Freitag, 29. März 2024

Archiv


Nobelpreisträger zum Anfassen

Wissenschaft.- 59 Nobelpreisträger, einfach erkennbar an den blauen Bändern ihrer Namensschilder, und knapp 700 Nachwuchsforscher tummeln sich in der Lindauer Inselhalle und der näheren Umgebung. Doch was genau treiben die da den ganzen Tag?

Von Ralf Krauter | 29.06.2010
    Montag Morgen, 8.45 Uhr. Hektisches Treiben im Foyer der Inselhalle. In einer Viertelstunde beginnt der Eröffnungsvortrag. Auch Nicolas Werbek, ein Biochemiker aus Heidelberg, ist auf dem Weg in den großen Saal. Persönlichen Kontakt zu einem der 59 Nobelpreisträger hatte er bislang noch nicht, sagt er.

    "Hier sieht man natürlich schon einige, klar, aber mit denen geredet habe ich bis jetzt noch nicht, dafür ist es noch zu früh. Mal gucken, die nächsten Tage wird sich bestimmt was ergeben."

    Auch die gebürtige Pakistanerin Ishrat Bano wartet noch auf den ersten direkten Kontakt mit einem Laureaten. Die Materialforscherin von der Universität Cambridge sitzt in einer der Stuhlreihen rechts vorne und wartet, dass es losgeht.

    Sie wolle mehr über das Leben der Nobelpreisträger erfahren, so Ishrat Bano. Wie haben die es geschafft, diesen Preis zu gewinnen? Und welche Schwierigkeiten hatten sie zu meistern? Wenn man als Forscher Karriere machen will, stolpert man schließlich ständig über Probleme.

    Punkt 9 Uhr beginnt Ada Yonath, die Chemienobelpreisträgerin von 2009 ihren Vortrag. "The amazing Ribosome – das erstaunliche Ribosom": Der Titel klingt sperrig, aber die quirlige grauhaarige Dame zeigt Bilder aus Kinderbüchern und erzählt so packend über die Eiweißfabriken in unseren Zellen, deren Struktur und Funktion sie entschlüsselt hat, dass auch fachfremde Forscher problemlos mit kommen. Bei Christian Speyerer, der an der Uni Stuttgart seine Doktorarbeit schreibt, kam das gut an.

    "Das war wunderbar dargestellt. Ich hatte am Anfang auch etwas Angst, dass Nobelpreisträger ganz abgefahrene Sachen über ihre Forschung darstellen. Aber die ersten Folien waren ganz allgemein verständlich. Und ich glaube jeder von den ganzen interdisziplinären Leuten konnte am Anfang nachvollziehen, worum's überhaupt geht."

    Zur Kaffeepause um 10.30 Uhr drängen die Zuhörer ins Foyer. Fast alle sprechen englisch hier und nutzen die halbe Stunde, um Kontakte zu knüpfen. Eine junge US-Forscherin hat den Holländer Martinus Veltman in ein kurzes Gespräch verwickelt. Der heute 79-jährige Physiknobelpreisträger von 1999 ist bereits das vierte Mal in Lindau dabei. Nicht wegen all der anderen Preisträger, sagt er, die treffe er anderswo oft genug, sondern um talentiertem Nachwuchs Tipps zu geben.

    Wenn einer nicht weiß, an welchem Institut oder auf welchem Gebiet er seine Karriere fortsetzen soll, versuche ich ihm Ratschläge zu geben, wie er das herausfinden kann, erklärt Veltman. Ich erzähle ihnen, welche Probleme ich hatte, als ich jung war - und manchmal lernen sie daraus. Die konkreten Tipps unterscheiden sich von Person zu Person. Aber im Grunde geht es immer um dasselbe: Finde heraus, worin du wirklich gut bist und was du machen willst. Und überwinde dann alle Hindernisse, um dein Ziel zu erreichen.

    Nach einer weiteren Vortragsrunde bildet sich eine lange Schlange vor dem Essenszelt. Zwei Stunden Mittagspause stehen auf dem Programm. Die meisten nutzen sie, um frische Luft und Sonne zu tanken.

    Spätestens bei den Gesprächsrunden ab 14.30 Uhr kommen die Jungforscher dann wirklich auf Tuchfühlung mit den Laureaten. Zum Beispiel im Gewölbe des evangelischen Hospitals am Lindauer Marktplatz.

    Sind Pressekameras im Raum?, fragt der Physikpreisträger Robert Laughlin eingangs – und legt dann ganz schnell die Krawatte ab. Der beleibte US-Amerikaner mit grauem Haar und rahmenloser Brille entpuppt sich als Entertainer. Dass Powerpoint-Folien und Mikrofon anfangs nicht funktionieren, stört ihn kein bisschen. Ohne Rücksicht auf Schweißflecken unter den Achseln diskutiert er engagiert und unterhaltsam im kleinen Kreis, wie die Welt aussehen wird, wenn die fossilen Energieträger Erdöl, Gas und Kohle für immer erschöpft sind.

    Es herrscht Seminaratmosphäre, jeder kann sich einbringen. Holger von Wenckstern, ein Nanoforscher von der Universität Leipzig, ist mehr als angetan, als sich das Gewölbe gegen zehn vor vier wieder leert.

    "Die Diskussion war natürlich sehr lebhaft, interessant, mit reger Teilnahme des Publikums und zum Teil auch sehr witzig. Was man auch sehr gut sagen muss: Dass er die erste Viertelstunde perfekt ohne technische Unterstützung überbrückt hat. Das muss ich schon sagen, das war eine große Leistung."

    Weiteres zum Nobelpreisträgertreffen in Lindau unter www.dradio.de/nobelpreistreffen