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Nino Filastò: Alptraum mit Signora

Ein überaus scheußlicher Mord im Transsexuellenmilieu und die beinahe perfekte Arbeit einer Kunstfälscherbande stehen im Zentrum des Romans "Alptraum mit Signora". Die unterschiedlichen Charaktere des nicht gerade profilierten, von der Klientel in seiner Nachbarschaft lebenden Rechtsanwalts Scalzi, des unkonventionellen Untersuchungsrichters Lembi und des denkfaulen, nur an schnellen Lösungen interessierten Staatsanwalts Orlandi bieten alle Voraussetzungen für das, was man von einem guten Kriminalroman erwarten darf.

Detlef Grumbach | 30.03.1998
    Der italienische Autor Nino Filastò bietet jedoch weit mehr als eine spannende Lektüre und einen guten Plot. Der 1938 geborene und in Florenz lebende Rechtsanwalt, der den deutschen Lesern schon durch seinen im vorigen Jahr erschienene Roman "Der Irrtum des Dottore Gambassi" bekannt geworden ist, unterhält die Leser auf äußerst geistvolle und vielschichtige Weise. Mit leidenschaftlichem Sachverstand macht er die raffinierten Machenschaften in einer Kunstszene transparent, in der mit professionell hergestellten und geschickt auf dem Kunstmarkt plazierten Fälschungen Millionen zu verdienen sind. Mit den Mitteln der Satire rückt er der italienischen Justiz in einem Sommer zu Leibe, zu einem Zeitpunkt also, an dem die Gedanken der diensthabenden Beamten eher Richtung Badestrände schweifen als daß sie bei den Akten auf dem Schreibtisch verweilen. Und mit der Gabe des genauen Beobachters nähert er sich den unterschiedlichen sozialen Schichten seiner Heimatstadt unvoreingenommen, aber mit Biß und Ironie. Er entwickelt eine genaue Psychologie seiner Figuren und betätigt sich als literarischer Fremdenführer durch die Höhen und Tiefen des gesellschaftlichen Lebens - angefangen von der selbstgefälligen Kunstschickeria bis in die versteckten Winkel der Schwulen- und Transsexuellenszene.

    Am Anfang steht der Besuch einer Klientin bei ihrem Anwalt. Die Geschichte, die sie ihm zu erzählen hat, klingt mehr als mysteriös: In der Zeitung war vom Fund einer total zerstückelten Leiche und eines ebenso zugerichteten Hundekadavers zu lesen. Die Polizei steht vor einem Rätsel, doch die Klientin weiß, wer die Tote ist. Wie sie dazu kommt und aus welchem Grund sie den Gang zur Polizei meidet, tut hier nichts zur Sache. Der Rechtsanwalt und seine Mandantin lassen die Angelegenheit sowieso auf sich beruhen.

    Monate später erst gelingt der Polizei, die Identität der Toten zu ermitteln. Es handelt sich um eine Transsexuelle. Für den Staatsanwalt ist der Fall damit geklärt. Er will in den Urlaub fahren und läßt den untergetauchten Liebhaber der Toten verhaften. Der Untersuchungsrichter spielt aber nicht mit. Alle Umstände sprechen gegen einen banalen Mord aus Eifersucht. Als der Richter schließlich Fotos in die Hand bekommt, die den beziehungsweise die Tote in aufreizender Kostümierung mit ihrem Hund von durchaus seltener Rasse zeigen, ahnt er etwas: Er hat beide schon einmal gesehen - und zwar nicht auf der Bühne einer zwielichtigen Bar, sondern in einem Museumskatalog, auf einem wertvollen Gemälde aus der Renaissance, aus einer Zeit - zu der es diese Hunderasse in Europa noch gar nicht gab!

    Rechtsanwalt Scalzi hat derweil mit einem ganz anderen Fall zu tun: Die völlig heruntergekommene Erbin einer wertvollen Kunstsammlung liest in der Zeitung, daß ein bekannter Kunsthändler ein großes Geschäft eingefädelt hat. Für 10 Milliarden Lire will er ein Bild verkaufen, das aus der Sammlung ihrer Großmutter stammt. Es handelt sich um eine Fälschung. Sie selbst hatte es ihm deshalb sogar vor Jahren einfach geschenkt. Jetzt wittert sie ihre große Chance. Sie berät sich mit ihrem Rechtsanwalt, sucht den Kunsthändler auf und sitzt, ehe sie sich versieht, unter Mordverdacht in Untersuchungshaft.

    Hier Richter Orlandi, dort Anwalt Lembi: beide beschäftigen sich jetzt mit Fällen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Beide Handlungsstränge werden so packend und dynamisch erzählt, daß sie aus sich heraus schon für höchste Spannung sorgen. In puncto Kunstfälschung, Malern, Modellen und den Wegen, die Bilder am Markt zu plazieren, ergeben sich aber auch Berührungspunkte. Aber warum reden Richter und Anwalt nicht darüber, obwohl sich viele Gelegenheiten bieten? Wann fügen sie die Teile des Puzzles, das der Leser schon beinahe vor Augen hat, endlich zusammen, so daß der Rest ein Kinderspiel ist? Der Leser ahnt immer etwas mehr als die Akteure, er sieht wenigstens den Ansatzpunkt zur Lösung, obwohl auch er bis zum Schluß in Atem gehalten wird. Der Autor dagegen genießt es, abzuschweifen und viele kleine Geschichten am Rande der großen zu erzählen. Er holt weit aus, und bringt den Roman - im Nu übrigens - auf stolze und fesselnde 380 Seiten.