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Nigeria
Menschenhandel in Gottes Namen

Menschenhändler bieten jungen Nigerianerinnen einen Job in Europa an. Dort angekommen, werden sie zur Prostitution gezwungen. "Wenn ich versuche zu fliehen, dann bringen sie meine Familie und mein Kind um", sagen betroffene Frauen. Das Perfide: Unter den Menschenhändlern sind oft auch Prediger.

Von Katrin Gänsler | 18.09.2018
    Flüchtlinge campieren unter freiem Himmel in einem überfüllten Lager in Bama im nigerianischen Bundesstaat Borno
    Menschenhandel und Vertreibung gelten als große Probleme in Nigeria, welche besonders Frauen treffen. Zu sehen sind Frauen in einem Flüchtlingslager im nigerianischen Bundesstaat Borno (AFP / Stefan Heunis)
    Doris Ogbeifun steht vor knapp 100 Schülerinnen und Schülern. Die Mädchen und Jungen sind zwischen zwölf und 17 Jahre alt und besuchen die Ogwa Grammar School im Bundesstaat Edo im Süden Nigerias. Bei der Begrüßung wirkt Doris Ogbeifun wie eine Entertainerin und motiviert die jungen Nigerianer, zu klatschen und Fragen zu stellen. Die Teilnehmer sind entspannt und machen gerne mit.
    Dabei hat der Schulbesuch einen ernsten Hintergrund. Doris Ogbeifun arbeitet für CUSODOW. Dahinter verbirgt sich das Komitee zur Unterstützung der Würde von Frauen, das von katholischen Ordensschwestern gegründet wurde. Die Organisation kümmert sich um Menschen, die Opfer von Menschenhändlern geworden sind, und klärt über deren Machenschaften auf:
    "Seit Ende der 1980er-Jahre boomt das Geschäft mit dem Menschenhandel. Trotz aller Versuche, das zu stoppen, sind die Menschenhändler noch immer da. Das heißt: Bis heute sind die Ursachen nicht beseitigt worden."
    Darüber herrscht heute weitgehend Einigkeit. Zum einen hat der Bundesstaat Edo, wohin bereits im 15. Jahrhundert portugiesische Händler kamen, eine lange Migrationstradition. Unterschiedlichen Schätzungen zufolge stammen 40 bis 70 Prozent aller Migranten, die nach Nordafrika und Europa wollen, aus der Region. Zum anderen sind es Perspektivlosigkeit, fehlende Jobs und schlechte Infrastruktur. Doris Ogbeifun:
    "Meine Liebe, wenn die Menschen Strom zu Hause hätten, dann kannst du sicher sein: Niemand würde weggehen wollen. Wenn es Strom gäbe, könnte eine Frisörin zum Beispiel pro Tag zwischen 15 und 30 Kundinnen die Haare trocknen. Die Ausgaben wären gering. Aber was muss sie zahlen, wenn sie täglich Diesel für ihren Generator kauft? Wenn sie das auf die Kunden umlegt, kommen diese doch nie wieder. Das stimmt wirklich."
    Glorys Geschichte
    Von einem Job, der Geld bringt, hat auch die 23-jährige Glory geträumt. Die schlanke Frau trägt Jeans und T-Shirt und hat einen neunjährigen Sohn. Sie lebt gut zwei Stunden von Edos Hauptstadt Benin City entfernt und will ihren echten Namen nicht nennen.
    "Ich war gerade in der Ausbildung zur Krankenschwester. Dann hat mich diese Frau angerufen, da wir uns schon von früher kannten. Sie fragte mich, ob ich reisen möchte. Ich war erstaunt. Doch sie sagte, dass sie mir einen Job anbieten will."
    Das sind übliche Tricks der Menschenhändler. Jungen Frauen wird in Deutschland, Italien oder Spanien eine Stelle angeboten. Die Reisekosten, so heißt es, können sie später abarbeiten. Auch Glory hatte längst davon gehört. Doch in ihrem Fall verhielt es sich anders. Die Anruferin war schließlich die Pastorin einer evangelikalen Kirche in Nigeria. Glory, die heute von Cusodow unterstützt wird, erinnert sich.
    "Da das Angebot von der Kirche kam, dachte ich: Das ist ein guter Job. Deshalb haben wir uns in Benin City getroffen und sind gemeinsam zu einem anderen Mann gegangen. Er hat sich um die Papiere gekümmert. Es lief ja alles über die Kirche, nur deshalb habe ich eingewilligt. So bin ich in Deutschland gelandet."
    Eingereist ist Glory, so erzählt sie, über Griechenland mit einem Schengen-Visum. In Deutschland angekommen wurde sie in mehreren Bordellen in Nordrhein-Westfalen zur Prostitution gezwungen. Damit sollte sie die fiktiven Reisekosten in Höhe von 50.000 Euro abarbeiten:
    "Als sie sagte 50.000 Euro, hatte ich noch kein Gespür dafür. Wir haben 50.000 Naira hier. Anfangs dachte ich, das ist gar nicht so viel. Erst später habe ich verstanden, wie hoch diese Summe ist."
