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Nobelpreis für Kryo-Elektronenmikroskopie
"Herausfinden, wie sich die Oberfläche von Viren verändert"

Biomoleküle sichtbar machen, um diese besser erforschen zu können: Dafür haben die Forscher Frank, Henderson und Dubochet den Chemie-Nobelpreis erhalten. Wichtig seien die neuen Erkenntnisse für die medizinische Forschung und auch die Pflanzenschutzforschung, sagte Stefan Raunser vom Max-Planck-Institut im Dlf.

Stefan Raunser im Gespräch mit Ralf Krauter | 04.10.2017
    (171004) -- STOCKHOLM, Oct. 4, 2017 -- Goran K. Hansson (C), Secretary General of the Royal Swedish Academy of Sciences, announces the winners of the 2017 Nobel Prize in Chemistry in Stockholm, Sweden, on Oct. 4, 2017. Three scientists shared 2017 Nobel Prize in Chemistry, the Royal Swedish Academy of Sciences announced on Wednesday. The Nobel Prize in Chemistry 2017 was awarded to Jacques Dubochet, Joachim Frank and Richard Henderson for developing cryo-electron microscopy for the high-resolution structure determination of biomolecules in solution . ) (zcc) SWEDEN-STOCKHOLM-NOBEL PRIZE-CHEMISTRY ShixTiansheng PUBLICATIONxNOTxINxCHN
    Goran K. Hansson verkündet die Gewinner des Chemie-Nobelpreises Jacques Dubochet, Joachim Frank und Richard Henderson (imago stock&people)
    Ralf Krauter: Die technologischen Fortschritte bei der Entwicklung der Elektronenmikroskopie für Biomoleküle, die aufs Konto von Frank, Henderson und Dubochet gehen, die haben mit den Worten des Nobelkomitees Zitat "eine neue Ära der Biochemie eingeläutet." Da stellt sich natürlich die Frage: Wie war es denn um die Strukturaufklärung von Biomolekülen bestellt, bevor die drei auf den Plan traten, also Anfang der 1970er Jahre?
    Professor Stefan Raunser, Experte für Strukturbiochemie am Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie in Dortmund, hat sie vorhin so beantwortet:
    Stefan Raunser: Also in dieser Zeit wurde die Strukturbiologie dominiert von der Röntgenkristallographie, und Elektronenmikroskopie wurde hauptsächlich verwendet, um sich Schnitte von Geweben anzugucken, die dann entsprechend auch präpariert wurden, also mit Chemikalien behandelt wurden. Mit der Zeit hat sich das dann so entwickelt, die Elektronenmikroskopie, dass man sich auch einzelne Moleküle angucken kann, also nicht nur Schnitte bei einer niedrigen Auflösung, sondern einzelne Moleküle. Und über die Jahre ist die Auflösungsgrenze immer weiter nach unten gegangen. Der Rekord liegt, glaube ich, bei 1,8 Ångström.
    Krauter: Das heißt, man kann einzelne Atome auf jeden Fall sichtbar machen.
    Raunser: Genau.
    Krauter: Welche Probleme galt es denn zu überwinden dann auf dem langen Weg von damals bis heute?
    Raunser: Was man sich vorstellen muss, ist, die Probe, die man ins Mikroskop einführt, ist dreidimensional, aber die Bilder, die man aufnimmt, sind Projektionen. Und von diesen Projektionen muss man zurückrechnen, um eine dreidimensionale Struktur zu erlangen. Das verlangt natürlich sehr viel Computerarbeit und Prozessierung an Computer oder auch an Computerclustern. Und man kann sich vorstellen, dass in den 70er-, 80er-Jahren es noch nicht so fortgeschritten war – es gab noch Lochkarten und solche Dinge, da kann ich mich natürlich persönlich nicht dran erinnern –, aber es war sehr aufwendig, diese Algorithmen zu entwickeln, um eben entsprechend diese dreidimensionalen Karten zu berechnen.
    "Signal zum Rauschverhältnis verbessern"
    Krauter: Und der Trick war jetzt letztlich, Unschärfen rauszurechnen, indem man ganz viele Bilder von diesen Molekülen schießt?
