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Noch wenig praktische Relevanz

Medizin. - Fünf Prozent aller Deutschen haben zumindest einmal in ihrem Leben einen Krampfanfall. Unter einer echten Epilepsie leidet etwa einer unter 100 Personen. Für die Betroffenen eröffnet die Lokalisierung des Gendefekts an Chromosom 15 als Ursache für die erbliche Epilepsie aber noch keine neuen Behandlungsmöglichkeiten. Die Wissenschaftsjournalistin Kristin Raabe berichtet darüber im Gespräch mit Gerd Pasch.

14.01.2009
    Pasch: Das Anfallsleiden ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Und die Betroffenen wollen wahrscheinlich wissen, was ihnen die Ergebnisse der Kieler Forscher bringen. Meine Kollegin Kristin Raabe hat vor langer Zeit selbst in der Epilepsieforschung gearbeitet und das Thema auch als Wissenschaftsjournalistin immer wieder bearbeitet. Kristin Raabe, sollten sich jetzt die Epilepsiekranken auf die genetische Veränderung testen lassen?

    Raabe: Zunächst mal ist so ein Test ja noch gar nicht zur Verfügung. Das, was in wissenschaftlichen Laboren gemacht werden kann, das kann noch nicht notwendigerweise auch in jedem medizinischen Labor gemacht werden. Der Aufwand würde sich aber auch kaum lohnen. Denn selbst wenn so ein Test zeigen würde, das jemand Träger dieser speziellen Genveränderung ist, dann hätte das keine Auswirkungen auf die Behandlung der Erkrankung. Die meisten Epilepsien sind relativ gut mit gängigen Wirkstoffen medikamentös zu behandeln. Also etwa 70 Prozent aller Epilepsien kann man mit Medikamenten behandeln. Wenn die Wirkstoffe nicht wirken, dann können immer noch chirurgische Eingriffe Abhilfe leisten. Auch bestimmte Diäten oder Biofeedbackverfahren haben sich bei einigen Patienten als extrem wirksam erwiesen. Auf die Behandlung hat diese neue Forschung jetzt keine Auswirkungen.

    Pasch: Kommen wir noch mal auf die Gene zurück: Sind denn noch andere für Epilepsie bekannt?

    Raabe: Ja, es sind einige Genveränderungen gefunden worden, die zum Teil allerdings nur bei ganz speziellen Formen von Epilepsie vorkommen, bei Epilepsien, die wirklich sehr selten vorkommen, wo man da manchmal Familien untersucht hat, wo diese Epilepsien häufiger vorkamen. Oft sind es Änderungen in sogenannten Ionenkanälen, die in den Membranen der Zellen vorkommen und dafür sorgen, dass diese Reizübertragung zwischen Nervenzellen nicht mehr richtig funktioniert, denn das ist ja ein epileptischer Anfall, dass Nervenzellen unkontrolliert feuern, und zwar synchron unkontrolliert feuern. Auch bei dieser speziellen Genveränderung, die jetzt die Forscher in Kiel genau untersucht haben, fehlt ja auch ein Gen, das für einen Rezeptor einer Nervenzelle steht, der dann auch die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen beeinflusst.

    Pasch: Gibt diese Entwicklung der Epilepsieforschung denn eine neue Richtung?

    Raabe: Das würde ich so nicht unbedingt sagen, also keine komplett neue Richtung. Aber sie ist auf jeden Fall sehr wichtig für die Epilepsieforscher und vermutlich auch für Wissenschaftler, die an anderen Erkrankungen des Nervensystems arbeiten. Denn diese besondere Genveränderung befindet sich in diesem Bereich des Chromosoms 15, wo man auch Genveränderungen gefunden hat, die zur Entstehung von Autismus oder Schizophrenie beitragen. Häufig treten bei diesen Personen dann zusätzlich auch Krampfanfälle auf. Also diese sieben Gene, die davon betroffen sind, die müssen sich die Forscher jetzt wirklich ganz genau angucken und untersuchen, wie ist deren genaue Funktion im zentralen Nervensystem des Menschen. Dann kann man vielleicht tatsächlich in zur Zeit noch eher ferner Zukunft gezielt Medikamente entwickeln, die dann auf die Mutation des jeweiligen Epilepsiepatienten genau zugeschnitten sind. Aber das ist natürlich im Moment noch Zukunftsmusik.