    "Viele Prediger sind in den Menschenhandel verstrickt"
    Bisher gibt es wenig verlässliche Informationen darüber, wie sehr Kirchen in den Menschenhandel verstrickt sind. Doris Ogbeifun erlebt bei ihrer täglichen Arbeit jedoch:
    "Viele Prediger, egal ob sie alteingesessene Kirchen oder diese neuen Kirchen, etwa Pfingstkirchen vertreten, sind in den Menschenhandel verstrickt. Es gibt Aussagen der Opfer, die von ihren eigenen Pastoren verkauft wurden."
    Zur Anzeige gebracht werden die aber so gut wie nie. Kirchen gelten in einem Staat, in dem wenig funktioniert, als Identifikationsfaktor. Umso größer ist die Scham, ausgerechnet von ihnen enttäuscht worden zu sein. Das Vertrauen in nigerianische Behörden ist gering. Die Peiniger haben zudem über lange Zeit großen Druck ausgeübt. Glory erinnert sich, als sie in Deutschland von der Polizei aufgegriffen wurde.
    "Als sie mich verhafteten, habe ich meinen Kontaktmann in Nigeria angerufen und gefleht: Lasst mich gehen. Ich arbeite und zahle das Geld zurück. Doch er sagte: Wenn ich versuche, zu fliehen, dann bringen sie meine Familie und mein Kind um."
    Deshalb ist es bisher auch für Glory ausgeschlossen, die Pastorin und ihre Mittelsmänner anzuzeigen. Aber es gibt Ausnahmen: Eine junge Frau sprach vergangenes Jahr über ihren Pastor und dessen Schwester. Die beiden hatten sie nach Russland geschickt, wohin verschiedenen Experten zufolge aktuell viele Frauen gehen. Durch ihre Aussage konnten die Täter verhaftet werden. Ihre Kirche, die noch existieren soll, ist in Benin City aber unauffindbar. Niemand will sie kennen. Auffällig sind aber andere Kirchen, vor denen zahlreiche Flaggen hängen. Doris Ogbeifun:
    "Sie stehen dafür, dass die Kirchen in allen diesen Ländern Zweige haben. Für die brauchen sie Pastoren, meist sind das Frauen. Und für diese Frauen bekommen die Mädchen Visa. Ihnen wird gesagt: Sie sollen die Kirchen groß machen. Dann gehen sie dorthin, aber was machen sie wirklich?"
    "Gott, schick' mir ein Visum"
    Doch nicht nur das: Vor einigen Monaten warb der evangelikale Pastor Johnson Suleman mit riesigen Plakaten, auf denen stand: "Oh Lord, release my visa" – "Gott, schick' mir ein Visum". Nach Protesten mussten diese aber abgenommen werden.
    In Benin City gelingt es jedoch nicht, mit den Pastoren ins Gespräch zu kommen. Bei dem Versuch, eine Kirche zu besuchen – sie hat möglicherweise überhaupt nichts mit Menschenhandel zu tun – werden wir kritisch beobachtet. Erst mehr als zwei Monate später erklärt sich Felix Omobude, Präsident der nigerianischen Pfingstkirchen, zu einem kurzen Telefongespräch bereit. Zu dem aktuellen Fall äußert er sich nicht, da er ihn nicht kenne. Felix Omobude sagt:
    "Die Vereinigung der Pfingstkirchen in diesem Land ist sehr besorgt über das Image, das die illegale Migration unserem Land gibt. Gemeinsam arbeiten wir daran, unsere Leute von dieser Reise abzuhalten. Sie dürfen ihren Kindern nicht erlauben, eine so gefährliche Fahrt auf sich zu nehmen."
    Doris Ogbeifun hat jedoch andere Erfahrungen gemacht. Sie hat selbst erlebt, wie Prediger versuchen, junge Nigerianer für Europa zu interessieren:
    "Sogar auf mich ist mal ein Pastor zugekommen. Er hat gefragt, ob ich nach Deutschland wolle. Die Kirche baut einen neuen Zweig auf. Man sagte mir, ich könne dort als Pastorin arbeiten."
    Glory will von solchen Geschichten nichts mehr hören. Heute wünscht sie sich einen besser bezahlten Job und hofft, irgendwann den richtigen Partner zum Heiraten zu finden. Eins ist dabei ganz klar: Eine Familie aufbauen will sie nur in Nigeria, egal, wie schwer das ist:
    "Wir müssen hier in unserer Heimat kämpfen. Versucht, ein Handwerk zu lernen, verkauft etwas. Jeder, der euch Arbeit anbietet, ja sogar eure Schwester, kann lügen. Sobald man dort ist, hat man keine Wahl mehr und wird betrogen. Ich danke Gott, dass ich nicht krank geworden bin. Ich bin gesund und stark. Viele andere sind aber krank geworden. Bleibt also hier. Sucht einen Job. Geht nicht nach Europa und bringt euch nicht selbst um."