    Raunser: Genau richtig, im Elektronenmikroskop. Die Elektronen sind natürlich sehr energiegeladen und würden, wenn man da sehr viele drauf gibt, die Probe zerstören, deshalb arbeitet man bei sehr niedrigen Dosen. Dadurch sind die Bilder sehr verrauscht, also man hat ein sehr schlechtes Signal zum Rauschverhältnis, und deshalb muss man die einzelnen Bilder alignieren und dann übereinanderlegen, damit das Signal zum Rauschverhältnis sich verbessert.
    Krauter: Also im Prinzip wird da die Information aus vielen Bildern verdichtet, um ein besonders scharfes Bild dann letztlich zu bekommen.
    Raunser: Genau richtig, mit sehr viel Details.
    Krauter: Die Technik wurde ja in den vergangenen 20, 30 Jahren kontinuierlich weiterentwickelt, wie leistungsfähig ist sie heute und welche Rolle spielt die Kryomikroskopie in der modernen Grundlagenforschung?
    Raunser: Die Auflösung vor allem jetzt – es gab die Revolution vor drei, vier Jahren durch die Einführung der neuen Elektronendetektoren, und die hat den endgültigen Sprung geschafft im Endeffekt zu einer standardmäßigen hohen Auflösung, die man erreichen kann mit der Kryo-Elektronenmikroskopie. Und jetzt kann man Strukturen untersuchen, die zum Beispiel vorher nicht erreicht werden konnten mit herkömmlichen Methoden wie der Röntgenkristallographie. In unserem Fall – wir arbeiten an Muskelproteinen, Actin und Myosin. Und Actin zum Beispiel bildet helikale Filamente, die nicht gut kristallisieren oder nicht kristallisiert werden konnten, und wir konnten mit der Methode zum ersten Mal eben die Struktur eines Actin-Filaments bei hoher Auflösung zeigen. Wichtig ist es für die medizinische Forschung oder auch für Pflanzenschutzforschung und all diese Dinge, wo man kleine Moleküle untersucht, die an größere Moleküle im Körper binden. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen bei der Antibiotikaforschung, da kommt es drauf an, dass man weiß, wo dieses Antibiotikum an Molekülen des Zielproteins im Körper bindet, bei dem Bakterium. Und entsprechend, wenn sich Resistenzen ausbilden, kann man dann, wenn man genau weiß, wie dieses Molekül da reinpasst, dieses Molekül verändern, um wieder ein potentes Antibiotikum zu erhalten.
    "Bei Viren kann man relativ schnell eine Struktur erweichen"
    Krauter: Das heißt, man könnte zum Beispiel Antibiotikaresistenzen damit gezielt bekämpfen, weil man genauer weiß, wo die Schwachstellen der Bakterien dann sind?
    Raunser: Genau, richtig, ja.
    Krauter: Auch das Zika-Virus, habe ich gelesen, wurde ja mit diesem Verfahren analysiert, die Hülle des Virus, um dann Angriffspunkte zu finden für künftige Behandlungen oder Impfstoffe.
    Raunser: Genau richtig. Vor allem bei so großen Dingen wie Viren kann man relativ schnell eine Struktur erweichen. Zuvor musste man immer Kristallisationsbedingungen finden und hoffen, dass die Kristalle auch gut streuen. Mit der Elektronenmikroskopie hat man jetzt eine Methode, mit solchen viralen Strukturen, die auch hoch geordnet sind … in relativ kurzer Zeit kann man da die Strukturen lösen und dann entsprechend herausfinden, wie die Oberfläche dieser Viren sich verändert, zum Beispiel wenn man verschiedene Stämme hat.
    Krauter: Um unseren Hörern noch ein Gefühl für die praktische Relevanz dieses Verfahrens zu geben, wie häufig kommt das bei Ihnen am Institut konkret zum Einsatz pro Tag?
    Raunser: Dieses Mikroskop läuft 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche, das ist automatisiert. Also man gibt dem Mikroskop Bereiche vor, an denen es messen soll, dann funktioniert es automatisch, das Mikroskop kühlt sich auch selbst herunter und misst entsprechend nonstop. Es ist auch wichtig, denn so ein Mikroskop ist nicht billig, es kostet etwa fünf Millionen Euro.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.