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Noch unbewohnbar

Die Gegend um Fukushima wieder bewohnbar zu machen, sei möglich, sagt Wissenschaftsjournalist Arndt Reuning. Doch der Aufwand ist immens hoch und an manchen Stellen ließen die gemessenen Strahlenwerte kein alltägliches Leben mehr zu.

Arndt Reuning im Gespräch mit Theo Geers | 14.04.2011
    Theo Geers: Seit 34 Tagen hält uns nun schon die Atomkatastrophe in Fukushima in Atem, und niemand soll sich etwas vormachen: die Lage ist unverändert katastrophal, die Atomkraftwerke sind nicht unter Kontrolle. Wären sie es, könnten die Mitarbeiter bequem auf ihren Sesseln in den Kontrollcentern herumlungern und auf die Monitore starren. Das können sie aber nicht. - Arndt Reuning aus unserer Forschungsredaktion ist im Studio. Herr Reuning, kommen wir zum täglichen Bulletin aus Fukushima: die verzweifelten Kühlversuche gehen weiter. Wie ist die Lage?

    Arndt Reuning: Im Moment schaut man etwas genauer auf die Abklingbecken, besonders im Reaktorblock vier. In diesem Becken stehen heiße Kernbrennstäbe, und die müssen natürlich gekühlt werden, indem sie mit Wasser besprüht werden. Dieses Kühlen muss sein, aber es schwappt auch immer wieder Wasser über, das heißt es kommt zu neuen Verunreinigungen. Deshalb überlegt man nun, ob es die Möglichkeit gibt, diese heißen Brennelemente aus dem Becken herauszuholen und woanders zu kühlen, sie vielleicht sogar zu versiegeln, sie irgendwo zu lagern. Das dürfte kein leichtes Unterfangen werden, aber im Moment stellen diese Brennstäbe einfach ein hohes Risiko dar, denn sie befinden sich in diesem Becken außerhalb der Reaktor-Schutzhülle und das Dach ist durch die Explosion zerstört worden.

    Geers: Und damit dringt dann natürlich auch Radioaktivität in die Umwelt über das Wasser, aber möglicherweise auch über die Luft, und damit kommen wir zum nächsten Aspekt unseres Gesprächs, Herr Reuning. In Japan beginnt man, sich ja so langsam Gedanken darüber zu machen, dass die Evakuierungszone rund um das AKW Fukushima wohl für längere Zeit unbewohnbar bleiben dürfte. Für wie lange wohl?

    Reuning: Das kommt ein wenig darauf an. Die Belastung ist innerhalb des Radius von 20 Kilometern nicht gleichmäßig verteilt. Regierungschef Naoto Kan hatte gestern gesagt, die Zone sei für zehn bis 20 Jahre nicht zu bewohnen, hat das dann aber schnell wieder dementiert. Die IAEA hat heute Messwerte vorgelegt von außerhalb der Zone für die Oberflächen-Kontamination, und diese Werte liegen um 1000 Kilo-Becquerel pro Quadratmeter. Nach Tschernobyl lagen die Spitzenwerte hier in Deutschland ungefähr bei 100 Kilo-Becquerel pro Quadratmeter. Also auch außerhalb dieser Zone in Japan gibt es Werte, die ungefähr zehnmal so hoch sind wie die Spitzenwerte in Deutschland 1986. In der Zone wurden Dosisleistungen gemessen, die eine Belastung von ungefähr einem Sievert pro Jahr bedeuten. Wer sich also dort für längere Zeit aufhält, über Monate hinweg, der dürfte unter Folgen der Strahlenkrankheit leiden.

    Geers: Und das heißt dann auch, ein alltägliches Leben ist da kaum noch möglich?

    Reuning: Ja. An manchen Stellen ist die Strahlung so hoch, dass eben diese Symptome auftreten können. Darüber hinaus erhöht auch diese Strahlung in niedriger Dosis das Risiko für Krebs. Deutlich hat man das in Tschernobyl gesehen beim Schilddrüsen-Krebs, besonders bei den Kindern, dass damals die Kinder radioaktives Jod aufgenommen hatten, das sich dann in der Schilddrüse angesammelt hat. Sie haben es zum einen eingeatmet, auch über die Milch aufgenommen. Ich denke, diese Gefahr ist in Japan nicht ganz besonders groß.

    Geers: Bleibt noch eine Frage, Herr Reuning: Gäbe es denn irgendwie Möglichkeiten, eine solche verstrahlte Region auch wieder zu säubern?

    Reuning: Das ist natürlich aufwendig. Man kann zum einen das Erdreich abtragen, bis zu einer Tiefe von zehn Zentimetern ungefähr müsste das geschehen. Versiegelte Flächen kann man abwaschen und das Wasser auffangen, oder man kann sie neu versiegeln, also zum Beispiel Straßen neu teeren, wie gesagt alles sehr aufwendig. Es gibt weitere Maßnahmen, um die Belastung in der Lebensmittelkette gering zu halten. Rindern zum Beispiel kann man einen bestimmten Farbstoff beifüttern, Berliner Blau, und der sorgt dafür, dass das Cäsium aus dem Körper herausgeschwemmt wird im Laufe der Zeit.

    Geers: Das heißt aber, es bleibt alles sehr aufwendig und trotzdem auch die Frage natürlich - die muss dann jeder für sich selber dort beantworten -, ob er in so eine Zone zurückkommen möchte, Stichwort Heimatgefühle, oder ob er sich eine neue Heimat suchen kann. - Danke schön! Das war Arndt Reuning mit Informationen, wie die Lage heute in Fukushima am 34. Tag der Katastrophe einzuschätzen ist.