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Nigeria möchte Ölmultis mehr abfordern

Die Ölförderung im Nigerflussdelta ist eine ökologische Katastrophe. Bisher versickert dort aber nicht nur das Öl, sondern auch das Geld: Die Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Ein neues Ölgesetz soll das ändern und die Ölmultis stärker in die Pflicht nehmen. Aber die sind in Nigeria nur ein Teil des Problems.

Von Alexander Göbel | 03.07.2010
    Der Farmer Lucky Amobi steht barfuß in seinem Feld vor den Toren von Port Harcourt, der Öl-Hauptstadt des Nigerdeltas – und versucht zu retten, was zu retten ist. Tag für Tag muss er den Ölschlamm wegschaufeln, der aus der alten rostigen Pipeline ausläuft – direkt auf sein Gemüse.

    "Nein, es gibt keine Hilfe. Wir haben wieder und wieder um Unterstützung gebeten – aber niemand will etwas für uns tun."

    6000 Kilometer Ölpipelines durchkreuzen das Nigerdelta im Zickzack - einige sind seit dem Bau in den 50er-Jahren nicht mehr erneuert worden. Wegen der vielen Lecks kommt es im Durchschnitt fünf Mal pro Woche zu einem massiven "Spill" – zu einer Öl-Havarie. Seit in Nigeria Öl gefördert wird, sind auf diese Weise viele Millionen Liter ins Wasser und in den Boden geflossen – ein Umweltdesaster, für das vor allem Royal Dutch Shell immer wieder Ärger bekommt, das mächtigste Energie-Unternehmen der Welt. Der Konzern fördert allein rund 40 Prozent des nigerianischen Öls: Ein mächtiger Staat im Staate, der sein Geld auf Kosten von Mensch und Umwelt verdiene, sagen die Kritiker. Pressesprecher Bobo Brown von Shell Nigeria wehrt sich.

    "In Wahrheit sind wir doch nur eine Firma – und keine Parallel-Regierung. Shells Einfluss auf die Regierung Nigerias hat seine Grenzen. Und das ist auch gut so. Denn Shell versteht sich als sozial engagiertes Unternehmen, als 'corporate citizen'."

    Tatsächlich hat Shell schon vor langer Zeit versprochen, sich an der Reinigung der Böden zu beteiligen und Sozialprojekte in den verseuchten Gebieten zu fördern. 600 Milliarden US-Dollar sollen in Nigeria seit Beginn der Öl-Förderung vor 50 Jahren erwirtschaftet worden sein. 13 Prozent der staatlichen Einnahmen aus dem Ölgeschäft sollen angeblich den Förderregionen zugutekommen – doch bei den Menschen kämen nur Almosen an, schimpft Nigerias Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka. Aus dem 'Oil Boom' im Nigerdelta sei längst ein 'Oil Doom' geworden: ein Fluch.

    "Ich habe vor kurzem Oloibiri besucht – dort hat Shell Mitte der Fünfziger Jahre die ersten Pipelines gelegt. Es hat mir das Herz gebrochen! – Oloibiri ist ein völlig ölverseuchtes Dorf, das Grundwasser ist vergiftet, die Menschen sind bitterarm – gut, Shell hat hier und da ein Schulgebäude hingestellt und ein kleines Krankenhaus, aber das ist lächerlich. Es ist ein Skandal. Und wenn mir heute ein Ölmanager sagt, der Reichtum, den man dort entnommen habe, sei dorthin zurückgeflossen und man habe doch etwas für die Menschen getan – dann ist das so zynisch, dass ich es eigentlich nicht mehr ernst nehmen kann!"

    Hilflos mussten die Menschen im Nigerdelta zusehen, wie ihr Land und ihr Wasser von einer Industrie verschmutzt wurden, die ihnen nicht gehörte, die sie nicht beeinflussen konnten und die ökonomisch kaum etwas für sie abwarf. Früh regte sich Widerstand, auch im Biafra-Krieg Ende der 60er-Jahre ging es ums Öl. Der gewaltfreie Aufstand des Ogoni-Volkes Anfang der 90er-Jahre wurde vom Militärregime des Diktators Sani Abacha blutig niedergeschlagen. Seitdem hat das Nigerdelta seinen Märtyrer: den Schriftsteller Ken Saro-Wiwa. Er wurde 1995 gelyncht, weil er dem guten Geschäft der Militärs mit dem Ölkonzern Shell in die Quere kam.

    Nun will Nigeria sein Öl endlich selbst kontrollieren. Das neue Ölgesetz, der Petroleum Bill, soll die Fremdherrschaft der Konzerne beenden. Und die Geister in ihre Schranken weisen, die Nigeria vor 50 Jahren selbst gerufen hat. Präsident Goodluck Jonathan hat das Gesetz zur Chefsache erklärt: Nigeria will von den ausländischen Ölmultis unter anderem höhere Steuern und Lizenzgebühren verlangen und auch die alten Förderverträge neu verhandeln. In Zukunft sollen es im Delta vor allem nigerianische Firmen sein, die das Öl fördern. Für Boniface Dumpe vom Zentrum für Sozial-und Unternehmensverantwortung in Port Harcourt, klingt das fast zu schön, um wahr zu sein.

