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Nobelpreisträger Stiglitz
"Es gibt kein Argument, den Leitzins jetzt anzuheben"

Die US-Notenbank Fed wird heute verkünden, ob sie den Leitzins in den USA anhebt. Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz ist dagegen: Auch wenn das Bruttoinlandsprodukt leicht steige - die Arbeitslosigkeit in den USA sei in Wirklichkeit deutlich höher als offiziell angegeben, sagte Stiglitz im DLF. Das zeige, dass sich die USA wirtschaftlich noch nicht erholt hätten.

Joseph E. Stiglitz im Gespräch mit Silke Hahne | 17.09.2015
    US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz
    Der US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz ist auch Träger des Wirtschafts-Nobelpreises. (dpa / picture alliance / Orestis Panagiotou)
    Silke Hahne: Sollte die US-Notenbank Fed heute den Leitzins heben oder nicht?
    Joseph Stiglitz: Ich bin absolut überzeugt, dass sie den Leitzins auf dem gleichen, niedrigen Niveau belassen sollten wie bisher. Das BIP ist leicht gestiegen. Aber die offizielle Arbeitslosenquote maskiert nur, was wirklich passiert. Die offizielle Arbeitslosenquote steht bei etwas über fünf Prozent. Aber wenn Sie Menschen mit einrechnen, die Teilzeit arbeiten, weil sie keine volle Stelle finden, und Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind – dann kommen Sie auf Zahlen, die doppelt so hoch sind. Und bei den Afro-Amerikanern ist es üblicherweise noch einmal das Doppelte. Fakt ist also: Amerika hat sich noch nicht erholt!
    Die Fed hat zwei Mandate: Arbeitslosigkeit und Inflation. Wir haben ein hohes Niveau von versteckter Arbeitslosigkeit, einen schwachen Stellenmarkt, die Löhne stagnieren. Das mittlere Einkommen liegt unter dem vor 25 Jahren. Das ist keine Erholung!
    Gleichzeitig haben wir keine Inflation. Sie liegt unter dem Ziel der Fed. Meine Ansicht – und die der meisten Ökonomen, inklusive des Chef-Ökonomen des IWF – diese Ansicht ist, dass die Zielmarke für die Inflation auch nicht bei zwei, sondern bei vier Prozent liegen sollte. Aber die tatsächliche Inflation liegt unter zwei Prozent. Also gibt es kein Argument, den Leitzins jetzt anzuheben.
    "Griechenland rutscht weiter in die Depression"
    Hahne: Am Sonntag wählt Griechenland ein neues Parlament. Welches Ergebnis würden Sie gerne sehen?
    Stiglitz: Das ist eine schwierige Frage. Denn egal, wie es ausgeht: Griechenland wird tiefer in die Wirtschaftskrise rutschen und diese Krise wird länger dauern. Denn das Programm, das Griechenland auferlegt wurde - und das sie akzeptiert haben - ist ein Krisen-Programm. Es garantiert im Grunde, dass das Land in die Depression rutscht: Egal was es tut und insbesondere wenn es tut, wozu es aufgefordert wird.
    Hahne: Sie glauben also, dass auch Syriza sich an das Sparprogramm halten wird, sollte die Partei die Wahl gewinnen?
    Stiglitz: Ja, das glaube ich. Der Grund, warum ich hoffe, dass Tsipras die Wahl gewinnt, ist folgender: Es gibt nur zwei weitere mögliche Ergebnisse. Das erste lautet: Es gibt kein Ergebnis, keiner kann eine Regierung bilden. Und das wäre eine Katstrophe. Die zweite Möglichkeit wäre, dass Nea Dimokratia gewinnt – also die Partei, die Griechenlands Schwierigkeiten erst verursacht hat.
    Eines der tieferliegenden Probleme in Griechenland sind die Oligarchen, die das Land bisher dominiert haben. Und die Nea Dimokratia ist so eng mit diesen Oligarchen verbunden, dass es eigentlich nicht überraschend ist, dass sie in ihrer Regierungszeit nichts gegen das Problem getan haben – auch nicht in der Zeit unter dem Reformprogramm.
