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Noch vier Meter bis zum Untergang

Nachdem 1953 in den Niederlanden 1000 Menschen der verheerende Sturmflut zum Opfer fielen, haben die Niederländer aufgerüstet: Nordseearme wurde von der offenen See getrennt, die Deiche erhöht. Die Länder Europas und Nordamerikas können sich einen Katastrophenschutz leisten. Viel hilfloser stehen die Bewohner von Kiribati, den Malediven oder Tuvalu den Folgen des Klimawandels gegenüber. Ein Bericht von Andy Stummer.

24.11.2007
    Jeden zweiten Tag gehen Kilifi und Semese, Tuvalus Umweltoffiziere, auf Strandpatrouille. Gleich hinter dem Hafen Funafutis hat das Meer schon wieder ein etwa tennisplatzgroßes Stück Küste weggefressen.

    Die Wurzeln einiger Palmen am Ufer sind unterspült und freigelegt. Der Sand, der sie im Boden hält, ist weggeschwemmt. Kilifi sperrt das Stück Strand mit einem rot-weißen Plastikband ab. Am Nachmittag wird ein Trupp Arbeiter das Ufer so gut es geht wieder befestigen. Bei nur 25 Quadratkilometern Fläche ist Land kostbar in Tuvalu. Je weiter das Meer ansteigt, meint Semese, desto mehr sinkt die Zukunft des Inselstaates.

    "Wir haben bereits vor fünf Jahren eines der Atolle hier im Wasserschutzgebiet verloren - und die meisten glauben, dass es wegen des steigenden Meeresspiegels untergegangen ist. Aber es kann auch an natürlichen Umweltveränderungen liegen, die wir nicht kennen."

    Der tosende Pazifik auf der einen und auf der anderen Seite eine 14 mal 16 Kilometer große Lagune: Nirgendwo auf der Welt hat man näher am Wasser gebaut. Tuvalus höchste Erhebung liegt nur ganze vier Meter über dem Meer. Früher paddelten die Einheimischen zum Picknicken auf die kleinen Sand-Eilande in der Lagune. Heute ragen dort nur noch die Wipfel überschwemmter Kokospalmen aus dem türkisfarbenen Meer. Rölf Köpke, der einzige Deutsche in Tuvalu, will trotzdem nicht wahrhaben, dass den Inseln das Wasser bis zum Hals steht.

    Seit mehr als 20 Jahren betreibt Rolf eine kleine Zwei-Zimmer-Pension auf Funafuti - nur 50 Meter vom Wasser. Vor dem Meer hat er keine Angst - aber vor den Wirbelstürmen und Springfluten. Die werden immer häufiger und stärker. Die letzten haben Funafuti wochenlang knietief überflutet und den ohnehin nährstoffarmen Boden für Monate unfruchtbar gemacht. Hilia Vavae von der Wetterwarte Tuvalu kennt die Schuldigen: Treibhausgase, Klimaveränderung und die Ignoranz der Industrienationen.

    "Wir unterstützen die USA, aber sie scheren sich kein bisschen um tiefliegende Atolle wie Tuvalu oder andere Pazifikstaaten. George Bush weigert sich das Kyoto-Klimaschutzabkommen zu unterzeichnen. Er kriegt, was er will und hat immer recht. Aber hat nichts für uns arme Leute in Tuvalu übrig."

    Jeden Morgen, bevor sie zur Arbeit geht, kniet Schullehrerin Emily Taulosi auf dem Boden ihrer schilfgedeckten Hütte nieder und betet. Dass das Meer sich nicht gegen sie erhebt und um eine Zukunft für Tuvalus Kinder. Doch viele wollen nicht auf den eigenen Untergang warten: 5000 Einheimische haben die Inseln bereits verlassen. Reverend Taufago Falani fürchtet, dass die verbliebenen 10.000 Einwohner gestrandet sind. Mitten in der Südsee.

    "Die weltweite Klimaerwärmung ist bei uns Tagesgespräch, denn unsere Existenz hängt davon ab. Doch wo können wir hin, um zu überleben ? Deshalb bitten wir den großen Bruder Australien unser Volk aufzunehmen und dorthin zu evakuieren". "

    Klimaforscher sind sich einig, dass der Meeresspiegel im Südpazifik beständig ansteigt. Aber solange niemand präzise voraussagen kann wann und ob Tuvalu überhaupt untergehen wird, denkt man im australischen Einwanderungsministerium gar nicht daran dem Insel-Staat eine Rettungsleine zuzuwerfen. Flüchtlings-Anwalt James Haire ist empört. Denn für ihn ist es nur eine Frage der Zeit bis Tuvalu nasse Füße bekommt.

    ""Australien ist nicht nur der größte Klimaverschmutzer der Region, sondern wir haben auch am meisten Platz. Wir stehen moralisch in der Pflicht. Und drittens: Wir haben die alte Tradition jeden, der in Seenot gerät zu retten. Tuvalus Situation ist für mich nichts anderes."
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    Sonntagsmesse in Tuvalus weiss-getünchter Inselkirche. Es gibt nur noch Stehplätze. 98 Prozent der Bevölkerung sind Christen, dreimal die Woche ist Gottesdienst. Reverend Falani predigt - wie so oft - über Klimawandel und den steigenden Meeresspiegel. Doch seine Gemeinde glaubt nicht der Wissenschaft, sondern der Bibel. Hosea Kaitu, einer der Insel-Ältesten, zitiert Moses, Kapitel Neun: Die Geschichte von Noah und seiner Arche.

    "Noah war ein gläubiger Mann. Er bat Gott um Hilfe: "Verspreche mir, dass es keine Flut mehr geben wird." Und Gott sagte: "Wenn Du einen Regenbogen siehst, dann wird Dir nichts passieren." - Hier in Tuvalu sehen wir oft einen Regenbogen. Einige sagen: "Lasst uns in ein Land gehen, in dem es hohe Berge gibt". Aber viele sind meiner Meinung: Unsere Inseln werden nicht untergehen. Denn Gott hat Noah versprochen, dass es keine Sintflut mehr geben wird."
    Doch die Regierung arbeitet längst daran die Bevölkerung umzusiedeln. Mit Millionen Dollar aus einem Treuhandfonds soll Land in Fiji und auf anderen Südsee-Inseln gekauft werden. Denn bisher hat sich nur die Regierung Neuseelands bereiterklärt die Atolle im Notfall zu evakuieren. Computerspezialist Kilei will solange wie möglich bleiben. Denn als Öko-Flüchtlingen droht den Menschen auf Tuvalu der Verlust ihrer Heimat und ihrer Kultur.

    "Wir sind und bleiben Tuvalesen. Wir sind ein stolzes Volk. Und auch wenn wir woanders leben müssen. Wir sind Tuvalesen und als solche werden wir auch sterben."

    Die Regierung Tuvalus überlegt die Klimaschänder und Kyoto-Verweigerer USA und Australien vor dem Internationalen Gerichtshof zu verklagen. Der kleine Südsee-Inselstaat will den großen Umweltverschmutzern zeigen, dass die ganze Welt in einem Boot sitzt. Und dazu möchte man solange wie möglich den Kopf über Wasser halten.