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Nigerianischer Oscar-Kandidat
Zu viel Englisch für "bester internationaler Film"

Die für den Oscar nominierte Netflix-Produktion „Lionheart“ aus Nigeria wurde disqualifiziert. Der Film darf nicht in der Kategorie „bester internationaler Film“ antreten. Der Grund: Der Film wurde auf Englisch gedreht. In den sozialen Medien brach darauf ein Shitstorm gegen die Entscheidung los.

Von Dunja Sadaqi | 07.11.2019
Darstellerin Genevieve Nnaji aus der Netflix-Produktion "Lionheart"
Der Oscar für den besten internationalen Film wird vermutlich nicht nach Nigeria gehen (picture alliance / Netflix / Everett Collection)
Nigeria im Nigerdelta im Süden des Landes. Die junge Adaeza versucht, das im Land führende und hochverschuldete Bustransportunternehmen "Lionheart" ihres herzkranken Vaters als Logistikchefin über Wasser zu halten. Zu ihrer großen Enttäuschung hat er aber ihren Onkel mit seiner Vertretung beauftragt, obwohl der die Geschäfte überhaupt nicht so gut kennt wie sie.
"Lionheart" ist ein nigerianischer Film über Familie, Sexismus, Politik und das Leben im Nigerdelta. Ein Film aus der Schmiede der zweitgrößten Filmindustrie der Welt, der nigerianischen, die in Anlehnung an Hollywood oft als Nollywood bezeichnet wird. Die "Lionheart"-Regisseurin Genevieve Nnaji ist einer der großen Nollywood-Stars und spielt in ihrem Regiedebüt selbst die Hauptrolle.
Der erste nigerianische Film, den das Land jemals bei den Oscars eingereicht hat
"Lionheart" wurde auf Festivals gefeiert. Er ist die erste Eigenproduktion der Streamingplattform Netflix, die aus Afrika stammt. Gleichzeitig war "Lionheart" der erste nigerianische Film, den das Land jemals bei den Oscars eingereicht hat. Doch Anfang November teilte die für die Oscars zuständige Academy mit, dass "Lionheart" nicht für Nigeria in der Kategorie "Bester internationaler Film" antreten darf. Die Begründung: Im 95 Minuten langen Film werde zu viel Englisch gesprochen. Die Entscheidung sorgte in Nigeria für Unmut. Auf Twitter ließ Regisseurin Genevieve Nnaji ihrer Wut freien Lauf:
"Dieser Film repräsentiert die Art, wie wir in Nigeria sprechen. Das beinhaltet Englisch, das als Brücke wirkt zwischen mehr als 500 gesprochenen Sprachen im Land. Das macht uns zu einem Nigeria. Wir haben uns nicht ausgesucht, wer uns kolonialisiert hat."
Überbleibsel der einstigen britischen Kolonie
Im Film "Lionheart" sprechen die Menschen zwar hauptsächlich Englisch, aber auch Igbo, eine Landessprache, die vor allem im Osten des Landes gesprochen wird. Insgesamt kennt Nigeria zahlreiche Landessprachen. Im Alltag sprechen viele Englisch. Es ist die offizielle Amts- und Verkehrssprache des Landes, ein Überbleibsel der einstigen britischen Kolonie.
Viele Kritiker werfen der US-amerikanischen Akademie nun Geschichtsvergessenheit und Ignoranz vor. Aber nicht nur in sozialen Medien ärgert man sich über die Entscheidung des Oscar-Komitees. In der nigerianischen Hauptstadt Abuja stößt sie auch bei Journalist Frank Adufo auf Unverständnis. Seine Bedenken:
"Mich hat das schockiert! Ich denke, die englische Sprache verbindet die sprachliche Vielfalt in Nigeria. Wir sprechen offiziell Englisch. Wir haben eine hohe Rate an Analphabeten. Und ich denke, viele von uns könnten einem Film mit Untertiteln nicht folgen."
Verkehrssprache statt lokaler Sprache
Ein Passant in den Straßen Abujas hingegen kann die Entscheidung der Academy nachvollziehen:
"Ich denke, darin lag schon eine Schwäche, unsere Verkehrssprache statt unserer lokalen Sprachen zu verwenden. Wir sollten zeigen, das kommt doch von irgendwoher, anstatt selbst auch noch so zu tun, als ob wir englisch wären. Das sind wir doch gar nicht!"
Der neue Shitstorm um Nigerias "Lionheart" erinnert viele an die "OscarsSoWhite"-Debatte aus den vergangenen Jahren. Rassistisch und ignorant – so der Vorwurf. Angesichts der weitreichenden Kolonialgeschichte vieler europäischer Staaten kritisieren viele, das weiße Hollywood habe bis heute seine Hausaufgaben nicht gemacht.