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"Nikotin macht stärker abhängig als Heroin"

Neurowissenschaft.- Von 100 Rauchern schaffen es nur drei, ihre Sucht loszuwerden und dauerhaft rauchfrei zu leben. Eine amerikanische Wissenschaftlerin hat jetzt ein vielversprechendes Raucherentwöhnungsprogramm untersucht und kann sogar vorhersagen, ob es ein Teilnehmer schafft, von den gefährlichen Glimmstängeln loszukommen.

Wissenschaftsjournalistin Kristin Raabe im Gespräch mit Monika Seynsche | 28.02.2011
    Monika Seynsche: Etwa 22 Millionen Menschen in Deutschland rauchen. Und das, obwohl in jeder medizinischen Studie und auf jeder Zigarettenschachtel vor den tödlichen Konsequenzen des Rauchens gewarnt wird. Jetzt berichten amerikanische Wissenschaftler, dass sie vorhersagen können, ob jemand es schafft, mit dem Rauchen aufzuhören. Meine Kollegin Kristin Raabe hat die Studie gelesen. Frau Raabe, was haben die Wissenschaftler gemacht?

    Kristin Raabe: Sie haben erstmal Raucher gesucht, starke Raucher, die motiviert waren, endlich mit dem Rauchen aufzuhören. Dann haben sie sie eingeladen. Die Leute mussten einen Fragebogen zu ihrem Rauchverhalten ausfüllen, zu ihren ganz persönlichen Problemen, mit dem Rauchen aufzuhören. Und dann mussten diese Versuchspersonen, es waren 91, in einen Kerspintomographen. Da wurde dann quasi ihr Gehirn gescannt. Und während sie im Kernspintomographen lagen, wurden ihnen so Nachrichten vorgespielt, die sich so speziell auf ihre Situation als Raucher und ihren Wunsch, mit dem Rauchen aufzuhören, bezogen haben. Und da war dann eine Hirnregion ganz besonders im Fokus der Forscher. Das ist eine Region, die mit der Selbstwahrnehmung zu tun hat. Also immer wenn wir Nachrichten sehen oder jemand spricht zu uns, und das hat etwas mit uns persönlich zu tun, dann ist diese Hirnregion aktiv.

    Seynsche: Und was ist dann passiert? Was war das für ein Raucher-Entwöhnungsprogramm, das die Probanden gemacht haben?

    Raabe: Das war ein besonders individualisiertes Programm. Also die Teilnehmer mussten an einem Internetprogramm teilnehmen. Da wurden ihnen eben auch wieder solche Nachrichten vorgespielt, die sich auf ihre persönliche Situation als Raucher bezogen, die sie ermutigt haben, mit dem Rauchen aufzuhören, die ihnen die Gefahren des Rauchens veranschaulicht haben. Aber eben alles immer sehr persönlich - auf ihre Situation bezogen, mit ihrem Namen auch zum Beispiel. Dazu muss man sagen, dass schon länger bekannt ist, dass solche individualisierten Raucherprogramme effizienter sind als Programme, die für alle Teilnehmer jetzt gleich geschnitten sind. Und in der jetzt veröffentlichten Studie in "Nature Neuroscience" haben wir gesehen, dass 45 von 91 Teilnehmern es geschafft haben, mit dem Rauchen aufzuhören. Das war jedenfalls der Stand vier Monate nach Beendigung des Programms. Man muss dazu sagen, dass es wahrscheinlich eben auch etwas mit dieser Region im Gehirn zu tun hat, ob jemand es schafft oder nicht. Die Forscher haben nämlich gesehen: Am Anfang, wenn jemand eine besonders starke Aktivierung in dieser Selbstregion im Gehirn hatte, dann war auch die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er es dann tatsächlich geschafft hat, vier Monate nach dem Programm immer noch rauchfrei zu leben.

    Seynsche: Aber vier Monate ist ja jetzt keine lange Zeit, wenn man das Rauchen aufgeben will. Viele Leute werden doch wahrscheinlich auch danach noch rückfällig, oder nicht?

    Raabe: Also Nikotin macht stärker abhängig als Heroin. Und das Suchtgedächtnis im Gehirn bleibt auf jeden Fall auch vier Monate später noch bestehen. Und 85 Prozent aller deutschen Raucher würden gerne aufhören. Die sind wirklich motiviert, aber nur etwa fünf Prozent schaffen es dann auch tatsächlich. Also Nikotinsucht ist eine wirklich sehr schwer zu bekämpfende Sucht. Und vier Monate ohne Zigaretten heißt erstmal noch gar nichts.

    Seynsche: Sie sagten, man konnte in diesem Kernspin vorher schon erkennen, wer von den Rauchern es wirklich schaffen würde. Haben die Forscher denn diese Ergebnisse genutzt? Sie haben es ja sicherlich nicht ihren Probanden mitgeteilt, dass der eine es nicht schaffen wird, oder?

    Raabe: Nein, das wäre auf jeden Fall genau der falsche Ansatz. Also da bekommt dann jemand so ein Label aufgedrückt nach dem Motto: 'Also bei dir brauchen wir es gar nicht probieren. Das hat ja überhaupt keinen Sinn, du schaffst es sowieso nicht.' Ich denke, man muss das anders sehen mit dieser Kernspin-Studie und dieser Vorhersage, ob jemand es schafft oder es nicht schafft. Man muss die Therapien verbessern. Man muss sie noch individualisierter machen, dass eben genau diese Selbstregion im Gehirn vielleicht noch stärker angesprochen wird, damit eben auch die Leute es schaffen, bei denen sie vielleicht am Anfang nicht so stark aktiv war. Sondern man muss die Therapien wirklich verbessern und jetzt nicht so denken: Wir machen einen Test und der eine schafft es dann halt eben nicht. Und da braucht man es gar nicht versuchen.