    "Bei dem Ölgesetz geht es letzten Endes darum, dass Nigerias Bevölkerung stärker vom Ölreichtum profitiert. Bisher hält Nigerias Regierung ja große Anteile an Shell Nigeria und anderen nigerianischen Tochterfirmen von Großkonzernen. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sich dadurch auch für die lokale Bevölkerung im Nigerdelta etwas verbessert hätte. Bei diesen Joint Ventures sind nur wenige Leute reich geworden. Das Ölgesetz ist ein klares, ein mutiges Zeichen: Der nigerianische Staat tritt selbstbewußter auf, damit weniger Öl-Geld ins Ausland fließt."

    Die Reaktion der Konzerne kam prompt: Royal Dutch Shell hat Nigeria davor gewarnt, das Gesetz zu verabschieden: Der Petroleum Bill sei für Nigeria absolut kontraproduktiv und komme zur Unzeit. Jetzt, wo der Ölpreis deutlich gesunken sei, werde das Gesetz mehr Löcher in den Staatshaushalt reißen, als es füllen könne. Außerdem schütte Nigeria gerade das Kind mit dem Bade aus – eine Regulierung des Ölgeschäfts sei besser, als die Reformen gleich in ein Gesetz zu gießen.

    Hinter diesen Äußerungen steht die Angst der Konzerne vor erheblichen Verlusten. Shell hat bereits Investitionen von 50 Milliarden US-Dollar in andere Projekte verlagert und streut die Nachricht, der Konzern wolle sogar einige seiner Ölfelder im Nigerdelta verkaufen. Wie Exxon Mobile, Chevron und Total droht auch Shell, sich aus Nigeria zurückzuziehen und sich künftig vor allem in Ghana, Angola und im Senegal zu engagieren.

    "Dass Shell mit so einer Drohung reagiert, ist wirklich sehr bedauerlich. Dabei hieß es doch bei Shell immer, der Konzern würde es begrüßen, wenn nigerianische Firmen und vor allem die Menschen im Nigerdelta mehr vom Ölreichtum hätten. Aber das scheint alles nur Gerede zu sein. Denn mit diesem Investitionsstopp entpuppt sich Shell nun einmal mehr als gnadenloses Unternehmen, dem es nur um Profit geht. Shell scheint die Regierung erpressen zu wollen, um ein Gesetz zu vereiteln, das im Interesse der Bevölkerung Nigerias wäre."

    Besonders die Rebellen der MEND, der Befreiungsbewegung des Nigerdeltas, beobachten das Ringen um das Ölgesetz genau. Auch von seinen Paragrafen wird es abhängen, ob die Amnestie der Kämpfer gelingt, ob noch mehr von ihnen ihre Waffen abgeben, oder ob es weitergeht mit der uferlosen Gewalt, der Sabotage der Pipelines, den Entführungen von Ausländern. Das Muskelspiel der Konzerne könnte allerdings Wirkung zeigen, denn das Ölgesetz droht verwässert zu werden - durch den massiven Druck von Shell und den harten Streit im Parlament.

    Auch der US-amerikanische Journalist Peter Maass, der Nigerias Ölregion besucht und gerade ein Buch zum Thema veröffentlicht hat, sieht Shell und die anderen Ölfirmen als Teil der Ursünde im Delta. Dennoch müsse man auch auf andere mit dem Finger zeigen:

    "In Nigeria ist nicht nur Shell das Problem, Nigerias Regierung ist noch ein viel größeres. Wenn diese Regierung wollte, dann könnte sie die Firmen zwingen, bei der Ölförderung entsprechende Umweltstandards einzuhalten. Und wenn diese Regierung eine bessere wäre, dann wäre auch Schluss mit dieser furchtbaren Korruption, die Millionen und Abermillionen Dollar verschlingt."

    "Die Sanftmütigen werden das Land erben, aber nicht die Ölrechte" – so zitiert Peter Maass den Ölmilliardär Jean Paul Getty. Und will damit für Nigeria sagen: Das geplante Ölgesetz mag zwar die Ölmultis aufscheuchen, Gerechtigkeit schaffe der Petroleum Bill noch lange nicht. Der Aktivist Boniface Dumpe will sich seinen Optimismus aber nicht nehmen lassen. Für ihn gehört das Gesetz zum Vermächtnis Ken Saro-Wiwas – des Mannes, der mit seinem friedlichen Protest für die Menschen des Nigerdeltas gestorben ist.

    "Diese Entwicklung ist ein wichtiges Zeichen für echten Fortschritt. Das Nigerdelta ist seit so langer Zeit politisch marginalisiert, wirtschaftlich stranguliert und ökologisch verwüstet, dass dieses Gesetz uns hoffen lässt. Darauf, dass die Menschen in den Ölgebieten nun endlich ihr gutes Recht bekommen – und das Stück vom großen Kuchen, das ihnen zusteht. Und genau das war ja der Kern des politischen Kampfes von Ken Saro-Wiwa."