Donnerstag, 18. April 2024

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Nigeria
"Wir müssen uns um dieses Land kümmern"

Nigeria sei ein "Land der Extreme" mit einer dynamischen Bevölkerung sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) im DLF-Interview nach seiner Reise in die größte Volkswirtschaft Afrikas. Doch die Menschen litten extrem unter dem Terror der Boko Haram-Miliz. Vor allem den Kindern im Land will Müller helfen.

14.06.2014
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unterhält sich am 11.06.2014 mit Bauern bei Abeokuta, Nigeria.
    Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) unterhält sich während seiner Nigeria-Reise mit Bauern. (dpa picture alliance / Hannibal Hanschke)
    Thielko Grieß: Nigeria, der ölreiche Staat im Westen Afrikas, nimmt auch an der Weltmeisterschaft in Brasilien teil. Das erste Vorrundenspiel der nigerianischen Nationalmannschaft findet am Montag statt, dann geht es gegen den Iran. Das Spiel gemeinsam in der Öffentlichkeit zu sehen, Public Viewing zu veranstalten, ist in einem Bundesstaat im Nordosten Nigerias aber verboten. Zu groß ist dort die Angst vor Anschlägen der Terrorgruppe Boko Haram, die Fußball, ähnlich wie Schulbildung für junge Mädchen, für unislamisch hält. Deutschland, die Bundesregierung, will dem Land mit seinen rund 170 Millionen Einwohnern und der größten Volkswirtschaft Afrikas helfen. Am Telefon begrüße ich den Bundesentwicklungsminister Gerd Müller von der CSU. Einen guten Morgen!
    Gerd Müller: Guten Morgen!
    Grieß: Sie waren gerade in Nigeria. Sie sind gestern zurückgekommen von einer längeren Reise. Was ist Ihr Eindruck, wie groß ist in Nigeria die Angst vor Boko Haram?
    Müller: Ich bin tief beeindruckt, wenn ich das vorab sagen darf: Dieses Land ist ein Land der Extreme. Man muss sich das vorstellen, dreimal so groß wie Deutschland, 500 verschiedene Sprachen und eine wachsende, dynamische Bevölkerung. Die größte Volkswirtschaft Afrikas. Allein die Bevölkerungsentwicklung: 1950 hatte Nigeria 38 Millionen Einwohner, heute 180 Millionen. Und es wird prognostiziert, dass bis zum Jahr 2050, das wollen wir ja alle erleben, Nigeria das drittgrößte Land der Welt ist. Und deshalb müssen wir uns um dieses Land natürlich auch kümmern. Und Sie haben das Problem Boko Haram angesprochen. Das ist eine Terrorgruppe, die im Nordosten in zwei Bundesländern die Bevölkerung terrorisiert. Aber man darf sich das nicht so vorstellen, dass im ganzen Land Terror herrscht. Wenn Sie nach Lagos fliegen, das sind sechs, sieben Stunden von Berlin, dann ist das eine offene Wirtschaftsmetropole mit 17 Millionen Einwohnern. Und Boko Haram herrscht in einer Region, die ungefähr von Lagos so weit entfernt ist wie Neapel von Berlin. Aber in der Tat, natürlich ein dramatisches Problem.
    Grieß: Sie haben mit nigerianischen Regierungsoffiziellen gesprochen, mit Ministern, unter anderem ja auch mit dem Präsidenten, Goodluck Jonathan. Was ist Ihr Eindruck, wie weit ist die Suche nach den vor einigen Wochen entführten jungen Mädchen gediehen?
    Müller: Die Entführung der Mädchen ist schrecklich, und darauf richtet auch die Regierung und natürlich auch wir, die Weltöffentlichkeit, jeglichen Fokus. Es gibt Unterstützung, natürlich nachrichtendienstlich. Offensichtlich ist auch lokalisiert, wo die Mädchengruppe sich befindet, aber die Befreiung ist höchst schwierig und kompliziert. Der Präsident hat mir gesagt, man will natürlich auf alle Fälle die unblutige Befreiung, aber das ist höchst schwierig. Ich war zutiefst, zutiefst wirklich beeindruckt von den Frauen, die auf der Straße demonstriert haben. Denn es geht nicht nur um die Befreiung dieser Mädchengruppe jetzt, natürlich, sondern es geht um die Stellung der Frau insgesamt, um die Bekämpfung des Terrors gegen Schulkinder. Ich habe eine muslimische Schule besucht mit 1.500 Mädchen.
    Grieß: Bei der Sie, glaube ich, so habe ich das gelesen, euphorisch empfangen worden sind, jubelnd.
