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Noch ein Schinken für die Bühne

Zu sehen ist in der durchaus eleganten Inszenierung von Nora Schlocker Gedanken- und Gefühlstheater, leichthin ausgestellt zwischen Sehnsucht und Verzweiflung. Doch am Ende bleibt die Erkenntnis, dass man Romane nicht dramatisieren sollte, wenn man sie nur benutzt, statt sie zu nutzen.

Von Hartmut Krug | 20.02.2011
    Die Trauergemeinde steht mit dem Rücken zum Publikum und singt einen Choral, dann stürmt der Witwer Charles Bovary an die Rampe. Wie eine Verheißung strahlt seine neue, weiß verschleierte Braut aus der zur frohen Festgesellschaft verwandelten Menge. Aber das Bühnenbild zeigt: Die Ehe wird ein Gefängnis sein. Braun geblümt der Teppichboden, verwaschen hellblau gepolstert wie eine Gummizelle die einengenden Wände. Weit öffnen sie sich zum Zuschauerraum.

    Und diesen Weg in die Gesellschaft wird Emma Bovary später immer wieder nehmen, wenn sie aus ihrer als bedrückend empfundenen Realität als Frau eines Provinzarztes in den Traum eines anderen Lebens zu flüchten sucht. Dass dies nicht gut gehen kann, wird dem Publikum auch noch von der schwarz gekleideten und stummen Figur des Knechtes Hippolyte bedeutet, der sich als dunkles Menetekel in albern bedeutungsvollen Bewegungsposen durch die Szenerie bewegt. Ihr frühes Ungenügen in der Ehe verkündet die junge Braut schnell in erlebter Rede:

    "Emma könnte sprechen. Aber Emma weigert sich, zu sprechen. Emma denkt: Immerhin er begehrt mich, er verehrt mich. Fiele dies weg, würde dies gemeinsame Elend ja vollends sinnlos. Weil, beschwer ich mich, verstößt er mich."

    Das gemeinsame Elend ist eines, das sich aus dem 19. Jahrhundert begründet. Doch Tine Rahel Völckers folgt Flauberts Figurenerklärungen wenig. Sie übernimmt die Struktur des Romans und überschreibt ihn mit den Fragen eines modernen Feminismus nach gesellschaftlichen Frauenidentitäten und –rollen. So wird der Roman "fremdbenutzt" und das Bühnengeschehen wirkt so aufgesetzt wie abstrakt.

    "Madame Bovary, das bin ich", sagte Flaubert zum Scheitern seiner Heldin, sich in und mit der Kunst in der Alltagswelt zu verwirklichen. Das aber spielt bei Völcker keine Rolle, sie zeigt ein Lehrstück des Scheiterns.
    Nahezu die Hälfte der fast 30 Stücke im Repertoire des Maxim Gorki Theaters sind Dramatisierungen von Romanen oder Erzählungen. Meist berichten oder interpretieren sie deren Inhalt oder Essenz. Doch bei Völckers Version von Flauberts "Madame Bovary" wirken die Figuren entweder wie Thesen oder sind schematisch gezeichnet. Wie Julischka Eichel in der Titelrolle sich verzweifelt durch alle Frauenrollen probt und in keiner Verwirklichung findet, ob als Gattin, Mutter, schüchterne Geliebte oder nymphomanische Sucherin, das wirkt trotz der wundervoll nuancenreichen Julischka Eichel doch arg gestrig und wird oft von atmosphärischer Musik unterlegt:


    "Emma magert ab. Ihre Wangen verlieren an Farbe, ihr Gesicht wird lang und schmal. In der Familie bewundert man ihre Sparsamkeit, in der Nachbarschaft ihre Höflichkeit. Der Aufwand, denkt Emma, wird entschädigt. Dann nämlich, wenn eines Tages aus dem Liebsten etwas werden kann, auf das man stolz sein kann."

    Zu sehen ist in der durchaus eleganten Inszenierung von Nora Schlocker Gedanken- und Gefühlstheater, leichthin ausgestellt zwischen Sehnsucht und Verzweiflung. Statt Ironie und Satire wie im eleganten Text von Flaubert gibt es eine kritisch heutig ausgestellte Überdeutlichkeit von Figuren. Und mit Alexander Fehling verharrt in der Rolle des Ehemanns völlig in der von Flaubert beschriebenen Gutmütigkeit und Geduld, die eintönig wirkt. Auch weil die seine Borniertheit überdeutlich ausstellende Szene mit der Landwirtschaftsausstellung fehlt, wird er zu einer unangemessen positiven Figur. Emmas Geliebte sind in dieser Inszenierung nur als Wunschprojektionen ernst zu nehmen, während der Wucherer Lheureux zu einer Modistin und Geldverleiherin geworden ist. Doch auch, wenn Sabine Waibel in der Doppelrolle der nervigen Schwiegermutter und einer freisinnigen Modistin schauspielerisch brilliert, leuchtet die Frauwerdung des Wucherers, erst solidarische Antreiberin Emmas, dann als Wechseleintreiberin diese ruinierend, weder inhaltlich noch dramaturgisch ein.

    In den Text der Bühnenversion sind etliche derb-direkte heutige Passagen eingesprengselt, und natürlich ist oft von Ficken die Rede. Und statt Arsen wie bei Flaubert für ihren Selbstmord zu nehmen, erzählt Emma, wie sie sich und ihre Schönheit mit einem Messer blutig zerschneidet. Dann zieht sich ihr Mann ihr Kleid an und wird wahnsinnig. Und die Emma-Darstellerin Julischka Eichel tritt im Kittel als ihre in einer Garnfabrik arbeitende Tochter auf.

    Regisseurin Nora Schlocker und den Schauspielerinnen Julischka Eichel und Sabine Waibel gelingt es immerhin, dieser arg schematisch aktualisierten Bühnenversion von Flauberts Roman etliche sinnliche Spielmomente abzutrotzen. Insgesamt aber zieht sich die Aufführung mächtig dahin. Eine Aufführung, die ein Beispiel dafür ist, dass man Romane nicht dramatisieren sollte, wenn man sie nur benutzt, statt sie zu nutzen.