Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Nigerias Öl
Der Fluch im Nigerdelta

Im Nigerdelta wird seit den 50er-Jahren Öl gefördert. Mangroven, Sümpfe, Flussarme und Trinkwasser sind dadurch verseucht. Die Lebensbedingungen des dort ansässigen Ogoni-Volkes haben sich erheblich verschlechtert. Vor einem Jahr wurde eine großangelegte Sanierung angekündigt - passiert ist noch nichts.

Von Alexander Göbel | 27.07.2017
    Nigerianische Soldaten stehen in einem Öl-verseuchten Gebiet im Niger-Delta und sehen eine große schwarze Wolke.
    Shell gilt als einer der größten Verursacher der Umweltkatastrophe im Nigerdelta. (dpa/picture-alliance/Str)
    (Musik "Clean up Ogoni")
    Juni 2016: Ein Lied hatten sie geschrieben für den Präsidenten, von einem "historischen Tag" gesungen. Endlich sollte es losgehen mit der Säuberung des ölverseuchten Landstrichs im Nigerdelta. Das Medienecho war groß, immerhin wurde für das staatlich angekündigte Großreinemachen eine Milliarde US-Dollar veranschlagt.
    "Macht das Ogoniland sauber" – so der musikalische Aufschrei. Mit einem eindringlichen Appell beschwor MOSOP, die "Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes", die angereisten Politiker: "Wir hoffen, das hier ist nicht nur eine Zeremonie! Wir hoffen, dass jetzt wirklich die Arbeit beginnt."
    Doch mehr als ein Jahr später ist von Reinigungsarbeiten noch immer nichts zu sehen. Der nigerianische Senat hat inzwischen sogar eine Untersuchungskommission damit beauftragt, die Gründe für die Verzögerung zu klären. Nigerias Umweltminister Ibrahim Usman Jibril reagiert gereizt: "Mir ist bewusst, dass die Leute sich beschweren, wir würden nichts tun. Einige reden schon von einer Schande. Aber ich kann ihnen versichern: Wir sind im Plan. Wir werden alles tun, um die hohen Erwartungen der Bevölkerung zu erfüllen. Ich sage immer: Wir sollten nichts überstürzen, nur um am Ende zu scheitern."
    Wo sind die Millionen?
    "Nichts überstürzen": Für die Aktivisten, die Umweltschützer und die Ogoni selbst dürfte das klingen wie blanker Hohn. Seit Jahrzehnten sind Böden, Mangrovensümpfe, Flussläufe, Fischreviere und sogar das Trinkwasser im Ogoniland massiv verseucht: durch ausgelaufenes Rohöl, schlecht gewartete Anlagen und illegale Raffinerie-Betriebe. "Technisch" habe das umfangreiche Programm übrigens längst begonnen, versichert Nigerias Umweltminister, schließlich sei das Ganze ein Mammutprojekt. Die Planungsphase sei abgeschlossen, die Ausschreibungen an Reinigungsfirmen vergeben, es würden Mitarbeiter geschult, sie seien nun mit Büros und Autos versorgt - und Shell sei auch an Bord:
    "Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir irgendwas verzögern würden! Shell hat seine Leute in allen Bereichen dieses Säuberungsprogramms, und sie haben für den Start zehn Millionen US-Dollar versprochen. Natürlich gibt es schon kritische Stimmen, die vermuten, das Geld sei längst im Behördenapparat verschwunden. Bitteschön, untersuchen Sie das! Ich habe auf jeden Fall keine Millionen eingesteckt!"
    Shell lehnt Verantwortung ab
    Eigentlich kann sich Nigerias Regierung keine Polemik erlauben, erst recht nicht im Zusammenhang mit Shell. Denn erstens hatte der britisch-niederländische Konzern früher enge Verbindungen zur Militärdiktatur Nigerias und muss sich möglicherweise doch noch wegen der Ermordung nigerianischer Umweltaktivisten Mitte der 1990er-Jahre vor Gericht verantworten. Und zweitens gilt Shell als einer der größten Verursacher der Umweltkatastrophe - auch im Ogoniland. Dass man dort nun das staatliche Säuberungsprogramm mitfinanziert, dürfe nicht als Schuldeingeständnis verstanden werden, betont Shell. Zwar hat das Unternehmen in früheren Fällen schon Dörfer mit fast 84 Millionen US-Dollar entschädigt. Aber für die Lage im Nigerdelta insgesamt lehnt Shell jede Verantwortung ab. Der nigerianische Umweltaktivist Nnimmo Bassey will den Ölmulti ebenso in die Pflicht nehmen wie die Regierung.
    "Wir haben immer verlangt, dass die gesamte Region gesäubert wird, das gesamte Nigerdelta. Ogoniland kann nur der Anfang sein. Es ist ein Symbol. Wenn dieses Projekt in Ogoni gelingt, dann können wir neue Hoffnung schöpfen, dass auch andere Teile des Deltas gereinigt werden können. Aber bis jetzt können wir leider nur feststellen, dass es weitere Lecks und damit weitere Umweltverschmutzung gibt!"
    Der Ölschlamm ist noch da
    Das Säuberungsprogramm müsse liefern, fordert Bassey, und zwar dringend. Es müsse ein wichtiges Signal an die Ogoni sein - und auch an militante Gruppen wie die so genannten "Rächer des Nigerdeltas": Durch ihre Sabotage des Pipeline-Netzes ist bereits ein Produktionsausfall von 250.000 Fass Öl pro Tag entstanden. Anschläge auf Fördereinrichtungen haben dazu geführt, dass Nigeria weit unter dem üblichen Produktionslevel bleibt. Weitere Angriffe und damit eine sinkende Fördermenge kann das Land sich nicht mehr leisten - durch den niedrigen Ölpreis muss es bereits massive Verluste bei den Einnahmen verkraften. Die Regierung war schon letztes Jahr unter Druck, und deshalb machte Nigerias Vizepräsident Osinbajo beim Startschuss zum großen Clean-Up im Ogoniland vollmundige Zusagen:
    "Im Sanierungsprogramm für das Ogoni-Land sind Komponenten für die nachhaltige Entwicklung der Lebensgrundlagen enthalten. Es wird ein Ausbildungszentrum geben. Es werden Arbeitsplätze für junge Leute geschaffen werden."
    Die Menschen auf den verseuchten Feldern im Nigerdelta haben das gerne gehört. Ein Jahr später müssen sie nüchtern feststellen: Der Ölschlamm ist noch da. Das Vertrauen in die Behörden noch nicht.