    Müller: Ja. Die Mädchen haben hilfesuchend nach Sicherheit gerufen, und sie haben Angst. Sie haben mir ein Theaterstück dargelegt, dass sie in die Schule gehen wollen, dass die Eltern aber jetzt verunsichert sind, ob sie Kinder noch zur Schule gehen lassen können, ob Mädchen eine Ausbildung machen dürfen. Und das ist das alles überlagernde Thema. Und Sie haben mich um Computer gefragt. Computer, sozusagen – sie wollen teilhaben an der Zukunft. Und das hat mich schon sehr, sehr berührt.
    Müller: Werden uns an einem Kinderhilfsfonds beteiligen
    Grieß: Und die Computer haben Sie zugesagt?
    Müller: Ja, die haben wir zugesagt für diese Schule.
    Grieß: Und was noch? Als Hilfe – Sie haben die Hilfe angesprochen für junge Mädchen, für Schulbildung, für die Stellung der Frau.
    Müller: Es kam ein ganz interessanter Vorschlag, "Save the children", einen Fond einzurichten. Der kommt von Gordon Brown, dem früheren britischen Premier. Wir werden uns daran beteiligen. Ich habe dem Präsidenten klar gesagt, das ist das zentrale Thema, den Mädchen, den Kindern eine Zukunft zu geben in Sicherheit, Sicherheitsstrukturen aufzubauen, und "Save the children" wird ein Fonds sein, der mit privaten Geldern und öffentlichen Geldern Sicherheitsstrukturen in den Schulen herstellt, damit die Kinder sicher zur Schule gehen können. Wir werden uns mit zwei Millionen daran beteiligen. Dies ist nur ein Symbol. Die Regierung muss dies sicherstellen. Nigeria ist ölreich, und die Privatwirtschaft, die Ölmilliardäre müssen in die Zukunft des Landes selbst investieren.
    Grieß: Sie setzen also darauf, dass das Land, dass Nigeria, dass die Politik dort, aber auch die Privatwirtschaft sich auch selbst engagiert, und Deutschland will allenfalls sozusagen den Stift führen?
    Müller: Ja, natürlich, dieses Land hat Reichtum an Öl, an Ressourcen. Dies ist aber im Süden des Landes lokalisiert, nicht im Norden und im Nordosten. Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden, und hier muss die Regierung handeln, ansonsten kann dieses Land wie ein Vulkan explodieren und die gesamte Region, die umliegenden Staaten destabilisieren. Dann bekämen wir auch in Europa ein Problem, das uns alle berühren wird, wenn Hunderte, Tausende, Millionen sich aufmachen, ein Bürgerkrieg ausbricht. Also, rechtzeitig handeln, jetzt handeln, und den Ausgleich zu suchen zwischen Muslimen und Christen, zwischen dem Norden und dem Süden. Das ist die Aufgabe der Regierung.
    "Deutschland ist das Land in Europa, das am meisten tut, um diese Not abzumildern"
    Grieß: Herr Müller, Sie haben verschiedene Stichwörter genannt. Eine mögliche Explosion, man muss verhindern sozusagen, dass die Spannungen sich verschärfen. Erlauben Sie mir, dass ich da noch mal zu einem anderen Thema etwas frage, das dieselben Begriffe in diesen Tagen verwendet. Sie verfolgen das ja auch sehr genau, was im Irak geschieht, weil Sie ja auch verfolgen, was in Syrien passiert. Deutschland engagiert sich seit vielen Monaten für die Hilfe für Flüchtlinge, die aus Syrien kommen, und jetzt zum Beispiel in Jordanien, dem Libanon oder der Türkei leben müssen. Wir wissen es nicht ganz genau, aber möglicherweise kündigt sich ein neues Flüchtlingsdrama an – wie kann Deutschland dann helfen?
    Müller: In all diesen Ländern haben wir eine Situation, auch jetzt in Syrien und im Irak, dass terroristische Gruppierungen, auch sich religiös dann - religiöser Motive bedienen, um Terror auszuüben, um Macht zu institutionalisieren. Und die Basis all dessen ist stets Elend und Not der Bevölkerung. Hier muss rechtzeitig investiert werden. Aber das ist nicht ganz einfach. Die Flüchtlingsströme, die sich insbesondere in Syrien in Richtung Jordanien, Libanon bewegen – natürlich können wir da ein Stück weit helfen. Deutschland ist das Land in Europa, das am meisten tut, um diese Not abzumildern. Wir können die Not nicht in Deutschland mildern, indem wir Millionen Flüchtlinge aufnehmen. Aber wir müssen die umliegenden Länder Jordanien, Libanon stabilisieren, und das tun wir.
    Grieß: Der Bundesminister für Entwicklung für Entwicklung und Zusammenarbeit, Gerd Müller von der CSU, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Müller, Dankeschön für das Gespräch!
    Müller: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.