    Wenn jetzt also diese Partei wieder an die Macht kommt, ändert sich daran nichts. Und dann wird es sehr schwierig für Griechenland, eine starke, robuste und wettbewerbsfähige Wirtschaft zu entwickeln.
    "Troika sollte reformiert werden"
    Hahne: Der ehemalige Finanzminister Griechenlands – Yanis Varoufakis – hat einmal gesagt: Griechenland sollte Deutschland den Mittelfinger zeigen. Unabhängig von der Wortwahl – sollte Griechenland das sprichwörtlich tun?
    Stiglitz: In erster Linie hoffe ich, dass die Troika reformiert wird! Aber wenn das nicht passiert, dann denke ich, dass Griechenland gut beraten wäre, die Euro-Zone zu verlassen. Und viele in Deutschland haben ja ebenfalls gesagt, dass sie das für die angemessene Lösung halten.
    "Austerität ist ein Todesurteil"
    Hahne: Die Deutschen Politiker die das gefordert haben, hatten allerdings andere Motive: Sie wollten Deutschland vor einer Transferunion schützen. Warum meinen Sie, dass Griechenland den Euro verlassen sollte?
    Stiglitz: Dazu zwei Punkte. Erstens: Es wird eine Umstrukturierung der Schulden geben - ob es Deutschland gefällt oder nicht. Der IWF hat das ja auch gesagt - damit blickt man den Tatsachen nur ins Auge.
    Aus meiner Sicht sollte Griechenland die Eurozone verlassen, weil Austerität ein Todesurteil ist. Mit einem flexiblen Währungskurs und einer Schulden-Umstrukturierung hingegen könnte Griechenland zu Wachstum zurückkehren. Genau wie Argentinien wieder Wachstum verzeichnete, nachdem es seine Schulden umstrukturiert und seinen Wechselkurs angepasst hatte. Griechenland würde seinen Währungskurs ja nur wieder auf das richtige Niveau zurückbringen. Und das wäre ein wichtiger Schritt, um Griechenlands Wohlstand wieder herzustellen.
    Hahne: Die Schulden Griechenlands wären dann aber immer noch in Euro – Wäre es da nicht viel schwieriger für das Land, sie zurückzuzahlen?
    Stiglitz: Deswegen müssen die Schulden umstrukturiert werden. Das muss die Eurozone einsehen. Die Gläubiger Griechenlands werden sonst ihr Geld nicht zurückbekommen. Es wäre also wahrscheinlich in ihrem eigenen Interesse, wenn das Reformprogramm der Troika reformiert würde – sodass Griechenland wieder wachsen könnte. Und wenn Griechenland dann wachsen würde, wäre es in der Lage, mehr Schulden zurückzuzahlen. Um auf das Beispiel Argentinien zurückzukommen: Das Land stagnierte und war in einer schrecklichen Situation. Weil es aber nach der Schulden-Umstrukturierung und der Währungsabwertung so gewachsen ist, konnte es doppelt so viele Schulden zurückbezahlen wie ohne dieses gute Wachstum.
    In der Flüchtlingskrise von den Amerikanern lernen
    Joseph Stiglitz äußerte sich aber nicht nur zur Austeritätspolitik – auch sonst sei die europäische Wirtschaftspolitik nicht ausgereift. Insbesondere die Bankenunion müsse schneller vorangetrieben werden. Und: Die Eurozone brauche endlich Eurobonds.
    Die größte Gefahr für die Weltwirtschaft sieht Stiglitz aber in der abkühlenden chinesischen Konjunktur. Die Reformen, die das Land brauche, seien andere als vor der Wirtschafts- und Finanzkrise. Welche, schildert er hier: China ist die größte Gefahr für die Weltwirtschaft.
    Zur wachsenden Zahl von Flüchtlingen in Europa verwies er auf die seiner Ansicht nach nicht gelungene Integration südamerikanischer Einwanderer in den USA. Um die Menschen gut zu integrieren, müsse Deutschland ihnen vor allem eines bieten: Zugang zu hoch qualitativer Bildung. Europa könne einiges von den USA lernen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.