Nigerdeltas zu kümmern."
    Immer wieder gab es im Nigerdelta gewaltsame Proteste. Jetzt also wieder. Die Begründung war und ist immer die Gleiche: Die Menschen im Delta bekommen nichts ab von dem immensen Reichtum, den die Öl-Förderung Nigerias gebracht hat.
    Zwischen 2004 und 2009 hatte es schon einmal eine Angriffswelle gegen die Öl-Infrastruktur und gegen Regierungseinrichtungen im Nigerdelta gegeben. Die brutale Gewalt der damals agierenden Milizen wurde dann mit einer Amnestie und Geldzahlungen beendet. Dieses Programm soll eigentlich in zwei Jahren auslaufen. Jetzt, angesichts der neuen Anschlagswelle, schwenkt der Präsident um: Das Programm soll "modifiziert" werden.
    Und der Start des Sanierungsprogramms für das Land des Ogoni-Volkes ist ebenfalls ein ganz offensichtliches politisches Signal. Die Botschaft lautet: Wir hören euch, wir tun etwas.
    Ursprünglich hatte Präsident Buhari selbst die Rede beim Fest zum Beginn der Sanierung halten wollen. Dann sagte er plötzlich ab, nur wenige Stunden vorher. Begründung: Keine. Sofort wurde spekuliert, dem Präsidenten sei wohl wegen der anhaltenden Anschlagswelle davor zurückgeschreckt, selbst ins Nigerdelta zu fahren. Stattdessen hielt der Vizepräsident Buharis Rede. Mit großen Versprechungen:
    "Im Sanierungsprogramm für das Ogoni-Land sind Komponenten für die nachhaltige Entwicklung der Lebensgrundlagen enthalten. Es wird ein Ausbildungszentrum geben. Es werden Arbeitsplätze für junge Leute geschaffen werden."
    Die Menschen im Nigerdelta hören das gerne. Und bleiben dennoch misstrauisch. Sie haben schon oft Versprechen gehört.
    Nigeria ist auf Öleinnahmen angewiesen
    Nigerias Regierung steht enorm unter Druck. Die Einnahmen aus der Öl-Förderung sind massiv gesunken, weil der Rohölpreis so stark nachgegeben hat. Und jetzt sorgen die Angriffe auf Pipelines und andere Förder-Einrichtungen auch noch für massive Produktionsausfälle. Nigerias Staatshaushalt basiert auf erwarteten Einnahmen aus einer Fördermenge von etwa 2,2 Mio. Fässern pro Tag. Momentan sind es gerade mal 1,4 Mio. Fässer.
    Die selbst ernannten "Rächer des Nigerdeltas" drohen mit weiteren Anschlägen. Sie wollen die Öl-Förderung in der Region lahmlegen. Sie fordern unter anderem, dass der Geldsegen aus dem Öl-Geschäft gerechter verteilt wird.
    Wer hinter dieser Gruppe steckt, ist momentan völlig unklar. Manche meinen, es seien Mitglieder der alten Milizen. Also der Kampfgruppen, die im vergangenen Jahrzehnt für Angst und Schrecken im Delta sorgten. Andere behaupten, mächtige Oppositionspolitiker unterstützen die "Rächer des Nigerdeltas", um Präsident Buhari zu schaden.
    Vergangene Woche präsentierte das nigerianische Militär zehn Männer, die angeblich zu dieser Angreifergruppe gehören. Beweise dafür wurden nicht vorgelegt. Und weitere Anschläge folgten dann auf dem Fuße. Nigerias Vizepräsident Osinbajo bemühte sich bei der Zeremonie zum Start der Sanierung des Ogoni-Landes darum, die Bevölkerung auf die Konsequenzen der Attacken aufmerksam zu machen:
    "Die Aktionen dieser Saboteure verschärfen den Teufelskreis der Armut. Auch in den Gebieten, aus denen die Saboteure selbst stammen. Unter dem Strich hat die Zerstörung der Umwelt im Nigerdelta, sei es durch Öl-Konzerne, Milizen oder durch Öl-Diebe, immer dasselbe Ergebnis."
    Dieses Ergebnis, meint der Vizepräsident, ist die weitere Zerstörung der Lebensgrundlagen im Delta.
    Die Regierung versucht zu verstehen, wer hinter diesen Attacken steckt. Sie schickt Militärs und Agenten ins Delta. Und sie versucht gleichzeitig, besänftigende politische Signale auszusenden. Denn die Situation in Nigeria verschärft sich zunehmend: Die "Rächer des Nigerdeltas" haben innerhalb weniger Monate Nigeria genau dort getroffen, wo es besonders verwundbar ist. Aus der Öl-Förderung stammen mehr als 70 Prozent der Staatseinnahmen. Und jeder weitere Rückgang der Öl-Förderung bedeutet auch: Ebbe in der Staatskasse.