Donnerstag, 25. April 2024

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Nil Yalter im Museum Ludwig
"Exil ist harte Arbeit"

Die in Istanbul geborene Künstlerin Nil Yalter hat schon früh Themen wie Migration, Diskriminierung und Feminismus untersucht. Im Museum Ludwig in Köln ist nun die erste deutsche Werkschau der 81-Jährigen zu sehen - mit unverändert jungen Themen und Arbeiten.

Von Änne Seidel | 08.03.2019
Nil Yalter in Köln.
Nil Yalter vor einer ihrer Wandarbeiten im Kölner Stadtteil Kalk. (© Nil Yalter/ Henning Krause)
ICH BIN EINE KÜNSTLERIN
ICH BIN EINE JÜDIN AUS SALONIKI / EINE MUSLIMA AUS BOSNIEN
ICH KOMME AUS DER TÜRKEI, AUS FRANKREICH
ICH BIN EINE MONGOLIN, EINE NOMADIN, EINE GASTARBEITERIN
IM EXIL
ICH BIN DIE BOTSCHAFT
ICH BIN
Zeilen eines Gedichts, verfasst von Nil Yalter Anfang der 90er-Jahre. Wenige Worte, prominent platziert an der Museumswand, die klar machen: Diese Künstlerin kennt das Gefühl des Fremdseins, denn sie hat selbst eine facettenreiche Biografie. Geboren in Kairo, als Tochter eines muslimischen Vaters und einer jüdischen Mutter, wuchs Nil Yalter in Istanbul auf und ließ sich in den 60er-Jahren in Paris nieder. Versuchte dort als junge autodidaktische Künstlerin, im männlich dominierten Kunstbetrieb Fuß zu fassen. Nil Yalter war eine Außenseiterin, in mehrfacher Hinsicht – und ist es vielleicht immer noch.
"Immer zwischen den Stühlen"
"Manchmal habe ich das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören, zwischen den Stühlen zu sitzen. Wenn ich in der Türkei bin, fühle ich mich manchmal nicht ganz wohl, nicht zu Hause. Aber wenn ich zurück nach Paris komme, geht es mir genauso."
… erklärt die Künstlerin in einem Dokumentarfilm, der in der Ausstellung gezeigt wird. Auch in ihrer Kunst widmet sich Nil Yalter vor allem denen, die nicht dazu gehören: türkischen Gastarbeitern in Frankreich, Insassinnen eines Pariser Frauengefängnisses, Analphabetinnen in der osttürkischen Stadt Diyarbakir. Sie geht dabei zunächst vor wie eine Ethnologin – führt Videointerviews mit Migrantinnen und Migranten, lässt sie ihre Geschichten erzählen, fotografiert sie mit ihrer Polaroid-Kamera. Sammelt in ärmlichen Vierteln von Paris, Istanbul und New York Dinge von der Straße auf, Dinge, die den Alltag der hier lebenden Menschen dokumentieren: Fetzen eines Schulheftes, eine zerquetsche Coladose, eine zerbrochene Schallplatte. Das gesammelte Material arrangiert die Künstlerin anschließend zu Collagen und Installationen, die im Museum Ludwig nicht nur die Wände, sondern den ganzen Museumsraum erobern. Ein Ansatz, mit dem Nil Yalter in der Pariser Kunstszene der 70er-Jahre kaum ernst genommen wurde.
"Die Leute haben gesagt: Was ist das denn? Das ist doch keine Kunst! Das ist Politik, das ist Soziologie. Wer will sich denn schon Fotos oder Zeichnungen von Migranten an die Wand hängen? Das Publikum hat meine Kunst überhaupt nicht verstanden. Als ich aber die Arbeit über das Pariser Frauengefängnis politischen Aktivisten gezeigt habe, da meinten die: Das ist viel zu künstlerisch. Ich hing also immer zwischen den Stühlen."
Wissenschaftliche Recherche, künstlerische Aufarbeitung
Dabei ist es genau dieser doppelte Ansatz, der Nil Yalters Arbeiten so sehenswert macht: In ihren Recherchen mag sie dokumentarisch-wissenschaftlich vorgehen, das gesammelte Material aber bereitet sie mit den Augen und Händen einer Künstlerin auf. Yalter hat in den 60er-Jahren mit abstrakter Malerei begonnen – sie begeisterte sich damals für die russischen Konstruktivisten; in der Kölner Ausstellung lässt sich das an einigen Leinwänden nachvollziehen. Die Faszination für abstrakte Formen behält sie auch in ihren späteren sozialkritischen Arbeiten bei: Türkische, zum Tod verurteilte Revolutionäre stellt sie als silberne Kreise dar, die sich langsam auf eine dunkle Linie zubewegen – die Linie des Todes. Und das Foto einer Frau im schwarzen Tschador vervielfältigt und arrangiert sie so, dass es plötzlich aussieht wie das geometrische Muster in einem Kaleidoskop. Es ist das jüngste Werk von Nil Yalter, entstanden erst im vergangenen Jahr.
Feministische Fragen im gesamten Werk
Die Frau im Ganzkörperschleier ist nur eine von vielen Frauen in dieser Ausstellung – feministische Fragen sind der rote Faden im Werk von Nil Yalter, und sie stellt sie immer wieder auch in Verbindung mit Religion. So in einer Arbeit mit dem Titel "D'après 'Stimmung'", in Anlehnung an eine Komposition von Karlheinz Stockhausen, in der Namen verschiedener Götter erklingen. Nil Yalter geht mit diesen Gottheiten hart ins Gericht: Zwei Collagen widmet sie der griechischen Göttin Hera, Schutzgöttin der verheirateten Frauen. Die Collagen aber zeigen Zeitungsberichte über häusliche Gewalt – Hera hat versagt.
Es ist in den vergangenen Jahren ein bisschen in Mode gekommen, feministische Künstlerinnen, die lange unbeachtet waren, im hohen Alter wiederzuentdecken. Man sollte es damit sicher nicht übertreiben, nicht jedes Werk, das dem Zeitgeist entspricht, verdient diese späte Würdigung. Die Arbeiten von Nil Yalter aber hängen jetzt zu recht im Kölner Museum Ludwig – und bekommen dort hoffentlich die breite Aufmerksamkeit, die sie schon viel früher verdient hätten.